Ereignis vom 11. Juni 1346

Wahl Karls IV. zum deutschen König und seine Bedeutung für den Osten des deutschen Reichs

Karl IV. auf dem Votivbild des Prager Erzbischofs Johann Očko von Wlaschim, um 1370

Am 11. Juli 1346 wählten die Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier sowie Böhmen und Sachsen-Wittenberg den Markgrafen Karl von Mähren gegen den amtierenden Kaiser Ludwig IV. zum neuen römisch-deutschen König und damit auch zum neuen Anwärter auf die Kaiserkrone. Diese Wahl wurde mög­lich, weil Papst Clemens VI. kurz vorher den Mainzer Erzbi­schof Hein­rich von Virneburg, einen Anhänger Kaiser Lud­wigs, der von Amts wegen eine Königswahl einzuleiten hatte, für abgesetzt erklärte und Ger­lach von Nassau zum neuen Erzbischof machte. Zwar konnte sich dieser in Mainz keines­wegs durchsetzen, doch war es möglich, die Wahlhandlung in Rhens am Rhein durchzuführen. Die für Köln vorgesehene Krönung mußte in Bonn durchgeführt werden, weil die Bürger Kölns wie die vieler anderer Städte Kaiser Ludwig treu blie­ben. Der junge Markgraf Karl war von der Mehrheit der Kur­fürsten – ein Mehrheitswahlrecht der Kurfürsten wurde of­fiziell erst mit der „Goldenen Bulle“ Karls IV. von 1355/56 eingeführt – ge­wählt wor­den, weil sich diese auf die Seite des Papsttums hatte ziehen las­sen, das seit Jahrzehnten mit Kaiser Ludwig einen erbitterten Streit führte, in dem es letztlich um die Vorherrschaft des Papsttums über die weltliche Macht des Kaisers ging.

Karl war der älteste Sohn König Johanns von Böhmen und Grafen von Lu­xemburg. Karls Großvater war Dantes Kaiser, Kaiser Heinrich VII. (1308-1313), der erste Luxemburger auf dem deutschen Königsthron. Johann er­warb mit der Heirat der przemyslidischen Erbtochter das Königreich Böhmen und da­mit eine Kurstimme. Nach Heinrichs VII. frühem Tode unter­stütz­ten die Luxemburger wegen Johanns noch jugendli­chem Al­ter die Wahl Herzog Ludwigs von Oberbayern zum neuen Kö­nig. Während dieser Herrscher aus wittelsbachischem Hause sich zunächst mit der habsburgischen Partei ausein­ander­zu­set­zen hatte, trat Johann in die Traditionen des böhmi­schen König­­tums ein und zeichnete damit auch manche Wege Karls IV. vor. Anders als die Przemysliden konnte Johann in dem erstar­kenden Polen keine tatsächliche Macht mehr be­haupten. Jedoch übte er diplomatischen Druck aus – auch durch eine Unterstützung des Deutschen Ordens in Preußen, besonders nachdem dieser Pommerellen in Besitz genommen hatte. Mehr­mals nahm er an Litauerreisen des Ordens teil, bei denen ihn sein Sohn Karl begleitete, zu­letzt 1345. Anders als König Johann, dessen ritterlich-abenteuerlichem Le­bensver­ständnis diese Kriegszüge sehr entsprochen haben, fand Karl daran offenbar kaum Gefallen. Bedeutender an König Johanns Ost­po­litik waren seine Erfolge in Schlesien. Diese Landschaft des einstigen piastischen Groß­reichs Polen war seit dem 13. Jahrhundert zunehmend deutsch besiedelt wor­den. In der er­sten Hälfte des 14. Jahrhunderts war es in 17 Fürstentümer zersplittert. Als Johann 1327 gegen Krakau zog, huldigten ihm die meisten oberschlesischen Fürsten; weitere folgten, ehe 1335 König Kasimir III. d. Gr. von Polen in Trentschin den Übergang Schlesiens an Böhmen anerkannte, während Johann auf seine Ansprüche auf das polnische Königtum verzich­tete. Die meisten schlesischen Herrschaften wurden böhmische Lehen.

Mit Karls Königswahl 1346 war die Machtfrage im Reich kei­neswegs ent­schieden – ganz im Gegenteil. In der berühmten Schlacht bei Crécy, einer der letzten großen Ritterschlachten des Mittelalters, unterstützten die Luxem­burger Frankreich gegen das mit Kaiser Ludwig verbündete England. Doch siegte England; der blinde König Johann fiel, Karl entkam nur ver­wundet. Im Reich wurde die Auseinandersetzung durch einen Zufall entschieden, durch einen Schlaganfall Kaiser Ludwigs am 11. Oktober 1347.

