Im Zusammenhang mit der Geschichte des Deutschen Ordens steht das Jahr 1525 meist für die Säkularisierung des preußischen Ordensstaates. Doch bedeutet dieses Jahr einen Ein-schnitt auch in der Geschichte Livlands, das in den Jahrhunderten zuvor zwar mit Preußen verbunden gewesen war, allerdings eine andere Entwicklung als der Staat des Hochmeisters genommen hatte. Während sich im Ordensstaat Preußen nach der Besitzergreifung durch den Deutschen Orden im 13. Jahr-hundert ein geschlossenes Territorium gebildet hatte, formten sich in Livland nach der Aufsegelung mit dem Deutschordens-land, dem Erzbistum Riga und den Bistümern Kurland, Dorpat und Ösel-Wiek insgesamt fünf geistliche Territorien. Das livländische Deutschordensgebiet mit dem Meister an der Spitze unterstand seit 1237, der Vereinigung des livländischen Schwertbrüderordens mit dem Deutschen Orden (vgl. OGT 1987, S.215 ff), in verfassungsrechtlicher Hinsicht dem Hochmeister des Deutschen Ordens in Preußen, über den es indirekt dem Reich verbunden war. Die 1346 von Dänemark an den Deutschen Orden verkauften Landschaften Harrien und Wierland mit Reval in Nordestland waren dem livländischen Ordensmeister nur zur Verwaltung überlassen. Mit dem Frieden von Krakau am 8. April 1525 (vgl. S. 326) und der Säkularisierung des preußischen Ordensstaates wurde nun der hergebrachten Verfassungskonstruktion endgültig die Grundlage entzogen.
Doch waren bereits in den Jahrzehnten zuvor die Beziehungen zwischen dem Deutschen Orden und seinem livländischen Zweig zuweilen durch unterschiedliche politische Interessen gekennzeichnet gewesen, weil der preußische Hochmeister Albrecht von Brandenburg (vgl. OGT 1986, S.226-228) wie seine Vorgänger an den Hoheitsrechten über Harrien, Wierland festhielt, auf Einfluss auf die Meisterwahlen in Livland nicht verzichten wollte, dem livländischen Meister Wolter von Plettenberg (vgl. OGT 1985, S. 62-64) die Regalien vorenthielt und sich Ende 1524 sogar selbst um die Belehnung mit Livland bemüht hatte. Nachdem Albrecht von Brandenburg jedoch für seinen Krieg gegen Polen 1519 vom livländischen Ordensmeister Subsidien erhalten hatte, war es diesem gelungen, ab 1520 die Bindungen an den preußischen Hochmeister zu lockern. Zunächst hatte Plettenberg sich das Recht verbriefen lassen, ohne Einschaltung des Hochmeisters vom Kaiser die Regalien zu empfangen. Die Wahl des livländischen Ordens-meisters sollte künftig völlig frei und in der Weise erfolgen, dass der Hochmeister den vom livländischen Orden benannten Kandidaten für das Amt zu bestätigen hatte. Der Hochmeister leistete zudem am 15. Januar 1525 gegen die Zahlung von 24000 Horngulden Verzicht auf die Oberhoheit über die Landschaften Harrien und Wierland mit Reval und überließ sie dem Ordensmeister in Livland ohne weitere Auflagen.
Es galt nun für den livländischen Ordensmeister Wolter von Plettenberg, eine politische und verfassungsrechtliche Antwort auf die veränderte Situation zu finden. Der Erwerb der Regalien bedeutete den Gewinn der Reichsfürstenwürde. Dies verbesserte das Prestige Plettenbergs in Livland. Sie sollte wohl auch die Unterstützung durch Kaiser und Reich bringen, deren Livland in seiner gegenüber Moskau exponierten Lage dringend bedurfte. Weiterhin verständigte sich Plettenberg mit dem Orden im Reich, dem Deutschmeister, auf Maßnahmen gegen den nunmehrigen Herzog Albrecht von Preußen, der auf Plettenberg einzuwirken trachtete, Livland zu säkularisieren. Doch haben in Livland an einer solchen Entwicklung, die für Wolter von Plettenberg die Alleinherrschaft gebracht hätte, nur die Städte Riga und Reval und die harrisch-wierische Ritterschaft, kaum aber die geistlichen Landesherren ein Interesse gehabt. Am 24. Dezember 1526 wurde der livländische Meister urkundlich in den Reichsfürstenstand aufgenommen. Eine Rechtshilfe für Livland wurde jedoch abgelehnt. Vielmehr wurden Forderungen nach Hilfe Livlands für das Reich laut. Auf dem Reichstag zu Augsburg wurde Plettenberg in Vertretung am 26. Juli 1530 durch Karl V. mit den Regalien belehnt. Im Hinblick auf die Situation des Deutschen Ordens erhob sich die Frage, ob sich nun zwei Ordensteile ausbilden würden oder ob der Deutschmeister oder der livländische Ordensmeister das Hochmeisteramt und damit die Führung des gesamten Ordens übernehmen würde. Beide meldeten ihren Führungsanspruch an. Doch waren die Bemühungen Wolters von Plettenberg erfolglos, die Ordensleitung fiel schließlich 1530 auf dem Augsburger Reichstag dem Deutschmeister Walter von Kronberg zu.
