Biographie

Jany, Curt

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Militärhistoriker
* 22. Oktober 1867 in Memel
† 18. Februar 1945 in Berlin

Das brandenburgisch-preußischen Staatswesen hat sich in besonderer Weise zwischen Kunst und Militär bewegt. Die Residenzstadt Potsdam wurde so zum Symbol für das gleichermaßen kunstsinnige wie militärische Preußen. In der ehemaligen Kriegsschule, heute Sitz des Brandenburgischen Landtages, die am Brauhausberg gegenüber dem traditionsreichen Zentrum mit Stadtschloß und Lustgarten um die Jahrhundertwende gebaut worden war, befand sich seit 1919 das Reichsarchiv. Ein exzellenter Kenner von dessen militärischen Beständen war der Militärhistoriker Curt Jany. Er hat wissenschaftliche Beiträge zum Geschichtsbild einer Armee geliefert, der er selbst lange angehörte. Seine Arbeiten sind von zeitloser Gültigkeit, denn ein großer Teil der Archivalien, auf denen sich seine Veröffentlichungen stützen, existiert nicht mehr. Am 14. April 1945 griffen englische Bomber Potsdam an. Zusammen mit herausragenden Bauwerken wurde das Reichs- und Heeresarchiv getroffen, wo außerordentlich wichtiges Archivgut vernichtet wurde. Curt Jany, der wenige Wochen zuvor in Berlin verstorben war, hatte die reichhaltigen militärhistorischen Quellen noch auswerten können.

Curt Jany war ein Kind Ostpreußens. Vor seinem Eintritt in das 3. Magdeburgische Infanterieregiment Nr. 66 (Garnison Magdeburg) im Jahre 1888 hatte er an den Universitäten Leipzig und Berlin studiert. Nach Jahren im Truppendienst wurde er Ende 1896 nach Berlin zur Kriegsakademie kommandiert, jener weiterführenden humanistischen Bildungsstätte für angehende Generalstabsoffiziere, die sich dem Gründungsauftrag der Militärreformer verpflichtet sah. Mehrere Monate verbrachte Jany anschließend in der Schweiz zur Vervollkommnung französischer Sprachkenntnisse. In den Jahren 1906 bis 1908 diente er im Rang eines Hauptmanns als Kompaniechef beim 2. Masurischen Infanterie-Regiment Nr. 147 in Lyck. Während des Ersten Weltkrieges war Jany zuerst Bataillons-, dann Regimentskommandeur.

Die übrige Dienstzeit, seine wichtigste, war Jany, seit 1909 Major, im Großen Generalstab tätig. Von Beginn an war in dem 1808 geschaffenen Generalstab eine amtliche Beschäftigung mit Militärgeschichte intendiert, um "Bildung und Gebrauch der Truppen in strategischer und taktischer Hinsicht" zu fördern. So ist die deutsche Militärgeschichtsschreibung durch Angehörige der kriegsgeschichtlichen Abteilungen des Generalstabes zur Fachwissenschaft geworden, ergänzt durch die vielfach von Truppenoffizieren verfaßten Regimentsgeschichten und die Kriegsmemoirenliteratur. Ähnlich wie Max Jähns (1837-1900), den man als "gelehrtesten" Offizier vor Curt Jany bezeichnen kann, war diesem an der Untersuchung einer Verbindung von Kriegseignissen und Kriegswesen, gelegen. Ihm ging es sowohl um Ereignisdarstellung wie die Behandlung interdependenter Strukturen. Militärgeschichte, und darunter verstand man um die Jahrhundertwende noch vornehmlich die Kriegsgeschichte, galt innerhalb der Armee als wichtige Erfahrungsgrundlage, als Erkenntnisquelle für die Praxis.

Auch bei den Kriegsgeschichtlichen Abteilungen I und II unterlagen die Offiziere in der Regel dem Wechsel zwischen Generalstab und Truppenkommando, Janys Dauerstellung war eine Ausnahme. Mit unermüdlichem Fleiß war er publizistisch tätig, so für die von seiner Kriegsgeschichtlichen Abteilung II herausgegebene heeresgeschichtliche SchriftenreiheUrkundliche Beiträge und Forschungen zur Geschichte des preußischen Heeres. Von 1901 bis 1914 erschienen darin 35 Hefte, die sorgsam edierte Aktenstücke und zeitgenössische Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts sowie ebenso gründlich erarbeitete Darstellungen und Untersuchungen enthielten. Die DDR-Militärwissenschaft sah in dieser Reihe "ein maßgebliches Element […] der reaktionären Traditionspflege des preußischdeutschen Militarismus", obgleich man ihr als Leserschaft die geistig anspruchsvolleren Offiziere zugestand (R. Brühl, Militärgeschichte und Kriegspolitik, [Ost-]Berlin 1973, S. 178).