Schon vorher waren die wittelsbachischen Stellungen insge­samt die schwä­cheren. Mit dem Tode des Kaisers entfiel die führende Kraft. Erst spät wurde ver­sucht, mit den Stimmen des abgesetzten Mainzer Erzbischofs Heinrich von Virneburg, der Pfalzgrafen, des wittelsbachischen Kurfürsten von Bran­den­burg und der Bevollmächtigten von Sachsen-Lauenburg Graf Günther von Schwarzburg-Arnstadt als Gegenkönig aufzu­bauen. Doch scheiterte die­ser Versuch. Dagegen gelang es Karl planmäßig, seine politische Macht zu si­chern und zu vergrö­ßern. Schon zu Lebzeiten seines Vaters, der in Böh­men mit dem Königsgut verschwenderisch umgegangen war, konnte Karl das verpfändete Gut nach und nach wieder einlösen. Die Einnahmen der Krone Böhmen, vor allem durch den Kutten­berger Bergbau, vermochte er zu stei­gern. Er hatte damit eine vorzügliche Grundlage für seine Hausmacht- und Reichspoli­tik. Als „Nebenfigur der päpstlichen Politik“ und als „Geschöpf der Kurfürsten“ war Karl an die Macht gekommen. Das führte zunächst zu sei­nem schlechten Ruf als „Pfaffenknecht“ und des „Papstes Soldknecht und Laufbursche“. Allmählich gelang es ihm, sich von den päpstlichen Forderun­gen abzusetzen, indem er es vermied, in eigenen Schriftstücken die Wünsche des Papstes zu erfüllen, den offenen Kampf hatte er zu vermeiden. Zehn Jahre später, in der „Goldenen Bulle“ von 1355/56 re­gelte er das Wahlrecht, ohne daß eine päpstliche Zustimmung erwähnt wird.

Böhmen wurde von Karl IV. zur Zentrallandschaft des Reiches ausgebaut. Der politische Schwerpunkt des Reiches verlagerte sich nach Osten. Sichtba­res Zeichen dafür wird die Residenz­stadt Prag. Böhmen wurde auch ein kul­turel­les Zentrum. Ne­ben dem künstlerischen Bereich ist auf die Gründung der Uni­versität Prag 1348, der ältesten Universität des Reichs, zu ver­weisen. Auch wirtschaftspolitisch versuchte der Herrscher alle Wege auf Prag zu lenken. Sein Besuch in Lübeck ist hier ein­zuordnen. Die Macht der Krone Böhmen stärkte er 1348 durch die Inkorporie­rung der schlesischen Fürsten­tümer. In dritter Ehe hat Karl IV. später die Erbnichte Herzog Bolkos von Schweidnitz-Jauer († 1368) geheiratet und konnte damit in Schle­sien die wichtigste Lücke schließen. Karls Finanzstärke ermög­lichte es ihm, eine er­folgreiche Erwerbungspolitik nicht nur nach We­sten in Richtung Frankfurt am Main zu betreiben, sondern auch im Norden Böhmens. In der Ober- und Nieder­lausitz hatte Böhmen schon vor Karl eine Reihe von Besitzun­gen. Er vermehrte den Besitz in der Oberlausitz und nahm schließlich die Niederlau­sitz, die die Wittelsbacher an die Wet­ti­ner verpfändet hatten, 1366/70 end­gültig in Besitz. Wei­tere Erwerbungen machte Karl IV. in Obersachsen, im Eger­land und im Vogtland. Bedeutend war jedoch sein Zugriff auf die Mark Brandenburg, weil er damit seinem Hause eine zweite von den sieben Kur­stimmen verschaffte. Karl nutzte die Schwä­che und die Familienstreitigkeiten der Wittelsbacher und griff nach längerwährenden diplomatischen Verwick­lungen 1373 endgültig zu. Tangermünde wurde vom Kaiser als bran­denbur­gische Residenz genutzt.

