Biographie

Rittinger, Engelbert

Herkunft: Ungarn
Beruf: Schriftsteller, Pädagoge
* 17. Oktober 1929 in Kiskassa bei Fünfkirchen/Pécs
† 27. Juni 2000 in Raitzpeter/Ujpetre

Der ungarndeutsche Autor Engelbert Rittinger, geboren im Dorf Kiskassa in der Branau/ Báránya, besuchte nach der Grundschule das Jesuitengymnasium in Fünfkirchen/ Pécs, wo er auch das Abitur ablegte. Danach studierte er Ungarisch, wurde Grundschullehrer für Ungarisch in Raitzpeter/ Ujpetre, unweit Fünfkirchen/ Pécs, und ergänzte seine Ausbildung mit dem Fach Deutsch. Als „Dorfschulmeister“ engagierte sich Rittinger auch auf kommunalpolitischer Ebene. Er war der Volksfrontvorsitzende des Dorfes und übernahm auch die Bibliothek von Raitzpeter, in der er den deutschen Bücherbestand erheblich aufstockte und sich so auch über die Bibliotheksarbeit kulturpolitisch für seine Landsleute einsetzte.

In diesem Engagement für die Ungarndeutschen, für ihre Sprache und Kultur, für die Bewahrung und Entwicklung ihrer durch Krieg und Nachkrieg schwer angeschlagenen Identität und die Einbindung seiner Landsleute durch mehr kulturelle Autonomie ins ungarische Wirtschafts-, Sozial-, vor allem aber auch Kulturlebens, sah Engelbert Rittinger seine Lebensaufgabe. Dabei war ihm der Lehrerberuf in Fleisch und Blut übergegangen, was an dem mitunter oberlehrerhaft erhobenen Zeigefinger seiner Texte zu spüren ist. Seine Ziele waren durchaus humanistisch, demokratisch, entsprachen auch dem europäischen Ideal des mündigen, kulturell hochstehenden Bürgers.

Bei den Ungarndeutschen galt es allerdings, ein durch Krieg und Nachkriegsbeteiligungen schwer angeschlagenes Selbstbewusstsein wieder aufzurichten und ihre Identität zu festigen, die vor allem auch lange Zeit sprachliche Benachteiligung zu überwinden – keine Kindergärten, keine deutschen Schulen (mit Ausnahme der drei sogenannten deutschen Klassenzüge an den Gymnasien in Budapest, Fünfkirchen/ Pecs und Frankenstadt/ Baja, in denen die Unterrichtssprache ebenfalls fast ausschließlich ungarisch war), keine Publikationsorgane (die Neue Zeitung wurde erst 1955 zugelassen und ist auch heute noch die einzige wöchentlich regelmäßig erscheinende deutschsprachige Publikation für ganz Ungarn). Bis 1955 waren die Ungarndeutschen so gut wie rechtslos. Erst damals wurde ihr Verband der Demokratische Verband der Ungarndeutschen gegründet, der sich dann – allerdings erst ganz zaghaft – für die Rechte der deutschen Minderheit einzusetzen begann.

Die Grundstrategien Engelbert Rittingers für einen Einsatz für die Belange seiner Landsleute, war ein „gemäßigt mutiges“ Vorgehen. In dem Interviewband Gespräche mit ungarndeutschen Schriftstellern (1982/1985, 2. Aufl.) hatte Rittinger noch den ungebrochenen Mut zu erzählen, dass schon in Horthy-Ungarn den Ungarnschwaben drohend bedeutet wurde: „Rede ungarisch, du ißt ungarisches Brot!“ Diese klare Stellungnahme hat Rittinger dann aber in seinem Werk stark abgeschwächt. Liest man einige seiner Gedichte vor der Wende ohne die näheren Umstände, aus denen sie entstanden sind, zu kennen, hat man den Eindruck, eine vormals heile Welt der Ungarnschwaben sei nach einigen Schrammen der Kriegs- und Nachkriegszeit wieder dabei, zu „heilen“, sich zu „erholen“ und im gemeinsamen ungarischen Vaterland dabei ihren wohlverdienten Platz wieder zugewiesen zu bekommen.

