Biographie

Wolf, Jakob

Herkunft: Donaugebiet
Beruf: Lyriker, Leitfigur der Donauschwaben
* 21. April 1914 in Feketisch/Batschka
† 9. Januar 1987 in Sindelfingen

Jakob Wolf wurde am 21. April 1914 in Feketitsch, einer gemischtsprachigen Gemeinde in der östlichen Mittelbatschka, als jüngstes von fünf Kindern geboren. Seine Eltern Georg und Philippina Wolf, geb. Brauchler, waren Kleinhäusler, der Vater von Beruf Gemeindepolizist, genoss also Ansehen in der Gemeinde und zählte zur erweiterten Dorfelite. Gerade deswegen wollte der Vater für seinen begabten Sohn die enge Dorfwelt aufbrechen und schickte ihn auf das Unter-Gymnasium im benachbarten Neu-Werbass, wo er nach vier Klassen mit der mittleren Reife abschloss.

Die aufopfernde Fürsorge der Mutter, die weltoffene Art des Vaters, der sich wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten jahrelang in den USA aufhielt, die verständnisvollen Geschwi- ster, die multinationale Dorfumwelt, schließlich die vertraute und Sicherheit verströmende donauschwäbische Lebenswelt prägten Wolfs Kindheit. Nach dem Abgang vom Gymnasium und der Ableistung seines zweijährigen Dienstes beim jugoslawischen Militär übernahm er 1938 eine Stelle in der Kommunalverwaltung seines Heimatorts und wurde aktives Mitglied des Schwäbisch-deutschen Kulturbundes. In der Gemeinde hatte er sich um Matrikel, Kataster, Steuern, um das Militär zu kümmern, führte die Wählerlisten und bekleidete zuletzt die Stelle eines Unternotärs. Nach der ungarischen Besetzung der Batschka als Folge des Jugoslawienkrieges 1941 gab er seine Position auf, trat in die Dienste des „Volksbundes der Deutschen in Ungarn“ (VDU) und kümmerte sich hier besonders um die Jugend- und Kulturarbeit sowie um den Ausbau des deutschen Vereinswesens. 1943 wurde er zum deutschen Heer eingezogen, kämpfte an der Ostfront, wurde aber bald verwundet und dann als Kriegsverwendungsunfähiger zum Abteilungsleiter innerhalb des VDU ernannt. Seine besondere Aufgabe bestand nach der Bedrohung der donauschwäbischen Heimatgebiete durch die russischen Truppen darin, die Flüchtlingstrecks zu betreuen.

Wolf war zu Kriegsende 31 Jahre alt, hat als sensibler, offener und lernwilliger junger Mann die Eindrücke, die sich ihm boten, und die schicksalhaften Erlebnisse jener Jahre, zunächst die des mitreißenden Aufbruchs, dann den tragischen Fall seines Stammes mit dem furchtbaren Ende 1944/45 tief in sich aufgenommen. In diese Zeit fällt auch die Veröffentlichung seiner ersten Gedichte.

Überblickt man diese reifere Jugendzeit Wolfs, so treten drei Grunderfahrungen besonders hervor, die sein weiteres Leben bestimmten: Es sind dies einmal sein Streben nach Selbstbildung, dann sein tiefer Schmerz über das tragische Schicksal seiner eigenen Familie und seiner Landsleute und schließlich seine außerordentlich starke Heimatliebe.

Die insgesamt weltoffene Atmosphäre im Hause Wolf ließ den jungen Gymnasiasten alle geistigen Anregungen in sich einsaugen. Mit dem lyrischen Werk seines Landsmannes Nikolaus Lenau dürfte er bereits auf dem Gymnasium bekannt geworden sein.

Das zweite prägende Erlebnis für Wolf war der Verlust der Heimat. Der von der Ebene geprägte Mensch des Ostens besitzt eine gewisse Ursprünglichkeit, Unbefangenheit, zugleich eine natürliche Selbstgewissheit. Man lebt im Einklang mit der Natur, den Jahreszeiten und dem Arbeitsrhythmus. Daraus entwickelt sich eine starke Leidenschaftlichkeit, die sich in tie- fer Heimatliebe und in außerordentlicher Hingabe an Sachen und Aufgaben auslebt. Eine solche Verkörperung des von Pannonien geprägten Menschen dürfen wir in Wolf sehen. Seine in Gedichten immer wieder auftauchende Liebe zur verlorenen Heimat, seine Sehnsucht nach ihr, verbunden mit einem schwermütigen Charakter prägen ihn genauso wie seine Leidenschaft und sein Pflichtbewusstsein bei seiner vielseitigen landsmannschaftlichen, kulturellen, organisatorischen, verwaltungsmäßigen sowie künstlerischen Arbeit.

