Biographie

Roberthin, Robert

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: kurfürstlich brandenburgischer Rat, Dichter
* 3. März 1600 in Saalfeld/Ostpreußen
† 7. April 1648 in Königsberg i.Pr.

Robert Roberthin entstammte einem lutherischen Pfarrhaus und somit jenem für die Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit so ungemein prägenden lutherisch-humanistischen Milieu, das nach der Säkularisierung des Ordensstaates im Jahre 1525 die Verbreitung des Luthertums und der mit diesem verbundenen Bildungsideale unter der vornehmlich ländlichen Bevölkerung entscheidend sicherte. Roberthins Vater Georg, am 4. Januar 1569 in Düren (Herzogtum Jülich-Berg-Ravensberg) geboren, war seit 1594 Pfarrer im ostpreußischen Saalfeld, wechselte 1608 als Superintendent nach Rastenburg und ging 1616 schließlich an die Kirche auf dem Löbenicht, wo er am 13. Dezember 1620 an der Pest verstarb. Robert Roberthin wurde nach dem Besuch der Schule in Saalfeld und der von Herzog Albrecht begründeten höheren Schule in Rastenburg bereits am 24. September 1611 als „Robertus Roberti, Salveldensis Borussus“ zusammen mit seinem jüngeren Bruder Johannes in die Königsberger Matrikel eingetragen. Diese frühe Immatrikulation war bei Söhnen berühmter Väter oder bei besonderer Begabung damals nicht ungewöhnlich und bedeutete zunächst einmal nur einen Rechtsakt, nämlich die Unterstellung unter die akademische Jurisdiktion, nicht aber die Aufnahme eines regelrechten Studiums.

 

 

 

In Königsberg besuchten die inskribierten Knaben entweder das auf die Universität vorbereitende Particularium oder wurden je nach Vermögensstand durch Privatlehrer unterrichtet bzw. mußten sich als Diener von Professoren, Beamten und vermögenden Studenten durchschlagen. Wahrscheinlich mußte Roberthin, von Hause aus nicht vermögend, diesen letzteren Weg einschlagen und blickte deshalb später auf diese Zeit als auf die „deperditos adulescentiae annos“, die verlorenen Jahre der Jugend, zurück. Seit 1618 ermöglichte ihm jedoch ein herzogliches Stipendium ein Studium an der Universität Leipzig, danach ab 1620 an der Straßburger Akademie. In der oberrheinischen Reichsstadt fand Roberthin Zugang zum späthumanistischen Schüler- und Freundeskreis des damals bereits weltberühmten Philologen und Geschichtsprofessors Matthias Bernegger und lebte zeitweise in dessen Haus. Diese wichtige Verbindung brach auch nach seiner Rückkehr nach Königsberg im Jahre 1623 nicht ab und lebte in einer Korrespondenz mit Bernegger fort.

In Königsberg nahm Roberthin eine Hofmeisterstelle an, eine für junge Gelehrte ohne akademischen Grad adäquate Beschäftigung. Als sich ihm 1625 eine ähnliche Stelle in Kurland anbot, begann für Roberthin ein fast zehnjähriges Wanderleben, das ihn in verschiedenen Dienstverhältnissen weit in Europa herumführte. In diesem Jahrzehnt stand Roberthin mit den Größen des westeuropäischen Späthumanismus wie Janus Gruter, Georg Michael Lingelsheim, Daniel Heinsius, Hugo Grotius, Nicolas Rigault oder Claude de Saumaise in losem – brieflichen wie persönlichen – Kontakt. Auch beschäftigte er sich in dieser Zeit mit philologischen Studien und verfaßte einen Florus-Kommentar, der in die 1632 von Johannes Freinsheim in Straßburg veranstaltete Edition des römischen Dichters einging. Roberthin besuchte die Niederlande und verbrachte den Winter 1626/27 in England, hielt sich zwischen 1627 und 1631 meistenteils in Frankreich auf, darunter von April 1629 an für etwa ein Jahr lang als Sekretär des dänischen Gesandten in Paris. Kurz zuvor hatte er sich am 26. November 1628 erneut an der 1621 zur Universität privilegierten Straßburger Hochschule in die Matrikel der juristischen Fakultät eingeschrieben; die von seinem Förderer Bernegger betriebenen Bemühungen, ihm in Straßburg eine feste Anstellung zu besorgen, scheiterten jedoch.