Bei Engelbert Rittinger findet man eine ganze Reihe vordergründig optimistischer lyrischer Ergüsse, die bisweilen an einem ausgesprochenen „Hurra-Patriotismus“ (ungarischen in diesem Fall) unseliger Vergangenheiten erinnern. Soverherrlichte Rittinger wiederholt die ungarische Nationalflagge auf eine ziemlich simple Weise. Im Lied der Ungarndeutschen (aus seinem einzigen Band vor der Wende Mir ungrische Schwowe 1985)heißt es: „Wenn wir unsere Wege gehen,/ werden Sprache, Sitten blühen/ und in freiem Winde wehen/ unsere Fahne rot-weiß-grün“. Welche Wege das sein sollen, wann das der Fall sein wird, dass diese abstrakten Wege einmal konkretisiert werden, bleibt unklar. Deshalb geht auch das Ende des Gedichtes Muttersprache (Mir ungrische Schwowe 1985) nicht über eine belanglose Lobhudelei hinaus: „Nichts soll deine Route hindern,/ Muttersprache, deutsches Wort!/ Lebe du in unsern Kindern/ und in unsern Enkeln fort!“ Wie dies geschehen soll und unter welchen Umständen, darüber schweigt sich des braven Dichters Höflichkeit beredt aus.

In Ferne der Heimat (Mir ungrische Schwowe 1985) gelingt es Rittinger, von Heimweh geplagt, auch eine atmosphärisch dichte, lyrische Stimmung einzufangen. Allerdings siedelt seine „Gemütstiefe“ häufig gefährlich nahe am Kitsch. Dabei konnte er auch in Liebesgedichten Atmosphäre einfangen. In Nachwort (Mir ungrische Schwowe 1985) lautet die 2. Strophe: „Doch die Zeit war fortgeschritten,/ das Abendmärchen längst vorbei,/ Hunde haben sich gestritten,/ welcher heut‘ der Wächter sei …“ Das war überhaupt Rittingers Stärke, die unverwechselbare zwischen Leidenschaft und Ironie, auch Selbstironie, zwischen belehrendem Ernst und deftig-derben Scherz schwebende Mentalität seiner Landsleute in seinen lyrischen Aussagen einfließen zu lassen.

Zum Glück gibt es bei Rittinger, wenn auch nicht viele, so doch einige Zwischentöne, einige weniger grob gefügte Gedichte. Als Beispiel dafür sei das Gedicht Epochen des Lebens zitiert: „Die Zukunft gehört den Kindern,/ die sich – vorsichtslos und rücksichtslos –/ nur um die Gegenwart kümmern;/ wer von Tag zu Tag/ um die Zukunft besorgt ist,/ verschwendet alle Kraft/ für die Sorgen der Gegenwart;/ wenn dich aber nur noch/ die Erinnerungen beschäftigen,/ dann hast du keine Zukunft mehr …“ Auf den ersten Blick „hört“ sich das hier Gesagte ebenfalls sehr allgemein an. Auf den zweiten Blick aber erkennt man, wie wichtig diese allgemeingültige Aussage auch für die typische Situation der Ungarnschwaben heute ist. Die sich nur umdie Gegenwart kümmernden Kinder sind auch das „Produkt“ ihrer Umwelt, ihrer sprachlichen Benachteiligung durch den chauvinistischen Nationalkommunismus und die daraus resultierende assimilierte Elterngeneration, die ihrerseits noch immer zu wenig an kulturelle Tradition und verlorene Sprachidentität denkt und somit keine ihnen entsprechende Zukunft haben werden.