Die dritte treibende Kraft in Wolfs Leben war der Schmerz, von dem er sagt, dass er ihm die Herzadern aufschlitzte. Die Zeit zwischen 1938 und 1952 waren für Wolf Jahre des Suchens und Ausreifens. Stark gezeichnet vom Verlust der geliebten Heimat und dem Tod seiner Eltern und seiner Schwester mit ihren vier Kindern in den Lagern Sekitsch und Kruschiwl, genauso aber von den Erfahrungen als Frontsoldat und Verwundeter, musste er diese Leiderfahrungen irgendwie kompensieren. Was lag näher, als da fortzufahren, wo er als junger Mensch in der alten Heimat aufgehört hatte. Als aufgeweckter und wissbegieriger junger Mann hatte er ja seine schulische Laufbahn nicht wegen mangelnder Begabung abgebrochen, sondern weil die materiellen Verhältnisse seiner Familie es nicht anders zuließen. Das, was ihm fehlte, versuchte er durch den Fleiß und das stetige Streben des Autodidakten wettzumachen. Gleichzeitig ließ sich so der tiefe Schmerz über den Verlust der Eltern und der Heimat am besten bewältigen. „Mir schlitzte das Leben die Herzadern auf – und so blutete ich gewissermaßen meine Verse aufs Papier“, erklärt er selbst diese Berufung zur Lyrik. Dass Wolf später als ein äußerst vielseitig begabter Mensch erscheinen konnte, der in gleicher Weise Verwaltungsfachmann, kreativer Organisator, kluger und vorausschauender Spitzenmann der Landsmannschaft, Ansprechpartner für Jedermann im Haus der Donauschwaben, ebenso aber auch Lyriker, Dichter und weiser Visionär sein konnte, erklärt sich nur aus der Tatsache, dass Schmerz und Leid zur Bewältigung ungeahnte Kräfte herausfordern.

Noch dazu blieb diese Schmerzwunde Zeit seines Lebens offen, er vermochte sie allerdings stets positiv zu aktivieren, sie als ständigen Stimulans für seine Arbeit zu nutzen. Die Schmerzensquelle wandelte er so in eine Kraftquelle. Diese Verwandlungskunst befähigte ihn auch, die Grundspannung seines Daseins zu überbrücken, die sich in der Formulierung „Morgens zur Kanzlei mit den Akten, abends auf den Helikon“, ein Zitat von August von Platen, ausdrückt. Wolf war ein Pflichtmensch, dem das Studium der Akten, die Beschäftigung mit Satzungen und Paragraphen sicher nicht ausfüllte, wahrscheinlich auch gar nicht befriedigte. Aber er war offen für die Einsicht, dass seinen in der Anfangsphase entwurzelten, hoffnungs- und hilflosen Landsleuten nicht mit schönen Worten des Literaten zu helfen war, sondern dass sich die einfache Wahrheit echter Menschlichkeit aus dem praktischen Leben ergibt. Lebensklug ist es, aus dem Leben poetische Funken zu schlagen, nicht aber die Poesie mit dem Leben zu verwechseln. Der poetische Funke war für ihn die Hingabe an die Aufgaben des Tages. Es gelang ihm, mit seiner Liebe zum Detail und dem Drang, den tieferen Sinn aus Paragraphen und Akten herauszufiltern, sie sozusagen zu veredeln und menschlich beziehbar zu machen. So gewann er Nähe zu den Menschen, die Sinnerfüllung an seinen Pflichten und aus der spontanen Dankbarkeit der von ihm Betreuten die tiefe innere Befriedigung, am rechten Platz zu stehen; alles in allem die praktische Meisterschaft, die nicht ermüdet, weil sie sich täglich aus sich selbst heraus erneuert.

Nach seiner Vertreibung arbeitete Wolf als Knecht auf einem Bauernhof in Oberösterreich, schlug sich als Versicherungsvertreter durch und landete schließlich als freier Journalist und Mitarbeiter bei der donauschwäbischen Wochenzeitung Neuland in Salzburg. Bereits 1946 verlegte er seinen Lebensmittelpunkt in die Bundesrepublik Deutschland, wurde 1948-1952 Gemeinderat in Fridolfing und organisierte die Landsleute im Kreise Laufen an der Salzach. Dank dieser Aktivitäten gelangte er in den Führungskreis der Landsmannschaft in München.

