Biographie

Meder, Johann Valentin

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Komponist
* 3. Mai 1649 in Wasungen/Werra
† 1. Januar 1719 in Riga

Als Sproß einer mitteldeutschen Kantorenfamilie und Sohn des Wasunger Kantors Johann Erhard Meder wuchs Johann Valentin in die musikalische Tradition seiner Familie hinein. So sind vier seiner Brüder als Kantoren nachzuweisen. Anscheinend war Valentin zunächst nicht für die Musik, sondern für das Studium der Theologie bestimmt, welchem er 1669 in Leipzig und dann in Jena nachging. Er hielt sich dann vorwiegend als Sänger an verschiedenen Höfen auf, in Gotha und Meiningen (1671), Eisenach und Kassel (1672). Anschließend war er in Bremen und Hamburg (1672/73) sowie in Kopenhagen, wo sein Bruder David Bernhard als ein angesehener Organist an der Frauenkirche tätig war. In Lübeck suchte er 1674 Dietrich Buxtehude auf, welcher sich in sein Stammbuch eintrug. Noch 1674 kam er als Kantor an das Revaler Gustav-Adolf-Gymnasium. Als bedeutsam für die deutsche Operngeschichte erwies sich die Aufführung seines SingspielsDie beständige Argenia 1680 in Reval, das als eine Leistung singulärer Art in Hinsicht auf den Ort und die Zeit seiner Entstehung zu betrachten ist. Es ist die älteste deutsche Oper, die in Text und Musik vollständig erhalten ist. Vom Anlaß her reiht sie sich in die seit 1600 in Italien belegten Hochzeitsopern ein. Sie entstand zur Hochzeit der dänischen Prinzessin Ulrica Eleonora mit dem schwedischen König Karl XII. Die Widmungsträger nahmen jedoch von der Mederschen Oper nicht viel Notiz, und eine wohl erhoffte Anstellung am schwedischen Hof wurde dem Komponisten nicht zuteil.

1684/85/86 ist Meder in Riga nachzuweisen, wo er sich auch bereits von Reval aus 1682 aufgehalten hatte. Zu seiner Lucas-Passion sind Berichte von 1685 gegen die vorgesehene Aufführung in Riga überliefert, in welchen gesagt wird, daß ihre Länge, die anspruchsvolle Kompositionsweise und der hohe Unbekanntheitsgrad die Gemeinde von ihrer Andacht ablenken würden. Es ist anzunehmen, daß Meder in Riga kein Amt hatte.

1686 wurde Meder als Nachfolger von Balthasar Erben an die Danziger Marienkirche berufen. Meders Opernversuche brachten ihn bei dem Danziger Rat in Schwierigkeiten, so daß er Danzig verließ und nach Königsberg ging, wo er 1695/96 Domkantor war. Wahrscheinlich kam Meder nach seiner Anstellung in Königsberg nochmals nach Danzig zurück, da Maximilian Freißlich, der in jungen Jahren auf Empfehlung eines Mederschen Bruders als Singeknabe zu Meder nach Danzig gekommen war, erst 1699 als sein Nachfolger im Amt genannt wird. 1699 kam Meder wieder nach Riga, wo er 1700 zum Musikdirector bzw. Kantor berufen wurde. Seit 1701 bis zu seinem Tod war er Domorganist. Dem Kantorat am Rigaer Dom stand er nur als “ad interim constituirter Director” bis zur Ernennung von Johann Georg Andreae im September 1701 vor. Allerdings sollte sein Rigaer Amt durch den Nordischen Krieg, der schwer auf dem Land und der Stadt lag, stark beeinträchtigt werden. Dazu kam im Jahre 1710 noch die verheerende Pestseuche, der zwei Drittel der Bevölkerung zum Opfer fielen. Bereits 1707 klagte Meder in einem Brief, daß durch den Krieg “bereits ins achte Jahr Handel und Wandel, Künste und Wissenschaften darniederlägen, eine sehr harte Zeit sei, und seiner Orts auch die Musik in grossen Verfall käme, wodurch sein Unterhalt aufs Äußerste geschwächt sey”. Durch die Niederlage der Schweden bei Poltawa kamen die baltischen Lande an Rußland. Peter der Große bestätigte in Kapitulationen von 1710 die Rechte der Ritterschaft und der Städte, aber es sollte noch weit in das Jahrhundert hinein dauern, bis sich das Land erholt hatte. So war auch in Riga die Stelle des Kantors sieben Jahre, bis 1717 unbesetzt, und Meder hatte wohl als Organist das Kantorenamt mitversehen.

