Biographie

Steinacker, Edmund

Herkunft: Ungarn
Beruf: Politiker, Publizist
* 23. August 1839 in Debrezin/Ungarn
† 19. März 1929 in Klosterneuburg/Österreich

Edmund Steinacker wurde in Debreczin/Ungarn geboren. Väterlicherseitswar er der Sproß einer aus Quedlinburg nach Ungarn eingewanderten Familie, die Mutter entstammte dem deutschen Bürgertum der Zips.

Seine Jugend verbrachte Edmund an verschiedenen Orten der Habsburger Monarchie und Deutschlands, sein Studium absolvierte er an der Technischen Hochschule Stuttgart und in Tübingen, nach zwei Aufenthalten in Frankreich und England kehrte er 1867 nach Ungarn zurück. Hier wurde er 1868 Direktor des ungarischen Landesindustrievereins und 1869 Syndikus der Budapester Handels- und Gewerbekammer.

Vom Elternhaus patriotisch und in liberalem Geiste erzogen, wurde für ihn in der Folgezeit, auch unter dem Einfluß seines Schwiegervaters, des entschieden deutsch-ungarischen Publizisten Eduard Glatz, der völkische Übergang des deutschungarischen Bürgertums der Hauptstadt zum Magyarentum zum entscheidenden Erlebnis. Als Journalist und Organisator versuchte Steinacker sich diesem Prozeß entgegenzustemmen, zumal er bei der Umwandlung Ungarns zu einem gesellschaftlich durchgliederten, wirtschaftlich leistungsfähigen Staat von der tragenden Rolle des deutschen Bürgertums zutiefst überzeugt war. Für diese Ziele kämpfte er zunächst als Abgeordneter der siebenbürgisch-sächsischen Wahlkreise Bistritz (1875-1878) und Heitau (1881-1888). Seine 1874 erschienene Aufsatzreihe „Das Bürgertum im politischen Leben Ungarns“, die von ihm verfaßten Richtlinien und Aufrufe zur Gründung einer deutschen Bürgerpartei lassen sein Anliegen erkennen: das deutsche Bürgertum zusammenfassen, um es als eigenständige Schicht zum Wohle Ungarns zu erhalten. Allerdings verlief die Entwicklung Ungarns nicht in der von ihm gewünschten Richtung, steuerte die seit 1875 regierende „Liberale Partei“ einen antiliberalen, ja antidemokratischen Kurs, der neue Mittelstand entfernte sich unter dem Einfluß der Gentry von bürgerlichen Idealen und verfolgte eine streng konservative Linie. Daher bestand für Steinackers Konzept einer bürgerlich-liberalen Innenpolitik in Ungarn keine Zukunft mehr. Durch den nationalen Niedergang des deutschungarischen Bürgertums und durch den „Flirt“ der sächsischen Parlamentsfraktion mit der Regierung seines politischen Rückhaltes beraubt, legte Steinacker 1888 sein Abgeordnetenmandat nieder und mußte sich wegen seines Einsatzes für die Erhaltung des Deutschen Theaters 1892 von der Budapester Gewerbekammer in den Ruhestand versetzen lassen. Auf diese Weise in Ungarn politisch heimatlos geworden, zog er sich „ins Exil“ nach Klosterneuburg bei Wien zurück. Doch Klosterneuburg wurde alles andere als ein geruhsamer Alterssitz. Steinacker bahnte nun Beziehungen zu allen maßgebenden deutsch-völkischen Institutionen an, vor allem wurde er Mitglied des Alldeutschen Verbandes (ADV) und des Deutschen Schulvereins. Von deren Zielvorstellungen ermuntert und auch ermutigt von einer aus dem schwäbischen Bauerntum Südungarns ausgehenden deutschnationalen Bewegung, wurde er von der Jahrhundertwende an zur zentralen Gestalt der deutschungarischen Minderheitenbewegung. Auf seine Initiative hin und unter seiner entscheidenden Mitwirkung entstanden nun zahlreiche deutschbewußte Zeitungen, bildete sich ein ganzes Netz minderheitenpolitischer Spezialorganisationen: Bauern-, Raiffeisen- und Bildungsvereine, vor allem der Deutsche Bauernbund und der Deutschungarische Kulturrat in Wien. Doch machte sich diese politische Kleinarbeit bei den ungarischen Parlamentswahlen noch nicht bezahlt, konnte die unpolitisch-patriotische Grundhaltung der schwäbischen Bauern noch nicht ausreichend zu bewußter und öffentlich bekundeter Zustimmung für Steinackers Hauptziel, die „Deutschungarische Gemeinbürgschaft“, umgeformt werden. Daher gelang es auch der 1906 auf Betreiben Steinackers gegründeten Ungarländischen Deutschen Volkspartei nicht, einen Vertreter ins Budapester Parlament zu bringen.