Mitte des Jahres 1630 finden wir Roberthin kurzzeitig wieder in Königsberg, wohin ihn die Aussicht auf eine Kantorenstelle gezogen hatte. Er erneuerte am 4. Juli seine Immatrikulation an der dortigen Universität und trat mit ersten deutschsprachigen Gelegenheitsgedichten hervor, kehrte jedoch über die Niederlande im Mai 1631 wieder nach Paris zurück. Weiterhin ohne festes Auskommen, trat Roberthin schließlich die Stellung eines praeceptorsbei einem Sohn des kurfürstlichen Rates Michael Adersbach an und begleitete diesen auf seiner peregrinatio academicadurch die Niederlande, Frankreich und Italien (Ende 1631 bis 1633). Im Anschluß an diese Reise eröffneten sich für Roberthin endlich Perspektiven in brandenburgischen Diensten: 1634 wurde er Sekretär des Johanniterordens in Sonnenberg, zwei Jahre später erhielt er eine Berufung als Sekretär an das Hofgericht in Königsberg. Nachdem sich seine persönlichen Verhältnisse solchermaßen verbessert hatten, heiratete er 1639 Ursula Vogt.

In der Stadt am Pregel, die auf eine reiche literarische und musikalische Tradition zurückblicken konnte, avancierte Roberthin zum Mittelpunkt jenes Freundeskreises, der in die Literaturgeschichte als Königsberger Dichterkreis eingegangen ist. Seine ausgedehnten Reisen und seine persönlichen Kontakte mit der europäischenres publica litterariahatten ihn mit deren Lebensform vertraut gemacht; er hatte die italienischen Akademien ebenso wie die gelehrten Zirkel im späthumanistischen Paris kennengelernt; er hatte die Anfänge einer neuen deutschen Kunstdichtung miterleben können, die von Martin Opitz initiiert, gerade in Straßburg im Umkreis Berneggers und des aus Heidelberg geflohenen Lingelsheim gefördert wurde; er besaß gute Kenntnisse der niederländischen Dichtung, die durch Daniel Heinsius den gleichen Weg einer Transformation humanistischer Poetik und Rhetorik in die Muttersprache eingeschlagen hatte. Zudem verfügte Roberthin durch sein öffentliches Amt, in welchem er es 1645 sogar bis zum kurfürstlichen Rat bringen konnte, in Königsberg über Einfluß, den er zum Vorteil seiner Freunde durchaus einzusetzen wußte: So verdankte Simon Dach – zweifellos der bedeutendste und produktivste dieser Königsberger Dichter – maßgeblich ihm seine Berufung auf die Poesie-Professur an der Albertina (1639). Eines seiner schönsten Gedichte, das durch seinen persönlichen, unprätentiösen Ton aus der deutschen Barockdichtung heraussticht, widmete Dach seinem Freunde. Diese „AufrichtigeDanckbarlichkeit“, im Jahre vor Roberthins Tod entstanden, war das offene Bekenntnis einer intensiven Freundschaft, welche die beiden seit seiner Rückkehr nach Königsberg verband, und zugleich ein Zeugnis der besonderen Bedeutung, die jener für Dach und für den gesamten Freundeskreis besaß:

„Gib, Herr, der Warheit stat, denn ich versichre mich,

Kein Mensch hat hie dir mehr zu dancken weder ich.

Ich lag hie vnbekant, verschwiegen vnd vergessen,

Der Rost hub meinen Sinn gemählich an zu fressen,

Biß meiner Lieder eins dir ohngefehr behagt,

Du hast dich nicht gestillt, biß du mich außgefragt;

Bist da auff einen Tag wol zweymahl zu mir kommen,

Hast Bücher mitgebracht vndt, waß ich nicht vernommen,

Mir trewlich außgelegt, mir einen Muht gemacht

Vnd mich zu manchen Fleiß im Schreiben auffgebracht.

Nicht anders pflegt ein Löw die Jungen anzuführen,

Sobald an ihnen Mähn vnd Klawen sind zu spüren,

So nimpt der Adler stracks auch seine Zucht mit auß

Frey nach der Sonnen zu biß an der Sternen Hauß.

So wußte Scaliger den Genter-Schwahn zu leiten

Vnd dein Bernegger Dich. Ich komme zwar bey weiten

Nicht solchen Seelen bey, doch hast du meinen Sinn

Erkant vnd dieß auß mir gemachet waß ich bin.