Zeitlicher und thematischer Schwerpunkt von Janys Arbeiten war die Epoche Friedrichs des Großen, seit den 1820er Jahren ein herausragendes Forschungsfeld publizistisch tätiger Generalstabsoffiziere. Jany verfaßte in dieser Reihe Hefte überDie Anfänge der alten Armee (H. 1, 1901) oder Die alte Armee von 1655 bis 1740 (H. 7, 1905). Man kann darin Vorläufer seiner einzigartigenGeschichte der Königlich Preußischen Armee vom 15. Jahrhundert bis 1807 sehen. Dieses ursprünglich dreibändige Opus erschien 1928-1929. Angesichts der umfangreichen Vernichtung von Quellen im Zweiten Weltkrieg ist dieses 1967 unverändert nachgedruckte Werk nach wie vor besonders beachtlich. Im Vorwort zum ersten Band begründete der Autor sein Vorhaben damit, daß "die Geschichte der Preußischen Armee […] noch keine auf die Akten gegründete zusammenfassende Darstellung gefunden" habe, "die den wissenschaftlichen Ansprüchen der Gegenwart genügen könnte". Im Sinn der von Ranke geprägten Geschichtsschreibung gab er seiner Hoffnung Ausdruck, "daß die einfache aktenmäßige Erzählung dem Leser nicht trocken erscheinen wird". Im Jahr 1933 kam als Fortschreibung seiner Armeegeschichte ein das "lange Jahrhundert" bis 1914 behandelnder vierter Band heraus.

Im Zusammenhang mit der Reduzierung der Armee aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages war Jany, zuletzt im Kriegsministerium mit dem Rang eines Generalmajors, 1920 verabschiedet worden. Im Jahre 1938 würdigte die Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin Janys beachtliches Lebenswerk durch die Verleihung der silbernen Leibnizmedaille. Curt Jany war Soldat, aber eben nicht vom Typ des "Nur-Offiziers", sondern Vertreter des "Gebildeten Offiziers" und einer Soldatengeneration, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammte, an der Schwelle des neuen Jahrhunderts wirkte und dabei militärtechnische und politsche Umbrüche bis hin zu zwei Weltkriegen erlebten mußte.

Werke: Geschichte der  Königlich Preußischen Armee vom 15. Jahrhundert bis 1914, 4 Bde., 1928-1929 und 1933 (Neudruck 1967). – Die brandenburgischen Hilfstruppen Wilhelms von Oranien 1688, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 2, 1889. – Lehndienst und Landfolge unter dem Großen Kurfürsten, in: ebd. 8, 1895; 10, 1898. –  Die Anfänge der alten Armee, Teil 1, in: Urkundliche Beiträge und Forschungen zur Geschichte des preußischen Heeres, 1901, Heft 1. – Das Gaudische Journal des siebenjährigen Krieges. Feldzüge 1756 und 1757, in: ebd. 1901, Heft 3; Feldzüge 1758-1763, in: ebd. 1912, Heft 20. – Die Gefechtsausbildung der Preußischen Infanterie von 1806. Mit einer Auswahl von Gefechtsberichten, in: ebd. 1903, Heft 5. – Der preußische Kavalleriedienst vor 1806, in: ebd. 1904, Heft 6. – Die alte Armee von 1655 bis 1740. Formation und Stärke, in: ebd. 1905, Heft 7. – Die Dessauer Stammliste von 1729, in: ebd. 1905, Heft 8. – Hochkirch, in: Militärwochenblatt, 1905, Beiheft 3. – Zum Friedrichstage. Das Treffen bei Burkersdorf am 21. Juli 1762, in: Militärwochenblatt, 1907, Beiheft 3. – Der Siebenjährige Krieg. Ein Schlußwort zum Generalstabswerk, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 35 (1923). – Die Kantonverfassung Friedrich Wilhelms I., in: ebd. 38 (1926).

Lit.: Neue Deutsche Biographie, Bd. 10. Berlin 1974, S. 350. – Vorwort Neudruck der Geschichte der Königlich Preußischen Armee,  Bd.1, 1967.

Bild: Titelblatt des ersten Bandes von Janys Geschichte der Preußischen Armee.

  Stephan Kaiser