Doch schien die deutschungarische Bevölkerung unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg national bereits so aktiviert, gab es einen so breiten Mitarbeiterstab Steinackers, besaß dieser selbst so viel Einfluß und Ansehen in völkischen Kreisen, daß die Zukunftsperspektiven für das ungarländische Deutschtum günstig standen.

Am bedeutsamsten erwiesen sich Steinackers führende Mitgliedschaft im ADV und seine Zugehörigkeit zum Beraterkreis des österrechisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand. Seine Gemeinsamkeit mit dem ADV dürfte allerdings dort ihre Grenzen gehabt haben, wo die ungarländischen Deutschen allzu offenkundig als Objekt alldeutscher Mitteleuropapläne herhalten sollten. Die Erhaltung des multinationalen Charakters seines Heimatlandes als einer eigenen Spielart im Wesen der ungarländischen Deutschen waren stets unumstößliche Wertvorstellungen in seinem Leben, ungarndeutsche Minderheitenpolitik seine Lebensaufgabe, eher konnte er daher seine politischen Vorstellungen im „Schattenkabinett“ Franz Ferdinands einbringen. Als Ungarnexperte hoch geschätzt, wurde Steinacker vor wichtigen Entscheidungen stets um Rat gefragt und zur Mitarbeit an den Reichsumbauplänen herangezogen. Ja, ihm fiel der einzigartige Auftrag zu, das Thronbesteigungsmanifest des künftigen Königs von Ungarn auszuarbeiten. Deshalb muß er als Kandidat des künftigen Herrschers für ein führendes Amt in Ungarn angesehen werden. Beide verband die Überzeugung, daß die österreichische Machtstellung im Südosten gestärkt und die magyarische Adelsoligarchie entmachtet,aber die Eigenständigkeit eines multinationalen Ungarns erhalten werden müsse, in dem ein politisch aktiviertes Deutschtum für befriedete innenpolitische Verhältnisse unentbehrlich sei. Auch nach der Ermordung des Thronfolgers blieb Steinacker dieser Linie treu. Bei der weitergehenden Mitteleuropa- und Reichsreformdiskussion versuchte er allzu konservativ gestaltete Erneuerungsvorschläge zu bremsen und einer zu starken Gewichtung Österreichs gegenüber Ungarn entgegenzuwirken. Der Ausgang des Weltkrieges machte alle Hoffnungen Steinackers zunichte. Sowohl die Einheit der Donaumonarchie wie auch diejenige des ungarländischen Deutschtums wurde zerschlagen. Obwohl er sich in der Folgezeit nicht mehr aktiv an der Politik beteiligte, verfolgte er doch aufmerksam die minderheitenpolitischeSzene. Daher blieb sein Rat bei der jüngeren Führungsgeneration des südosteuropäischen Deutschtums nach wie vor geschätzt. Am 19.3.1929 starb dieser bedeutendste Politiker, den das südosteuropäische Deutschtum hervorgebracht hat, an den Folgen eines Verkehrsunfalles.

Lit.:Edmund Steinacker, Lebenserinnerungen. München 1937. – Barbara Groneweg,Die Anfänge der volkspolitischen Arbeit Edmund Steinackers 1867-1892, München 1941. – Friedrich Priller, Edmund Steinacker als Journalist in der Habsburgischen Monarchie im Zeitalter des Dualismus, München 1960. – Harold Steinacker, Edmund Steinacker 1839-1929, in: ders., Austro-Hungarica, München, S. 312-325. – Ingomar Senz, Die nationale Bewegung der ungarländischen Deutschen vor dem ersten Weltkrieg, München 1977. – Günter Schödl, Alldeutscher Verband und deutsche Minderheitenpolitik in Ungarn 1890-1914, Frankfurt/M.