[…]

Du hörst mich deinen Witz vnd Vrtheil nicht erheben,

So himmlich sind bey dir, nicht dein gerechtes Leben,

Daß weder Geitz noch Stoltz noch sonst ein Laster kennt,

Daß schwehr vnd selten sich von solchen Ehren trennt;

Nicht die Vollkommenheit der herrlich schönen Gaben,

Mit welchen dich Natur vnd Gott versehen haben,

Nicht deiner Reisen Last, nicht vieler Sprachen Grund,

Nicht andre Wissenschaft noch den beredten Mund,

Dieß alles laß ich seyn, waß darff ich auch es rühren,

Daß gantze Land weiß dich zum Muster anzuführen

Gewünschter Fertighet, in allem dem, waß wol

ein solcher Mann wie du verstehen kan vnd soll.

Nur dieses wirst du mir zu melden ja vergönnen,

Daß Schimmelfennig, Thiel vnd mehr nicht leugnen können:

Wirdt waß von vnß gethan, daß etwas ist von Wehrt,

Wir gehen erst zu dir, dein raht wirdt erst begehrt.“

Man darf deshalb in Roberthin wohl zu Recht den spiritus rector des Königsberger Dichterkreises sehen, der sich zwar keine feste Organisation gab, der jedoch die Freunde immer wieder im außerhalb der Stadt so idyllisch gelegenen Garten Heinrich Alberts, ihrer Kürbishütte, zusammenführte, die sie in ihrer vornehmlich als Gelegenheitsdichtung entstandenen Dichtung priesen. Hier sangen sie gemeinsam ihre Lieder, die in Heinrich Alberts Arien, der wichtigsten zeitgenössischen Quelle für das poetische und musikalische Schaffen des Königsberger Dichterkreises, versammelt sind. In denArien finden sich auch die meisten der von Roberthin bekannten Lieder, die sich durch ihren leichten Ton und ihn als regeltreuen Opitzianer ausweisen. Der Zahl der von ihm – nicht selten unter dem schäferlichen Anagramm Berrintho – verfaßten Lieder und Gelegenheitsgedichte war indes nicht groß, doch tauchen heute vereinzelt in den umfangreichen Konvoluten Königsberger Gelegenheitsdrucke, die der Zweite Weltkrieg aus den Königsberger Bibliotheken nach Polen, Litauen und Rußland verschlagen hat, immer wieder bisher unbekannte Gedichte aus seiner Feder auf.

Lit.: (zu Georg R.) D. Daniel Heinrich Arnoldts: Kurzgefaßte Nachrichten von allen seit der Reformation an den Lutherischen Kirchen in Ostpreußen gestandenen Predigten, ed. Friedrich Wilhelm Benefeldt, Königsberg 1777, S. 59, 257, 422. – (zu Robert R.) G. Christoph Pisanski: Das Leben Robert Roberthins, in: Gesamelte Nachrichten zu Ergäntzung der Preußisch-, Märckisch- und Polnischen Geschichte, ed. Johann Reinhold von Werner, Küstrin 1755, S. 188-200. – Hermann Oesterley: Robert Roberthin, in: Altpreußische Monatsschrift 12 (1875), S. 27-50. – L. H. Fischer: Nachträge zu Robertins Gedichten, in: Altpreußische Monatsschrift 22 (1885) 606-617. – Briefe G. M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde, Nach Handschriften […] ed. Alexander Reifferscheid, Heilbronn 1889 (= Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts, 1). – Ewald Schepper, (sub verbo), in: Altpreußische Bibliographie 2 (1967), S. 562. – Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, Zweite, verbesserte und wesentlich vermehrte Auflage des Bibliographischen Handbuches der Barockliteratur, Fünfter Teil, Stuttgart 1991, S. 3460-3465. – Ulrich Maché, (sub verbo), in: Literatur Lexikon, Autoren und Werke deutscher Sprache, ed. Walther Killy, Band 9 (1991), S. 491-492. – (zum Königsberger Dichterkreis) Wulf Segebrecht: Simon Dach und die Königsberger, in: Deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts, Ihr Leben und Werk, ed. Harald Steinhagen und Benno von Wiese, Berlin 1984, S. 242-269. – (Gedichte von R.) Oesterley, op. cit. – Gedichte des Königsberger Dichterkreises aus Heinrich Alberts Arien und musicalischer Kürbishütte ‹1638-1650›, ed. L. H. Fischer, Halle 1883 (= Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts, 44/45). – Simon Dach und der Königsberger Dichterkreis, ed. Alfred Kelletat, Stuttgart (1986) (=RUB, 8281).

 

Axel E. Walter