Meder wurde der “Rigaer Buxtehude” genannt. Seine Werke zeichnen sich durch Schwung und Dynamik aus und zeigen oft eine Gegenüberstellung von Gegensätzlichem. Auch in den geistlichen Werken ist der operngeschulte Komponist zu erkennen, so auch in der glücklicherweise erhaltenenMatthäus-Passion. Sie ist eine umfassende, vielteilige Komposition, entwicklungsgeschichtlich ein Markstein auf dem Weg zu den Bachschen Passionen mit ihren zwei Chören und Orchestern sowie mehreren Solisten, in der Abfolge von Chorälen, Arien, Rezitativen des Evangelisten, Einwürfen der Volkesstimme, der Hohepriester usw. Das Werk knüpfte wohl auch an die Matthäus-Passioneines Amtsvorgängers an der Danziger Marienkirche, Thomas Strutius (bis 1678), an, dessen Werk zu den frühen Zeugnissen der oratorischen Passion gehörte. Man kann davon ausgehen, daß Meder noch weitere drei Passionen komponiert hat, die aber verloren sind.

Meder stand in seiner Zeit in hohem Ansehen, wie MatthesonsEhrenpforte zu entnehmen ist: “Was uns davon zu Gesichte kommt, ist in Wahrheit mit solcher Gründlichkeit, mit solchem grossen Fleiss, und nicht minderer Anmuth ausgearbeitet, daß es nicht ohne sonderbares Vergnügen anzuhören”.

Neben der Matthäus-Passion gehört die melancholische, dreistimmigeChaconne, herausgeben von dem letzten deutschen Organisten der Danziger Marienkirche, Dr. Franz Keßler, zu den häufiger aufgeführten Mederschen Werken. Ebenfalls 1979 von Keßler herausgegeben wurde Der Polnische Pracher mit seiner aus einem alten Babilonischen Weidenstock zugehauenen, mit verschiedenen ausgedörrten Aalshäuten geflickten, mit dritthalb Paar verrosten Eisrnen Seitenbezogenen u. mit einem an einem alten Fingerhut hengenden Feder Kiel gespielten Pandur, nebst seinem erbärmlich schön singenden Discantisten Pachole in einem Musicalischen Concentum v. 5 Instr. formiret.Es handelt sich sowohl um eine Scherzkomposition auf die polnische Bettelmusik aus dem Danziger Hinterland, als auch um ein bemerkenswertes Tondenkmal der Auseinandersetzung zwischen dem Geistigen und dem Trivialen.

Der Nachlaß Meders, 37 Partituren und 93 kirchenmusikalische Werke wie Messen, Magnificats, Passionen und geistliche Konzerte, übergab der in Riga als Notar tätige Sohn Erhard Nikolaus Meder 1719 dem Rigaer Rat. Er ist verschollen. Autographen Meders finden sich heute hauptsächlich in Danzig, Riga und Uppsala.

Werke:Kantaten, Geistliche Lieder, kammermusikalische Werke, Oratorien, Gelegenheitswerke, Opern und Singspiele: Die beständige Argenia, Nero, Die wiederverehelichte Coelia.

Lit.: Div. Musiklexika. – Johannes Bolte: Johann Valentin Meder: Neue Mitteilungen, in: Vierteljahresschrift f. Musikwissenschaft, Jg. 7, 1891, S. 43 ff. – Ders.: Nochmals Johann Valentin Meder, in: ebd., Jg. 7, 1891, S. 457 f. – Ders.: Das Stammbuch Johann Valentin Meders, ebd. Jg. 8, 1892, S. 499 ff. – Nikolaus Busch: Über Noten aus dem Stammbuch Valentin Meders, in: Gesellschaft für Geschichte u. Altertumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands: Sitzungsberichte 1910, Riga 1911, S. 254. – W. Ernst Gelderblom: Die Matthäuspassion von Johann Valentin Meder, Domorganist in Riga 1701-1719, In: Balt. Monatsschrift Riga 1927, S. 485 ff. – Hermann Rauschning: Geschichte der Musik und Musikpflege in Danzig, hrsg. v. Westpreußischen Geschichtsverein, Nr. 15, Danzig 1931, S. 283 ff, 295 ff u. a. O. – B. Smallmann: A Forgotten Oratorio Passion, The musical times CXV (1974) S. 118 f. – Joachim Braun: Johann Valentin Meders Opernexperiment in Reval 1680, in: Beiträge zur Musikgeschichte Nordeuropas, Kurt Gudewill z. 65. Geburtstag, hrsg. U. Haensel, Wolfenbüttel/Zürich 1978, S. 69 ff. – Franz Kessler: Danziger Instrumentalmusik des 17. und 18. Jahrhunderts, Neuhausen-Stuttgart, Hänssler Verlag 1979. – Franz Kessler: Musikgeschichte Westpreußens, in: W. Schwarz, F. Kessler, H. Scheunchen: Musikgeschichte Pommerns, Westpreußens, Ostpreußens und der baltischen Lande, Dülmen 1990, S. 78 f. – Helmut Scheunchen: Deutsches Musikleben in Riga im Laufe der Jahrhunderte, in: Deutsche Musik in Ost- und Südosteuropa, hrsg. Gabriel Adriàny, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 122 f.

 

Helmut Scheunchen