Biographie

Schultze, Bernard

Vorschaubild
Herkunft: Westpreußen
Beruf: Maler, Graphiker, Plastiker
* 31. Mai 1915 in Schneidemühl/Westpr.
† 14. April 2005 in Köln

Bernard Schultze zählt zu den „großen Figuren der gegenwärtigen deutschen Kunstszene“ schreibt Wieland Schmied 1973. Angeregt durch Lanskoy und Riopelle bei einem Aufenthalt in Paris 1951 hatte Schultze zum Tachismus gefunden, in den vorangehende Entwicklungsphasen nicht ohne innere Konsequenz einmündeten. Bernard Schultze wird zu einem der wichtigsten Vertreter des „Informel“ in Deutschland. Zugleich gehört Schultze zu den Künstlern, die nach der langen Isolierung der deutschen Kunst während der Nazizeit in durchaus selbständiger Konzeption nicht nur den Anschluß an internationale Kunstströmungen wieder herstellten, sondern darüber hinausgehend schöpferisch eine individuelle, man könnte in diesem Falle vielleicht sogar sagen deutschgrüblerische Note einbrachten. Die „Quadriga 1952“ – K. O. Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz, Bernard Schultze – wird noch Ende der 50er Jahre als „neue Richtung in der Malerei“ gefeiert. Diesen Ruhm hätte Schultze ausbauen und zeitlebens davon zehren können. Doch das rein Artifizielle-Ästhetische im Tachismus fesselte ihn nur kurze Zeit, und es ist für sein persönliches Engagement bezeichnend, daß er weniger an Pollock und seine Nachfolge anknüpft, als vielmehr eine Richtung einschlägt, wie sie Wols vorgebahnt hatte. Schon ein Bild wie „Rosengeschwüre“ von 1955 markiert diese Tendenz, Wundmale zu zeigen, eine hintergründige existentielle Problematik und Tragödie bloßzulegen. Schon früh vorhandene surrealistisch-phantastische Gestaltungsformen gewinnen wieder Bedeutung – mit fließenden Übergängen zu abstrahierenden Formen. 1959 erfindet Bernard Schultze die „Migofs“, seine bekanntesten Schöpfungen. Der Malerei und Zeichnung werden Strukturen, plastische Elemente, Figürliches hinzugefügt, die seit 1961 in raumfüllenden Environments kulminieren. „Das große Migof-Labyrinth“ von 1966 gelangt in die Nationalgalerie. „Das Labyrinth ist mein Schutz. Wieder spielt hier das Angstgefühl hinein. Ich denke an Franz Kafkas Maulwurf-Erzählung, die für mich die äußerste Form des Angstzustandes schildert. Ausgänge werden zugeschüttet. Es gibt nur fingierte Ausgänge.“

Neben erfundenen, phantastischen Gestalten benutzt Schultze Schaufensterpuppen, leere Klischees menschlicher Idealfiguren– hier ganz konform mit der Popart im Aufgreifen banaler Konsumprodukte –, denen er Verwundungen beibringt, sie mit Geschwüren bemalt und sie damit in befremdliche sinnbildhafte Figurinen der Verletzung und Zerstörung verwandelt, eine unheimliche Demonstration der latenten Bedrohung des Menschen.

In dem Environment „Innerer Monolog – ein Leben lang“, (1972-1979), einem Hauptwerk des Künstlers, das einen großen Raum in der Ostdeutschen Galerie füllt, ging Schultze noch einen Schritt weiter. Die eine Seite zeigt die Deformierung, die Agonie der Welt, die andere, Grau in Grau gemalt, eine tote Landschaft, von Asche bedeckt. Die Vietnam-Krise wie die Gefahr eines alles Leben zerstörenden Nuklearkrieges stehen als nur zu wahre Realitäten hinter der irritierenden, luciden Phantastik der Migofs. Auf das Bettuch eines neben ihm gestorbenen Soldaten malte Schultze am Ende des Krieges 1945 „ein düster-fahles Bild von treibenden Toten auf schwarzem Gewässer, von Gebirgen, die aus fahlweißen Molchen bestanden, unter einem Gewitterhimmel …“. Die anhaltende Kontinuität von Bedrohung und Angst, die seine Werke widerspiegeln, hat etwas Erschreckendes. Erfindungsreich und voll frappierender Phantasie präsentiert sich das Werk von Bernard Schultze in vielen Aspekten. Das Bild des Waldes, auch der gebirgigen Waldlandschaft, erscheint als eine alte Metapher, nicht ohne Anknüpfungen an die eigenartig verzauberte Landschaft der Donauschule, wie zugleich an Kubin, Erinnerungen an die„dunklen grünen Wald der meiner Kindheit an der Polnischen Grenze“, ein unheimlicher Wald, ein Labyrinth, in dem man sich verirrt. „Migof Gruppe, verdorrt und von den Wäldern verschlungen“ laute der Titel, „zerborstene Landschaft“ ein anderer. Wuchernde Vegetation, immer wieder pathologische Deformierungen wahre Blumen des Bösen und zugleich berauschende Kaskaden von Farbflecken, und dort, wo die bewegte Linie zu Tage tritt, erscheint ein faszinierendes Lineament, das seine impulsive und intuitive Kreativität aus der Zeit des Tachismus bewahrt hat.

Der Zugang zum Werk des heute in Köln lebenden Kunstlers laut vielen Kunstinteressierten schwer; es lohnt sich ein wenig um Verständnis bemüht zu sein, denn nur bei wenigen Kunstlern spiegelt sich die Problematik unserer Zeit so intensiv und packend wider.

Lit.: Kat. Bernard Schultze. Im Labyrinth. Werke von 1940-1980. Städtische Kunsthalle Düsseldorf; Akademie der Künste, Berlin; Frankfurter Kunstverein; Saarland-Museum, Saarbrücken 1981 (mit Bibliographie 1970-80)