1952 übersiedelte er nach Stuttgart und wurde gleich einer der Begründer der Landsmannschaft der Donauschwaben in Baden-Württemberg. 1953 trat er in den öffentlichen Dienst ein, arbeitete zuerst als Sachbearbeiter, dann als stellvertretender Leiter der Heimatauskunftsstelle beim Landesausgleichsamt Baden-Württemberg in Stuttgart. Entsprechend seiner Art strebte er aber von Anfang an über die enge Büroarbeit hinaus. So war er maßgeblich beteiligt an der Übernahme der beiden Patenschaften: Über die Volksgruppe der Donauschwaben durch das Land Baden-Württemberg 1954 und durch die Stadt Sindelfingen 1964 über die Donauschwaben aus Jugoslawien. Darüber hinaus prägte er die meisten der großen Heimattreffen der Donauschwaben, vor allem das letzte 1969 in Sindelfingen, organisatorisch und inhaltlich mit.

Seine berufliche Schicksalsstunde schlug im Jahr 1964, als man ihn zum Leiter des Patenschaftsbüros in Sindelfingen berief, ein Amt, das er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1980 wahrnahm und mit dem er anschließend als Chef des Hauses weiterhin aufs engste verbunden blieb. Es war dies eine Stellung, die ihm nicht nur auf den Leib geschnitten war, sondern die sich auch zur Schaltstelle für das gesamte donauschwäbische Leben entwickelte, wie es sich in der Bundesrepublik Deutschland sowie in der gesamten Welt abspielte.

Selbst ein Spitzenfunktionär innerhalb der Landsmannschaft, als Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, als Bundesgeschäftsführer sowie Bundeskulturreferent, ja sogar für zwei Jahre als Bundesvorsitzender der Donauschwaben aus Jugoslawien, ergab sich in diesen Schlüsselpositionen eine enge Verzahnung zum Wohle eines gesamtdonauschwäbischen Lebens in Deutschland: Die Wirksamkeit nach außen ließ sich auf diese Weise steigern, das Niveau in Arbeit und Leistung auf eine höhere Ebene heben und alles, was donauschwäbisches Leben ausmachte, immer stärker an das Haus binden. Am wichtigsten erwies sich aber die Vereinigung von legislativer Weisungs- und Exekutivebene in seiner Person: Alles, was im „Braintrust“ der Landsmannschaftsführung besprochen und beschlossen wurde, vermochte der Alleskönner Wolf im Hause unmittelbar in die Tat umsetzen.

Hinter der nüchternen, seit seiner Jugend gewohnten organisatorischen Arbeit, die ihn aber als künstlerisch veranlagten Menschen nicht unbedingt ausfüllte, suchte Wolf immer den Menschen, den Landsmann, den Schicksalsgefährten. Arbeit am Menschen war seine Arbeitsauffassung: Ihnen zu ihrer Gerechtigkeit zu verhelfen beim Lastenausgleich; ihnen mit Rat und Tat die Eingewöhnung und Eingliederung zu erleichtern; sie in eigenen Veranstaltungen mit donauschwäbischer Kultur – sowohl in Literatur, bildender und auch Volkskunst, aber auch in Geschichte – vertraut zu machen und damit ihre Identität zurückzugeben; verdienstvolle Leute zu ehren und mit seinen kenntnisreichen, bildhaften und scharfsinnigen Laudationes ihnen das Erlebnis von etwas Besonderem zu vermitteln; als Leiter des Weltheimathauses dieses mit Weltläufigkeit zu erfüllen und mit seiner schmucken, stets auf das Donauschwäbische bezogenen Einrichtung, die ihm zu verdanken ist, die Besucher zu führen und ihnen als Gepäck ein Stück donauschwäbische Heimat mitzugeben. All das erleichterte es dem feinsinnigen Wolf, über die Akten zum Helikon, zum Sitz der Musen vorzustoßen. Es war die allzeit bereite Hingabe einer glühenden Dich­ter­seele, alles Tun in den Mittelpunkt seines Volks hineinzustellen und ihm eine höhere Sinngebung zu verleihen.

Einen solchen, eigentlich in allen Sätteln gerechten Mann berief man natürlich in verwandte Institutionen: Er gehörte der Künstlergilde in Esslingen an und gründete mit Gleichgesinnten die Internationale Lenaugesellschaft. Er beteiligte sich an zahlreichen Aktionen, donauschwäbische Erinnerungskultur über die Lande zu verbreiten: Zu erwähnen ist hier das Ahnendenkmal in Ulm, das Lenau-Denkmal in Stuttgart-Zuffenhau­sen und das A. Müller-Guttenbrunn-Denkmal in Mosbach/ Baden. Die vielen Ämter, die Wolf bekleidete, machen es verständlich, dass er mit einer Fülle von Ehrungen überschüttet wurde, u.a. dem Bundesverdienstkreuz, dem Donauschwäbischen Kulturpreis, dem Adam-Müller-Guttenbrunn-Ring sowie dem Silbernen Verdienstzeichen der Republik Österreich.

