Biographie

Meissner, Gertrud

Herkunft: Pommern
Beruf: Medizinerin
* 16. April 1895 in Wollin/Pommern
† 20. November 1985 in Bad Oldesloe

Gertrud Meißner besuchte nach der Vorschule in Stettin die Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule, Lyzeum, Oberlyzeum und Studienanstalt und legte dort 1915 mit nur wenigen Klassenkameradinnen das Abitur ab. Damit war sie eine der ältesten Abiturientinnen dieser traditionsreichen Lehranstalt. Sie studierte Medizin, zunächst in Berlin, dann in Jena, wo sie Ostern 1918 das Physikum ablegte. Die klinischen Semester absolvierte sie ab Sommersemester 1918 in Greifswald, wo sie 1920 auch das Staatsexamen ablegte und 1922 mit einer Arbeit über das Thema Beitrag zur Frage der Blasenmole im praeklimakterischen Alter promoviert wurde. 1926 verließ sie das Hygiene-Institut in Greifswald, an dem sie tätig gewesen war, um an der Universität Breslau auf dem Gebiet der medizinisch-chemischen Forschung zu arbeiten, dem auch das Thema ihrer Habilitation entstammte. Gertrud Meißner blieb bis zum Kriegsende in Breslau.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war besonders in Deutschland die Tuberkulose zu einer Volksseuche geworden, schon aufgrund der Unterernährung der Bevölkerung und der zum großen Teil unhygienischen Wohnungsverhältnisse nach der Zerstörung durch Bomben und Kampfhandlungen. Als 1948 das Tuberkulose-Forschungsinstitut Borstel bei Hamburg gegründet wurde, wurde Gertrud Meißner dorthin berufen. Trotz der in jener Zeit ungenügenden Ausstattung von wissenschaftlichen Einrichtungen tat sie unbeirrt ihre Arbeit. Zur Behandlung der Tuberkulose stand damals nur ein einziges Mittel zur Verfügung, außerdem fehlten auf dem Gebiet der Mykobakteriologie Grundlagenkenntnisse und Forschungsergebnisse, die auch im Ausland noch nicht vorlagen.

Hier leistete Gertrud Meißner Pionierarbeit: Sie erforschte auf künstlichen Nährböden die Wachstumsbedingungen für das Mykobakterium tuberculosis, den Erreger der Tuberkulose, und schuf damit die Grundlage für experimentelle und weiterführende klinische Forschung. Dadurch wurde eine kontrollierte Behandlung der Kranken erst ermöglicht. In Verbindung mit der von ihr eingeführten Methode der "Absoluten Konzentration" konnte eine gezielte Therapie aufgebaut werden. Durch die Entwicklung weiterer Chemotherapeutika wurde die Resistenzbestimmung ein unentbehrliches Hilfsmittel für eine erfolgreiche Behandlung vieler an Tuberkulose Erkrankter, besonders auch der aus Kriegsgefangenschaft Heimgekehrten.Aus diesen mit zunächst primitiven Hilfsmitteln erarbeiteten Anfängen einer besonderen medizinischen Forschungsrichtung entwickelte sich eine rege wissenschaftliche Zusammenarbeitauch mit ausländischen Kollegen. Damit trug Gertrud Meißner zu ihrem Teile dazu bei, daß sich nach dem Krieg für Deutschland wieder der Zugang zur internationalen Forschung öffnete.

Gertrud Meißners wissenschaftliches Werk, das in weit über 100 Publikationen dokumentiert ist, wurde durch zahlreiche Ehrungen ausgezeichnet: Sie wurde zum Ehrenmitglied der Internationalen Union gegen die Tuberkulose (IUAT) sowie anderer ausländischer wissenschaftlicher Gesellschaften berufen. In der Bundesrepublik bekam Gertrud Meißner 1965 als bisher einzige Frau die Robert-Koch-Medaille der seit 1935 erneuerten Robert-Koch-Stiftung verliehen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, wissenschaftliche Arbeiten, die der Bekämpfung von Infektionskrankheiten (insbesondere der Tuberkulose und der sogenannten Volkskrankheiten) dienen, zu fördern. Die Universität Kiel zeichnete Gertrud Meißner mit der Ehrendoktorwürde der Naturwissenschaftlichen Fakultät aus. Die Universität Hamburg ernannte sie zum Honorarprofessor. Der Bundespräsident verlieh ihr das Große Bundesverdienstkreuz. Während des Ruhestandes führte sie nicht nur ihre Forschungsarbeit weiter, sondern widmete sich auch der umfangreichen Aufgabe, den neunbändigen Teil über Mykobakterien und mykobakterielle Erkrankungen im Handbuch der Infektionskrankheiten zu bearbeiten.

Während ihrer gesamten beruflichen Tätigkeit und auch bei den Arbeiten im Ruhestand konnte sich Gertrud Meißner immer auf die unermüdliche und engagierte Mitarbeit ihrer jüngeren Schwester Irmgard Meißner stützen, einer medizinisch-technischen Assistentin, die ebenfalls an der zuvor erwähnten Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule ihr Abitur abgelegt hatte. Ihre privaten Neigungen galten der Archäologie, die sie ebenfalls mit ihrer Schwester und anderen interessierten Kollegen während ihrer Urlaubszeit betrieb.

Gertrud Meißner war eine bescheidene Persönlichkeit, eine charmante und geistreiche Gesprächspartnerin, aufgeschlossen für die Nöte der nachfolgenden akademischen Generation, mit der sie sich besonders auf den Zusammenkünften der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule befaßte, wie die Verfasserin im Jahre 1984 auf einem solchen Schultreffen in Hannover erfahren konnte. Prof. Dr. med. habil. Dr. rer. nat. h.c. Gertrud Meißner verstarb im Alter von 90 Jahren. Sie ist auf dem Friedhof in Sülfeld, westlich von Bad Oldesloe, beigesetzt worden.

Quellen: Archiv der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald. – Forschungsinstitut Borstel, Institut für experimentelle Biologie und Medizin, 23845 Borstel, Dr. Thumim: Nachruf auf Gertrud Meißner, Jahrbuch 1985.

 

  Ilse Gudden