Biographie

Ritter, Alexander

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Komponist
* 15. Juni 1833 in Narwa
† 12. April 1896 in München

Alexander Sascha Ritter entstammte einer alten Narwaer Kaufmannsfamilie. Nach dem Tod des Vaters übersiedelte die Familie 1841 nach Dresden. Er war dort Violinschüler des 2. Konzertmeisters der Hofkapelle, Fr. Schubert. Ein Dresdner Mitschüler war Hans von Bülow, dem er lebenslang verbunden blieb. 1849 bis 1851 studierte er am Leipziger Konservatorium, unter anderem bei Ferdinand David und E.F. Richter. Richard Wagner, der von seiner Mutter Julie geborene Momma früh gefördert wurde und der im Hause Ritter in Dresden verkehrte, brachte Alexander Ritter der Neudeutschen Richtung um Franz Liszt nahe. 1854 wurde er 2. Konzertmeister der Weimarer Hofkapelle, und im selben Jahr heiratete er die Schauspielerin Franziska Wagner, eine Nichte Richard Wagners. 1856 bis 1858 war er als Kapellmeister am Stettiner Theater engagiert. Es folgten Jahre freischaffender Tätigkeit, Jahre von zum Teil schwerer wirtschaftlicher Not, bis 1860 in Dresden, bis 1862 in Schwerin. 1863 bis 1868 lebte er in Würzburg, wo er zeitweilig am Stadttheater tätig war. Nach einem Aufenthalt in Paris bis 1869 war er, unterbrochen von einer einjährigen Tätigkeit in Chemnitz, wieder in Würzburg ansässig, wo er 1875 eine wenig erfolgreiche Musikalienhandlung gründete, welche er verkaufte, als ihn 1882 sein Freund Hans von Bülow in die Meininger Hofkapelle berief.

"Das Hauptereignis des Meininger Winters war für mich die Bekanntschaft mit Alexander Ritter, der im Orchester an der ersten Geige mitspielte. Er lud mich in sein Haus, in dem ich geistige Anregung fand, die den entscheidenden Ausschlag für meine künftige Entwicklung gab", schrieb Richard Strauss in seinen Betrachtungen und Erinnerungen. "Ihm verdanke ich, meinen dramatischen Beruf entdeckt zu haben. Ohne seinen Ansporn und seine Mitarbeit wäre ich, in meinem heillosen Respekt vor dem Riesenwerk Wagners, wohl kaum auf die Idee gekommen, eine Oper zu schreiben". Ritter nannte seinen jungen Freund "Mein liebes Sträusschen".

Nach Bülows Rücktritt in Meiningen ging Ritter mit diesem und Richard Strauss als Dritter im Bunde 1886 nach München, wo er sich niederließ. Dort verkehrte er in der Familie Strauss, auch kam er in nähere Beziehung zur Münchner Schule und Ludwig Thuille. Die wenigen Münchner Jahre wurden ihm zu einer Zeit erfüllten Schaffens. Ritter war auch literarisch tätig, so hat er zur Oper Theuerdank von Ludwig Thuille das Textbuch verfaßt, 1890 der Tondichtung Tod und Verklärung von Richard Strauss ein Gedicht unterlegt. Strauss hatte ihm seine Tondichtung Macbeth gewidmet. Einen Namen machte sich Ritter auch als Bearbeiter von Beethoven, unter anderem einer vierhändigen Fassung der Klavierkonzerte, sowie Haydn, Schubert und vor allem von Richard Wagner (Ausgaben mit Violine, Klavier und Harmonium). Sein Biograph wurde sein Schwiegersohn Siegmund von Hausegger, welcher in erster Ehe mit Ritters Tochter Hertha († 1913) verheiratet war. Hertha war Sängerin; sie ist als eine der frühen Interpretinnen von Werken Hugo Wolfs zu nennen. Erwähnt sei, daß S. v. Hausegger auch die Sammlung von Richard Wagners Briefen an Julie Ritter (München 1920) herausgab. Sein Bruder Karl Gottfried Ritter (1830-1891) veröffentlichte mehrere Trauerspiele und eine Theorie des deutschen Schauspiels.

