Biographie

Weiss, Silvius Leopold

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Komponist
* 12. Oktober 1686 in Breslau
† 16. Oktober 1750 in Dresden

Silvius Leopold Weiß entstammte einer Breslauer Musikerfamilie; außer seinem Vater Johann Jacob war auch sein Bruder Johann Sigismund ein ausgezeichneter Lautenist. Zwischen 1706 und 1708 als Lautenist in der Düsseldorfer Hofkapelle tätig, trat er anschließend in die Dienste des polnischen Prinzen Alexander Sobieski und begleitete diesen nach Rom. Auf seine Empfehlung wurden Vater und Bruder 1708 nach Düsseldorf verpflichtet. Nach dem Tode des Prinzen (1714) kehrte Weiß nach Deutschland zurück und wurde 1718 mit einem Gehalt von 1000 Talern, das später mehrfach erhöht wurde, kurfürstlich-sächsischer und königlich-polnischer Kammermusiker in Dresden. Er war der höchstbezahlte Instrumentalist der Dresdner Hofkapelle. Die vielen Reisen, die Weiß im Auftrag des sächsischen Königs unternahm, dienten meist der höfischen Repräsentation. 1718-1719 weilte er mit 11 weiteren Hofmusikern zur Brautwahl des sächsischen Kurfürsten in Wien, 1722 zur Hochzeit des bayerischen Kurprinzen mit einer kaiserlichen Prinzessin in München. Mehrfach besuchte er Prag und glänzte mit seinem Können 1723 bei der Krönung Kaiser Karls VI. zum böhmischen König. 1728 begleitete er seinen Herrn nach Berlin, wo er nach dessen Rückreise drei weitere Monate blieb, vermutlich auf Bitten der Lieblingsschwester des Kronprinzen, der späteren Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Als Interpret errang Weiß internationale Geltung. Von kompetenter Seite wurde er als „vielleicht größter Lautenspieler, der je gelebet hat“, bezeichnet, und auf seinen Grabstein ließen Freunde meißeln: „Nur Silvius soll die Laute spielen.“ Weißens Schüler und Landsmann, der Breslauer Ernst Gottlieb Baron, beschreibt in seiner „Untersuchung des Instruments der Lauten“ (Nürnberg 1727) mit rühmenden Worten die einmalige Vortragskunst seines Lehrers.

Dieses Urteil bestätigen uns auch uneingeschränkt seine rund 100 Kompositionen, die, von einer Ausnahme abgesehen, zu Lebzeiten nicht gedruckt wurden und heute hauptsächlich von den Bibliotheken in Dresden, London und Moskau im Manuskript überliefert werden. Im Vordergrund seines Schaffens steht die Suite, von ihm häufig als Sonate bezeichnet, daneben gewichtige Charakterstücke, Capricci, eine Fantasie und diverse Einzelsätze für Laute solo, ferner Kammermusik mit Laute. Der Schwerpunkt seines Œuvres scheint nach eigenen Datierungen in die frühen Dresdner Jahre (1717-1721) zu fallen. Erst etwa die Hälfte seines Schaffens liegt bisher im Neudruck vor.

Weiß variiert stärker als seine Vorgänger die zyklische Form der Suite und nimmt in sie auch zahlreiche freie, nicht-tanzbezogene Stücke auf. Stilistisch steht er in unmittelbarer Nähe J.S. Bachs, mit dem ihn auch enge Freundschaft verband. Er bevorzugt einen dichten, polyphon strukturierten Satz, fordert vom Spieler höchstes technisches Können und verwendet in der Melodiegestaltung die italienische Kantabilität nur sparsam. Gleich Bach gehört er zu den kühnsten Harmonikern seiner Zeit. In der lebhaften Darstellung der Affekte und in der Kunst der musikalischen Rhetorik verbindet beide eine gewisse „Seelenverwandtschaft“. Weißens künstlerische Phantasie, die seine Zeitgenossen vor allem in der freien Improvisation bewunderten, spiegelt sich auch im gleichen Maße in den Kompositionen wider, vornehmlich in seinen genialischen Präludien. Uneingeschränkt gilt das treffliche Urteil, das der erste Bach-Biograph, Nikolaus Forkel, 1782 über die Werke von Weiß fälle: „In dem ächten und körnichten Geschmack geschrieben wie ungefähr die Clavierarbeiten des seligen J.S. Bach.“ Weiß ist heute der weltweit bekannteste schlesische Komponist.

Werke: 6 Suiten und 3 Stücke in: Lautenmusik des 17. und 18. Jahrhunderts, hrsg. im H. Neemann (Das Erbe deutscher Musik, Bd. 12), Frankfurt 1939, 4/1974; 28 Suiten und 41 Stücke in: Intavolatura di Liuto (= Londoner Ms.), hrsg. von R. Chiesa, Milano 1976; Music for the Lute (= Moskauer Ms.), hrsg. von R. Manabe, Tokyo 1976; Sämtliche Werke, hrsg. von D.A. Smith, 10 Bde., Frankfurt 1980 ff.

Lit.: H. Neemann, Die Lautenistenfamilie Weiß, in: Archiv für Musikforschung 1/1939, 157 ff.; L. Hoffmann-Erbrecht, Der Lautenist S.L. Weiß und J.S. Bach, in: Ars musica – Musica scientia. Festschrift H. Huschen, Köln 1980, 246 ff.; ders.; Bedeutende schlesische Lautenisten der Barockzeit, in: Barock in Schlesien, Dülmen 1981, 35 ff.