Obwohl sein Arbeitsgebiet die ganze Welt umfasste, blieb der Lieblingsort seiner Tätigkeit das Weltheimathaus der Donauschwaben, die „Wolfsburg“, wie viele sagten. Hier sorgte er dafür, dass es sich im Laufe der Zeit zur Zentrale donauschwäbischen Lebens in der neuen Heimat entwickeln konnte. Es repräsentierte die alte Heimat in den musealen Ausstellungsstücken, in der Veranstaltung der Trachtenfeste, den Gedenk- und Totenfeiern; es verstärkte donauschwäbisches Identitätsbewusstsein durch vielfältige Kulturpflege, als Ort der Begegnung der Landsleute, der Vereine und Einzelorganisationen wie Lehrerschaft oder Familienforscher oder als Tagungsstätte für landsmannschaftliche Anliegen. Immer mehr wuchs es so in die vorher nicht geahnte Rolle hinein, Schauplatz gesamtdonauschwäbischen Lebens zu sein und damit donauschwäbische Geschichte abzubilden.

Das lyrische Werk Wolfs sei betrachtet unter dem Aspekt „Und was bleibet, stiften die Dichter“. Dieses Hölderlinzitat will besagen, dass die lyrischen Dichter etwas Bleibendes schaffen, dass sie nicht nur aussagen, sondern stiften. Eine Stiftung ist auf Langzeit angelegt und bewirkt Gutes. Was kann ein Dichter Zeitüberdauerndes hinterlassen? Hölderlin bezieht diesen Satz auf die eigene Dichtung und sieht sich in der Rolle des Visionärs, des Sehers, der als Berufener einen tieferen Blick hinter die Kulissen werfen kann und damit der Wahrheit auf der Spur ist. Er kann deshalb seinen Landsleuten raten, wie sie leben und handeln sollen. Von dieser Aussage war Wolf tief ergriffen. Er erkannte zwar bald, dass die Sprachgewalt und Formenvielfalt seiner beiden Vorbilder Hölderlin und Stefan George ihm nicht gemäß und daher nicht zu erreichen waren. Aber Bleibendes wollte auch er in seinen Versen zur Sprache bringen. Viel näher stand ihm dabei sein pannonischer Landsmann Nikolaus Lenau. Dieser bevorzugte in seinen Gedichten, die sich auf die ungarische Tiefebene beziehen, Themen und Eigenarten der Landschaft, wie sie auch Wolf vorschwebten. Noch dazu fühlte er sich in gewisser Weise wesensverwandt: Ihnen gemeinsam war die Sehnsucht nach der pannonischen Heimat und damit das Heimweh sowie der Drang, einen einfachen, fast volksliedhaften Ton in ihre Lyrik zu legen. Somit versuchte Wolf mit seinen Heimatgedichten den Schmerz über den Verlust der Heimat und der Menschen, die mit ihr untrennbar verbunden waren, sowie die Sehnsucht nach ihr, die er unauslöschlich im Herzen trug, sich von der Seele zu schreiben. Damit leistete er das Bleibende: Das, was viele seiner Landsleute empfanden, in Worte und Sprachmelodie zu verwandeln sowie die Heimat mit Worten zu malen und so unverlierbar zu machen, wie er es in seinem Gedicht „Unverlierbare Heimat“ formuliert hat:

Wer die Heimat kannte,
die ich Heimat nannte,
der verlor sie nicht;                                                                             

Tief ins Herz geschrieben
ist sie ihm geblieben,
wie ein Seelenlicht.

Nichts hab ich besessen,
doch auch nichts vergessen;
alles blieb bestehn.                                                                             

All der Blumen Düfte,
Vogelsang der Lüfte
können nicht vergehn.

Warum soll ich trauern
um zerfallene Mauern,
die mir nie gehört?                                                                              

Heimat ist im Innern,
mehr als nur Erinnern,
Bleibt drum unzerstört.

Wer die Heimat kannte,
die ich Heimat nannte,
der verliert sie nie;                                                                              

tief ins Herz geschrieben
ist sie ihm geblieben –
eine Herzensmelodie.

Bild: Jakob Bohn, Stuttgart, Archiv Stefan Teppert, Meßstetten.

Ingomar Senz