In den folgenden Jahren versuchte Herzog Albrecht, Einfluss in Livland zu nehmen und das nahe Preußen gelegene Erzstift Riga durch Säkularisierung in seinen Kontrollbereich zu bringen. Sein Bruder, Markgraf Wilhelm von Brandenburg, wurde nämlich 1530 Koadjutor des Erzbischofs von Riga, 1539 er-langte er sogar das Amt des Erzbischofs. Doch fühlte sich die Ritterschaft des Erzstifts dem Reich zugehörig, und 1536 scheiterte Markgraf Wilhelm beim Versuch, das Bistum Ösel-Wiek zu erlangen. Die Ordensmeister nach Wolter von Plettenberg konnten auch als Reichsfürsten nicht verhindern, dass sich die äußeren Rahmenbedingungen für den Fortbestand des livländischen Ordensstaates zunehmend verschlechterten, während sich im Inneren die lutherische Konfession weiter durchsetzte und dem strukturell veralteten Orden auch die ideelle Basis entzog. Das Gasthandelsverbot der livländischen Städte führte zu einer immer stärkeren Entfremdung von Lübeck, das seiner-seits mit der Grafenfehde in den dreißiger Jahren erheblich an Macht verloren hatte. Da aus dem an Livland weit weniger als am Südosten interessierten Reich keine Hilfe zu erhalten war, konnte Livland den Angriffen des russischen Zaren nicht dauerhaft standhalten. 1558 fielen Narva und Dorpat, im Jahr 1560 kam es zu weiteren Niederlagen des Ordens. In der Folge gerieten sämtliche Teile Livlands mit Ausnahme der Stadt Riga unter die Herrschaft Schwedens, Dänemarks, Polens oder Ruß-lands. Der Ordensstaat Livland endete am 28. November 1561, als sich der letzte Ordensmeister Gotthard Kettler als Herzog von Kurland dem polnischen König unterstellte.
Lit.: Leonid Arbusow (jun.): Wolter von Plettenberg und der Untergang des Deutschen Ordens in Preußen. Eine Studie aus der Reformations-zeit Livlands, Leipzig 1919 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 131). – Reinhard Wittram: Baltische Geschichte. Die Ostsee-länder Livland, Estland, Kurland 1180-1918. Grundzüge und Durchblicke, München 1954. – Helene Dopkewitsch: Die Hochmeisterfrage und das Livlandproblem nach der Umwandlung des Ordenslandes Preußen in ein weltliches Herzogtum durch den Krakauer Vertrag vom April 1525, in: Zeitschrift für Ostforschung 16 (1967), S.201-254. – Norbert Angermann: Wolter von Plettenberg. Der größte Ordensmeister Liv-lands, Bonn 1985 (Bund der Vertriebenen – Arbeitshilfe Nr.44). – Udo Arnold: Livland als Glied des Deutschen Ordens in der Epoche Wolters von Plettenberg, in: Wolter von Plettenberg. Der größte Ordensmeister Livlands, hrsg. von Norbert Angermann, Lüneburg 1985 (Schriftenreihe-he Nordost-Archiv 21), S.23-45. – Heinz von zur Mühlen: Livland von der Christianisierung bis zum Ende seiner Selbständigkeit, in: Baltische Länder, hrsg. von Gert von Pistohlkors, Berlin 1994 (Deutsche Ge-schichte im Osten Europa), S.25-172.
Bild: Livländischer Krieger im 16. Jahrhundert / Quelle: By Ronald Preuss – Ronald Preuss, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6356964
Alfred Ritscher