Biographie

Poliander, Johannes (Graumann)

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Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Theologe
* 26. Dezember 1486 in Neustadt/Aisch
† 29. April 1541 in Königsberg i.Pr.

Am 26. Mai 1525 findet sich in einem Brief Martin Luthers an Herzog Albrecht von Preußen folgender Satz: „Den prediger, so E.f.g. begerd, hab ich bestellen helfen; er soll bald hynach komen …“ Es wird zu Recht angenommen, daß es sich bei dem genannten Geistlichen um Johannes Poliander handelt, dem Albrecht in seiner Residenz Königsberg die Pfarre der Altstadt zugedacht hatte.

Johannes Graumann oder Poliander, wie er sich nach der Gräzisierung seines Namens nannte, entstammte einer im Maingebiet beheimateten Handwerkerfamilie. Als „Poliander“ erscheint Graumann erstmals im Album der Leipziger Universität, wo er seit 1503 studierte, 1507 Baccalaureus und 1516 Magister der Philosophie wurde. Es folgte seine Tätigkeit als Kantor, Lehrer, später als Rektor der in enger Verbindung zur Universität stehenden Leipziger Thomasschule; das Jahr seines dortigen Amtsantritts ist nicht bekannt, doch verbreitete sich bald der Ruf seiner überragenden pädagogischen Fähigkeiten. An der „Leipziger Disputation“ zwischen Johann Eck, Luther und Karlstadt über die päpstliche Gewalt (1519) nahm Poliander als Protokollant Ecks teil. Luthers theologisch begründete Stellungnahme beeindruckte ihn so nachhaltig, daß er begann, sich mit kirchlichen Fragen auseinanderzusetzen. 1520 erlangte er das theologische Baccalaureat. Unter dem Eindruck der Lehren Luthers verließ er 1522 Leipzig, um sich für ein Jahr in Wittenberg in der Umgebung des Reformators aufzuhalten. Mitschriften und Abschriften der Predigten Luthers stellte er in einem Band zusammen, der in den Beständen der Stadtbibliothek Königsberg erst Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde. 1523 ging Poliander, wohl auf Rat der Wittenberger, als Domprediger nach Würzburg; 1525 lehrte er als Pfarrer in Nürnberg „die Nonnen bei St. Claren" die Heilige Schrift bereits nach reformatorischem Verständnis.

In dieser Zeit vollzog sich in Preußen die politische und konfessionelle Wende: Mit dem Vertrag von Krakau (8. April 1525) empfing der Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, das preußische Ordensland als erbliches Herzogtum aus der Hand König Sigismunds I. von Polen zu Lehen. Die Reformation wurde durch bischöfliche und herzogliche Verlautbarungen offiziell in Preußen eingeführt, und der Ausbau des Fürstentums konnte beginnen. Das geschah nach kursächsischem Vorbild und in engem Kontakt mit den Wittenberger Reformatoren. Aus dem Schülerkreis Luthers Theologen für Preußen zu gewinnen, betrachtete der Herzog als Voraussetzung für eine zügige Verbreitung und Festigung der neuen Lehre in seinem Land. Sein Schreiben an Georg Spalatin, „Herzog Friederichs von Sachsen löblicher gedechtnus caplan Spalatinum“, vom April 1525 ist in diesem Zusammenhang zu sehen, und ebenso Luthers Brief vom 26. Mai.

Poliander und seine Frau trafen im Herbst 1525 in Königsberg ein. Er fand in Johannes Briesmann und Paul Speratus gleichgesinnte, vom reformatorischen Schriftverständnis geprägte Männer, die sich auch in persönlicher Freundschaft verbunden fühlten. Briesmann war der theologische Berater des Bischofs von Samland, Georg von Polentz und übernahm 1531 nach seiner Rückkehr von einem vierjährigen Aufenthalt in Riga die Pfarrstelle am Königsberger Dom; Speratus, der in Würzburg Polianders Vorgänger gewesen war, war durch Luthers Vermittlung 1524 nach Königsberg gekommen, wurde Schloßprediger und 1529 zum Bischof von Pomesanien berufen. Poliander übernahm das Pfarramt der Altstadt als Nachfolger von Johannes Amandus, einem Eiferer für die neue Lehre, der Gutes bewirken wollte, jedoch Unruhen und Streit hervorrief und schließlich Königsberg verlassen mußte.