Schon Karl IV. versuchte das später vom Haus Habsburg so erfolgreiche Mittel der Heiratspolitik anzuwenden. Er zielte auf die östlich benachbarten, außerhalb des Reichs liegenden Kö­nigreiche Polen und Ungarn. König Ka­simir III. von Polen hatte keine Söhne. Erbberechtigt war sein Neffe, König Lud­wig von Ungarn aus dem Hause Anjou, der tatsächlich nach Kasimirs Tod 1370 neben Ungarn auch die Krone Polen über­nahm. Durch Heirats­verbindungen erst eines Neffen, dann seines Sohnes Wenzel suchte Karl die Anwartschaft auf Polen zu erlangen. Auch Ludwig hatte keine Söhne, bekam aber spät Töchter. Im Zusammenhang der Auseinandersetzungen um die Mark Brandenburg konnte Karl IV. Ludwig dafür gewinnen, seine zweite Tochter Maria mit der Anwartschaft auf die Thronfolge in Polen mit Karls zweitem Sohn Siegmund, dem späteren Kaiser († 1437), zu verheiraten. Für die Thronfolge in Ungarn war Ludwigs älteste Tochter vorgesehen. Da Ludwig 1382 – vier Jahre nach Kai­ser Karl IV. – starb, konnte dieser die Folgen nicht mehr erleben. Nach Ludwigs Tode handelten die ungarischen Stände schnell und krönten Maria zur Königin, daher wurde ihr Ehemann Siegmund König von Ungarn. Da die polnischen Stände nicht weiterhin un­garisches Nebenland sein wollten, konnte Siegmund dort die Herrschaft nicht antre­ten. Die Stände Polens veranlaßten Ludwigs jüngste Tochter Hedwig (Jadwiga), da die älteste inzwi­schen verstorben war, ihre Verlobung mit einem Habsburger zu lösen und stattdessen den litauischen Großfürsten Ja­gie³³o zu heiraten. Damit wurden die Christianisierung Litauens und die Ver­einigung von Polen-Litauen eingelei­tet.

Außerhalb der dynastischen Pläne Karls IV. mußten die Deut­schordensländer Preußen und Livland bleiben. Sein Interesse an diesem Raum war verhältnis­mäßig gering. Er wird sicher­lich erkannt haben, daß die Litauerreisen des Ordens zu kei­nem dauerhaften Erfolg gegen die noch heidnische Großmacht Litauen führen konnten. Als Litauen im Jahre 1358 – offenbar aus diplomati­schen Gründen – wieder einmal eine Taufbereit­schaft andeutete, war Karl IV. zu verhandeln bereit, bis sich zeigte, daß die Ernsthaftigkeit nicht weit reich­te. Im Konflikt der Hanse mit Dänemark stand der Kaiser mit Waldemar IV. Atterdag in näheren Verbindungen, so daß der Hochmeister und Karl IV. ge­geneinander arbeiteten, ohne daß es zu einem offenen Konflikt kam. Nur ge­legentlich sollten in Preußen oder Livland Geistliche aus der Umgebung des Kaisers unterge­bracht werden. Im Gegensatz zu den meisten anderen großen Herrschern der Zeit dürfte Karl IV. den Hochmeister Winrich von Kniprode nie getroffen haben. Trotz der ordensfreundli­chen Tradition Böhmens haben Höflichkeit und ein gewisser Abstand die Beziehungen dieses Kaisers zum Orden in den Ostseeländern bestimmt.

Die Bedeutung Kaiser Karls IV. für den Osten des Deutschen Reiches be­steht darin, daß er mit Böhmen ein politisches, kul­turelles und wirtschaftli­ches Zentrum schuf und festigte, so daß bis weit in die Neuzeit hinein, als Böhmen selbst diese Rolle nicht mehr wahrnehmen konnte, der Schwerpunkt des Reiches wenigstens in politischer Hinsicht östlich des Altsiedellandes blieb. Die Erben Prags wurden im 15. Jahrhundert Wien, später auch Berlin.

Lit.: Hermann Heimpel: Deutschland im späteren Mittelalter, Kon­stanz 1957. – Kaiser Karl IV. 1316-1378. Forschungen über Kaiser und Reich, hg. v. Hans Patze (Blätter für deutsche Landesgeschichte 114), Göttingen 1978. – Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hg. v. Ferdinand Seibt, München 1978. – Peter Moraw: Von offener Ver­fassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späteren Mittelalter, Berlin 1985. – Heinz Stoob: Kaiser Karl IV. und seine Zeit, Graz, Wien, Köln 1990.

Foto: Karl IV. auf dem Votivbild des Prager Erzbischofs Johann Očko von Wlaschim, um 1370 / Quelle: Von Kreis d. Theoderich von Prag – 1./2. Eigener Scan von: Bohemian art of the gothic and early renaissance periods, Press Foto, Praha3. Ausschnitt von: File:Anonym – Votive Painting of Archbishop Jan Očko of Vlašim.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1755205

Bernhart Jähnig