Dieses Gedicht dürfte nun der Wendepunkt in unserer Betrachtung Engelbert Rittingers sein. Denn, wenn alle seine Texte so wären, wie die bis zu diesem Gedicht Besprochenen, hätte sich eine nähere Beschäftigung mit diesem Autor gar nicht gelohnt. Er war, was viele bundesdeutsche Lehrer auch sind, ein Lehreropportunist. Rittinger hat sich „gezwungenermaßenals ungarnschwäbischer Funktionär vor der demokratischen Wende genötigt gesehen, einem „sozialistischen“ ungarischen Patriotismus undifferenziert das Wort reden. Nach der Wende hat er erkannt – als Lehrer war er selbstverständlich lernfähig –, dass nur „Lehrer und Priester“ (zuvor waren es die Lehrer und Funktionäre) den Bestand der ungarndeutschen Volksgruppe, deren sprachliche Identität, sichern können.

Rittinger war übrigens einer der wenigen ungarndeutschen Autoren, der auch für die Laienbühne schrieb. Seine Szenenfolge „Pfänderspiel“ ist in der Anthologie „Das schönste Erbe“ Budapest 1978 enthalten. In späterer Zeit hat Rittinger auch ganz neue Wege der Lyrik beschritten und sich um wieder modern gewordene Kurzformen bemüht. Außer Gedichten enthält Rittingers einziger Eigenband vor der Wende auch zwei Sagen „Steffen von Sachsenring“ aus Zwickau und „Märchen von Ödenburg“, sowie zwei Kriegserzählungen auf Hochdeutsch „Wenn der Herrgott Wunder will“. Die Mundarthumoresken „Decker Newl“ handeln über einen Irrweg bei Nebel und „Iwer di Name“ über Namensänderungen. Dies eigentlich brisante Thema, bei der langen Zeit harten Majyarisierung, vor allem auch der Namen, wird hier eher harmlos betrachtet. Die Mundartgeschichte „Klumbemänner“ über Holzschuhe und ein sie tragendes Ungarnschwabenoriginal unterstreicht ein übriges Mal Rittingers Talent zum derb-deftigen Humor.

Erst nach dem demokratischen Umbruch wurde in Ungarn das Problem des deutschen Muttersprachunterrichts ernsthaft erörtert. Erst danach sind dann nach langer Zeit die ersten bescheidenen Maßnahmen eingeleitet worden. Deutschlehrer aus der Bundesrepublik und Österreich unterrichten heute Deutsch in Allgemeinschulen, und an den sog. deutschen Klassenzügen der drei schon erwähnten Gymnasien in Budapest, Fünfkirchen/ Pécs und Frankenstadt/ Baja werden endlich auch einige naturwissenschaftliche Fächer in Deutsch unterrichtet. Dabei steht noch nicht einmal das kulturelle Anliegen im Vordergrund – die Verbreitung der deutschen Sprache und Kultur – sondern wird im Zuge der Notwendigkeit, dass auch die ungarische Wirtschaft ihren Weg nach Europa findet, das Beherrschen der deutschen Sprache als Schlüssel zum Erfolg verstanden.

Bei aller Kritik an dem süßlich idyllischen Losungsduft der Mehrzahl seiner Gedicht sollte Engelbert Rittingers Hoffnung auf eine bescheidene Revitalisierung verschütteter Kulturgüter der Ungarnschwaben im Zuge der neuen Demokratisierung auf jeden Fall begrüßt werden. Das mühsame Durchringen zur Zweisprachigkeit, wobei gerade die Muttersprache Deutsch wieder zu erlernen ist, sollte nach Möglichkeit gefördert werden – von allen Seiten, damit im neuen Europa alle besser, dies bedeutet auch kulturell reicher und vielfältiger, leben können. Auf diesen beschwerlichen Weg sind einige der Texte Rittingers zwar, erst noch kleine Schritte, aber doch unübersehbare und auch in die richtige Richtung gehende.

Ingmar Brantsch