Poliander stellte seine Fähigkeiten als Prediger und Lehrer, als Organisator und Kirchenliederdichter ganz in den Dienst der Reformation im Herzogtum Preußen. Er trat furchtlos für die Reinheit und Lauterkeit der Lehre in Wort und Schrift ein und machte auch den Einwänden seines Fürsten gegenüber keine Zugeständnisse. Deutlich erscheint Polianders Persönlichkeit im Schriftwechsel Herzog Albrechts und Luthers während der dreißiger Jahre, als der Herzog geneigt war, den theologischen Sonderweg der Sakramentierer anzuerkennen, um die Siedler in seinem Land zu behalten. Unerschrocken ergriff Poliander während des Rastenburger Religionsgesprächs das Wort für Luthers Schriftverständnis und wandte sich gegen alle schwärmerischen Abweichungen.

Einem Dankesbrief an Luther fügte Herzog Albrecht die Worte an, daß in seinem Herzogtum keine Gefahr für die Reinheit der Lehre („Zweifel“ oder „Irrtum“) vorhanden sei, da seine Prediger, „bevorab Poliander, durch Hülf Gottes die Sachen also treiben“ (6. April 1532), und ein Jahr später heißt es in einem Schreiben Albrechts an Luther beruhigend: „So dank ich Gott, der sein Wort so reichlich hier im Land gehen lost, und sunderlich mein geliebter Gevatter Doctor Prisman (Briesmann) und Her Poleander ihr Ampt mit Warnen und Lehren so tapfer treiben, dardurch gänzlich zu Gott verhoffend, der Teufel nit schaden werde…" (11. Juni 1533).

Obwohl Poliander im Herzogtum Preußen niemals ein höheres kirchliches Amt erlangte, hat er neben Paul Speratus und Johannes Briesmann „im Dreigestirn der großen theologischen Reformatoren Preußens“ seinen Platz eingenommen. Wir treffen seinen Namen auf theologischen Gutachten, im Zusammenhang mit Schriften zur Kirchenorganisation; er wird als Berater seines Freundes Paul Speratus genannt und erscheint schließlich als Gesprächspartner und geistlicher Vertrauter Herzog Albrechts, mit dem ihn auch die Liebe zum gedruckten Worte, zu Büchern und Bibliotheken verband. Als sich Herzog Albrecht mit dem Gedanken trug, in seiner Residenz eine Universität zu gründen, fertigte Poliander 1540 ein Gutachten über das Partikular an, das als vorbereitende Schule eingerichtet werden sollte.

Poliander muß ein fröhlicher Mensch gewesen sein. Sein Choral Nun lob mein Seel den Herren gehört zu den bekanntesten Liedern im Evamgelischen Kirchengesangbuch; möglicherweise ist er auch der Verfasser des Liedes Fröhlich muß ich singen. Aus den Texten sprechen Zuversicht und Glaubensgewißheit. Im Frühjahr 1539 wurde ihm seine Frau durch den Tod entrissen, aber trotzdem tröstete er Paul Speratus und ermunterte ihn, es in Preußen auszuhalten, als dieser unter der Bürde seines Amtes zu verzagen drohte. 1540 erlitt Poliander einen schweren Schlaganfall, der ihn zur Untätigkeit verdammte. „Mit dem guthen frommen herren Poliandro stehet es noch (Des wir dann ein Christliches gnedigs mitleiden mit ihm tragen) Im alten wesen … so seindt wir noch der trostlichen hoffnung und zuvorsicht, der almechtig werde sich über Inen und uns also erbarmen und Ime, diesem armen Landt zu trost, zu seiner gesuntheit gnediglichen widerumb verhelffen …“ schrieb Herzog Albrecht nach Wittenberg an Luther (21. November 1540). Nach langem Siechtum starb Johannes Poliander am 29. April 1541. Auf seinem Krankenbett hatte er bestimmt, daß seine Büchersammlung der Altstadt Königsberg zufallen und als „gemeine Liberei“ der allgemeinen Benutzung dienen sollte. Es waren nahezu tausend teils gebundene, teils ungebundene Bände, eine erstaunliche Anzahl für eine private Gelehrtenbibliothek im 16. Jahrhundert. Sie bildeten den Grundstock der Königsberger Stadtbibliothek, für deren Einrichtung, zunächst in einem Raum der Altstädtischen Kirche, Polianders langjähriger Wirkungsstätte, sein Freund und Testamentsvollstrecker Paul Speratus sorgte.

Lit.: Geschichte der Stadtbibliothek zu Königsberg. Mit einem Anhang: Katalog der Bibliothek des M. Johannes Poliander 1560. Hrsg. von Christian Krollmann. Königsberg 1929. – Walther Hubatsch: Geschichte der Evangelischen Kirche Ostpreußens. Bd. 1. Göttingen 1968. – Zitate aus den Briefen Herzog Albrechts an Luther und Luthers an Herzog Albrecht wurden der Weimarer Ausgabe von Luthers Werken entnommen.