Im oberschlesischen Landstädtchen Oberglogau, dem einzigen schlesischen Ort, in dem Ludwig van Beethoven geweilt hat, wurde Gerhard Strecke als viertes Kind des Lehrers und Chorrektors Joseph Strecke und dessen Ehefrau Auguste geboren. Beide Eltern stammten aus der Grafschaft Glatz, einem schlesischen Musikantenwinkel. In die Musikübung wuchs der Knabe als Sänger im Kirchenchor, durch Violin-, Klavier- und Orgelunterricht hinein. Als Zehnjähriger kam er in die Schar der Breslauer Domsingknaben, damals unter M. Filkes Leitung. Für die Primanerjahre wechselte er vom Matthiasgymnasium in Breslau an jenes von Patschkau, unweit von Schloß Johannesberg, dem Sommersitz der Breslauer Fürstbischöfe. Hier lernte er den sechs Jahre älteren H. Buchal kennen und gewann ihn zum Freunde. Nach einem Lehrerstudium in Jena und Berlin, Militär- und Kriegsdienst sowie französischer Gefangenschaft trat er 1920 als Musiklehrer an höheren Schulen in Neisse/O.S. seine erste selbständige Stelle an. 1924 verpflichtete ihn Buchal als Leiter des Musiklehrerseminars an das Schlesische Konservatorium in Breslau. Ostern 1936 übernahm Strecke die Leitung des Konservatoriums in Beuthen, 1940 wurde er als Abteilungsleiter an die Musikhochschule Kattowitz berufen. Nach Krieg und Vertreibung fand er 1946 eine ihm gemäße Stellung am Hochschulinstitut für Musik in Trossingen, wo ihm der Titel Professor verliehen wurde. 1953 in den Ruhestand getreten, war er bis zu seinem Tod aktiv als Komponist und als Anreger von Aufführungen schlesischer Musik tätig. Strecke zählte zu den gründlichsten Kennern und engagiertesten Förderern dieses Zweiges schlesischer Kultur, ohne einseitig auf schlesische Leistungen festgelegt zu sein. Strecke war ein weltoffener und kontaktfreudiger Mensch. In Breslau gehörte er dem Künstlerkreis „Republik Scheitnig“ um Arnold Ulitz, in Beuthen dem „Klein-Zeideler-Kreis“ um Georg Hauptstock an. Mit Karl Sczuka, dem Breslauer Komponisten-Kollegen, hatte er den „Schwimmverein schlesischer Komponisten“ gegründet, Vereinszeichen „Die tönende Welle“. Nach 1945 wirkte er innerhalb der „Künstlergilde Eßlingen“ als unermüdlicher Motor für die Pflege des ostdeutschen Kulturerbes. Der Musikhistoriker Hans-Joachim Moser verdankte ihm manches für das Schlesien-Kapitel in seiner Musik der deutschen Stämme (Stuttgart 1957). Sein eigener Einsatz bekundete sich in der Sammlung Lieder der Schlesier (1953), in Aufführungen von Kompositionen von Stoltzer und Nucius und Kompositionen für die Schlesische Funkstunde Breslau, in Fachartikeln für Zeitungen und Zeitschriften. Auch als Hochschullehrer wies er immer wieder auf das heimatliche Musikerbe hin.
Streckes Werkverzeichnis umfaßt 101 Titel, von denen die knappe Hälfte als Verluste von Krieg und Vertreibung abzubuchen sind. Im vokalen Bereich verfaßte er etwa 160 Kunstlieder für Singstimme und Klavier, zahlreiche Volksliedbearbeitungen für unterschiedliche Chorbesetzungen, freie Vertonungen anspruchsvoller Texte für vier- bis achtstimmigen Chor, die Kantate Oberschlesien nach Gedichten von A. Niekrawietz u. a. Auf dem geistlichen Sektor schuf er einstimmige Kirchenlieder und Singmessen, drei mehrstimmige lateinische Messen und ein Requiem, Offertorien und Motetten für drei- bis achtstimmigen Chor. Im instrumentalen Bereich verfaßte er drei Sinfonien für großes Orchester, zehn Orchestersuiten, Konzerte und Konzertstücke für Violine und Viola u.a.; als Kammermusik schrieb er ein Streichtrio, fünf Streichquartette, Variationen über ein dänisches Volkslied für Bläserquintett und Klavier. Für Tasteninstrumente (Klavier und Orgel) liegen aus seiner Feder Sonaten, Variationen, Charakterstücke u.a., als letzter umfänglicher Zyklus 24 Praeludien und Fugen in allen Dur-und Molltonarten für Orgel vor.
In Schlesien erfuhren seine Werke häufiger Aufführungen, nachdem ihm zu seinem 50. Geburtstag Ehrungen der Universität Breslau zuteil geworden und drei Jahre später der Oberschlesische Musikpreis verliehen worden war. Außerhalb Schlesiens konnte er 1930 bei der Tagung zur Erneuerung der katholischen Kirchenmusik für seine Offertorien Anerkennung erhalten. Das achtstimmige Prooemion (J.W. von Goethe) wurde 1937 bei der Eröffnung des „Hauses der deutschen Kunst“ in München gesungen. Das 5. Streichquartett (Serenade) führte das „Schlesische Streichquartett“ an vielen Orten auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Orchestersuiten und die Orgelkompositionen von mehreren westdeutschen Sendeanstalten aufgezeichnet.
Stilistisch blieb Strecke im Stilbereich der Spätromantik. Was er über andere schlesische Komponisten äußerte, gilt wohl auch für ihn selbst: „Ich habe den Schaffensprozeß vieler Komponisten verfolgen dürfen; er vollzog sich meist in der wohltemperierten Atmosphäre der Überlieferung; und selbst jene, die als rücksichtslose Neuerer anfingen, entgingen nicht der Beruhigung, die Erfahrung und Reife mit sich bringen.“ Streckes Musik besitzt bewahrenden Charakter. Bewahrt sind Formen und Stilelemente von fast 500 Jahren europäischer Musik.
Neueditionen: Chor-, Klavier-, Orgelkompositionen im Verl. Laumann, Dülmen.
Lit.: Artikel „Strecke“ von Arnold Schmitz, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 12, Kassel 1965. – Festschrift Gerhard Strecke zum 75. Geburtstag, Würzburg 1965 (mit Kompositionsverzeichnis). – G. Strecke: Eine Selbstdarstellung, in: Zeitgenössische schlesische Komponisten, Dülmen o. J. (mit Verzeichnis der Literatur von und über Strecke).
Weblink: https://www.wangener-kreis.de/klein-zeideler-kreis.html