Ritters kompositorisches Schaffen ist in seinem wesentlichen Teil dem Neudeutschen Stil verpflichtet. So steht er mit seinen sinfonischen Dichtungen zwischen Franz Liszt und Richard Strauss. Manches zeigt auch eine starke Abhängigkeit von Richard Wagner. Das streng komponierte Streichquartett op. 1 steht in der Nachfolge Beethovens. Bemerkenswert ist sein tiefempfundenes Liedschaffen, das ihn als frühesten deutschen Impressionisten ausweist. Erste Kompositionen Ritters erschienen erst in den 70er Jahren; möglicherweise hat er früher Entstandenes nicht als gültig angesehen und nicht veröffentlicht. Besonders gelobt wurden seine beiden Einakter Der faule Hans (UA 1885 München) und Wem die Kron‘? Beide Werke, letzteres zur Uraufführung, brachte Richard Strauss 1890 in Weimar heraus, was den Höhepunkt in Ritters Komponistenlaufbahn bedeutete. "Die Ritterschen Opern gedeihen prächtig und ich freue mich wie ein Schneekönig darauf. Ritter kommt Dienstag abend, Hurra!", schrieb Strauss an seine Schwester Johanna aus Weimar am 24. Mai 1890, auch daß "Wem die Krone ganz wundervoll ist. Hoffentlich gelingt es mir, Ritter einigermaßen zufrieden zu stellen, dann wäre ich furchtbar glücklich". Angemerkt sei, daß Der faule Hans auch in seiner baltischen Heimat, am Rigaer Stadttheater herauskam. Mit seinen beiden Opern-Einaktern schuf Ritter respektable Beiträge zum deutschen Musiktheater am Ende des 19. Jahrhunderts. Außerdem ist er über sein kompositorisches Schaffen hinaus als idealistischer, beredter Fürsprecher und Anreger der Neudeutschen Richtung bemerkenswert.

Werke: – Lieder –  Gesänge op. 2, Liebesnächte op. 4, Gesänge op. 5, 3 Lieder op. 6, 3 Lieder op. 7, Belsazar op. 8, 3 Kleine Lieder op. 9, 3 Lieder op. 10, Drei Gedichte op. 12, Fünf Gedichte op. 16, Zwei Gedichte op. 17, Benedictus op. 18, Primula veris op. 19, Fünf Lieder op. 20 u. op. 21, Deklamation Graf Walther op. 24 –  Kammermusik  – Streichquartett op. 1, 5 Characterstücke op. 3 für Violine u. Klavier, 3 Fantasiestücke für Violine, Klavier und Harmonium op. 14; Klavierquintett, Tonstück für Viola u. Klavier –  Orchester und Chorwerke –  Olaf’s Hochzeitsreigen op. 22, Sursum corda, eine Sturm- und Drang-Fantasie op. 23, Hymnen an das Licht (C.G. Ritter) f. Soli, Chor, Orchester u. Orgel, Patriotischer Frauenchor Den Gefallenen 1870/71, Kaiser-Hymne zum 22. März 1884, Erotische Legende Symphonische Dichtung, Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe (J. Kerner) Symphonische Dichtung, Symphonische Trauermusik für großes Orchester, Orchesterstücke Fronleichnam u. Charfreitag  – Opern – Der faule Hans, Oper in 1 Akt (eigenes Textbuch n. F. Dahn); Wem die Kron?, Oper in 1 Akt (eigenes Textbuch).

Lit.: Deutschbaltisches biographisches Lexikon 1710-1960. hrsg. von Wilhelm Lenz; Köln, Wien 1970. –  Oskar Kaul in MGG. – Riemann Musik Lexikon. – H. Scheunchen: Lexikon deutschbaltischer Komponisten, in Vorb. –  Nachruf A. Ritter in: Neue Zeitschrift für Musik Nr. 18 Bd. 92 S. 212. – Fr. Rösch: Alexander Ritter, in: Musikalisches Wochenblatt XIX 1898 9ff. –  S. v. Hausegger: A. Ritter, in: Die Musik, hrsg. Richard Strauss, Bln. 1908. –  H. Scheunchen: Die Musikgeschichte der Deutschen in den baltischen Landen, Dülmen 1990 155f.  –  Div. Briefausgaben von Richard Strauss sowie dessen Betrachtungen und Erinnerungen (Zürich 1949).

Bild: Richard Strauß und Alexander Ritter, Gemälde von Leopold Graf Kalckreuth, Weimar 1890, in: Willi Schuh: Richard Strauss Jugend und frühe Meisterjahre, Zürich 1976.

 

    Helmut Scheunchen