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Wissenschaftliche Fachtagung der Kulturstiftung stellt Kultur und Architektur Livlands vor

Wissenschaftliche Fachtagung der Kulturstiftung stellt Kultur und Architektur Livlands vor
Referierende (v.l.) Prof. Dr. Bernhart Jähnig, Dr. Alexander Baranov, PD Dr. Christofer Herrmann, Dr. Agnese Bergholde-Wolf und Thomas Konhäuser, Geschäftsführer der Kulturstiftung

Die wissenschaftliche Online-Fachtagung „Mittelalterliche Kultur und Architektur Livlands“ der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen versammelte am 3. Dezember ausgewiesene Fachleute zu diesem interessanten Thema. Die gesamte Veranstaltung wurde im Rahmen der Reihe „Kultur im Live-Stream“ der Kulturstiftung auf Youtube übertragen und ist dort als Aufzeichnung abrufbar.

In seinen einleitenden Worten betonte Reinfried Vogler, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung, die Notwendigkeit, heute eher unbekannte Regionen wie das historische Livland einem breiteren Publikum näherzubringen. Die spezifische und über Jahrhunderte gewachsene Architektur und Geschichte des Baltikums seien hochinteressant und ein wichtiger Teil der europäischen Kultur.

Als wissenschaftlicher Leiter der Tagung stellte daraufhin der Kunsthistoriker und Bauforscher PD Dr. Christofer Herrmann zunächst das am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft (IKM) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angesiedelte Forschungsprojekt „MALIV“ (Mittelalterliche Architektur in Livland, maliv.eu) vor. Das Projekt ist in besonderem Maße den spezifischen Eigenheiten der livländischen Architektur gewidmet und verbindet derzeit Wissenschaftler aus Estland, Lettland, Dänemark und Deutschland.

Wissenschaftliche Fachtagung der Kulturstiftung stellt Kultur und Architektur Livlands vor
PD Dr. Christofer Herrmann, wissenschaftlicher Leiter der Fachtagung

Die historische Einführung in das mittelalterliche Livland übernahm Prof. Dr. Bernhart Jähnig, der sich bereits seit Jahrzehnten mit Livland beschäftigt. Der Historiker schilderte den Beginn der späteren Livländischen Konföderation mit dem Bau einer kleinen Kirche in Üxküll (Ikšķile) im späten 12. Jahrhundert und die Entwicklung hin zu einem Kreuzfahrerstaat des Schwertbrüderordens, der später im Deutschen Orden aufging.

Anschließend ging der Historiker Dr. Alexander Baranov auf die Verwalter der livländischen Provinzen ein, die sogenannten Landmeister. Obwohl sie auch Verhandlungen mit anderen Landesherren innerhalb Livlands und außerhalb seiner Grenzen zuständig waren, war ein Großteil ihrer Aufgaben doch militärischer Art. Dementsprechend, so zeigte Alexander Baranov in seinem Vortrag auf, fanden viele Landmeister einen gewaltsamen Tod – auf dem Schlachtfeld oder gar durch Mord.

Die historischen Einordnungen ergänzte Dr. Herrmann um architektonische Einblicke. Hier seien bis heute Kulturimporte zu erkennen, die besonders die Anfangszeit Livlands prägten. Im Detail zeigten sich dann auch spezifische Eigenheiten an zunächst unspektakulär erscheinenden gotischen Befestigungsbauten. Aus den diversen Einflüssen von Bautraditionen etwa aus Westfalen, dem Rheinland und Preußen, die aus dem Ausland angeheuerte Fachleute mitgebracht hatten, und dem eigenen Stil der Region entstand so eine eigene, livländische Mischung.

Dass dies auch am Rigaer Dom nachvollzogen werden kann, zeigte die Kunsthistorikerin Dr. Agnese Bergholde-Wolf in ihrem Tagungsbeitrag. Die geometrisch klaren Formen erinnerten in den Arkaden an norddeutsche Architektur, in den Gewölben sei aber auch der Einfluss westfälischer Architektur zu erkennen. In dem beeindruckenden und massiven Bauwerk bildeten die Einflüsse, die auch verschiedene Entstehungsphasen begleiteten, eine Einheit, erklärte Dr. Bergholde-Wolf.

Ähnlich verhält es sich bei der Burg Narwa (Narva), wie der Archäologe Dr. Villu Kadakas darlegte. Obwohl die Burg und die Stadt Narwa nie zu einem administrativen Zentrum Livlands wurden, entstand hier im Mittelalter ein Wehrbau, der bis heute zu den beeindruckendsten Burgen des Baltikums zählt. Dies ist der Lage an der Grenze zu Russland geschuldet und wurde auf der anderen Seite des Grenzflusses mit dem Bau der Festung Ivangorod beantwortet. Heute befindet sich hier die Außengrenze der EU zur Russischen Föderation und die in mehreren Etappen restaurierte Burg Narwa zeigt das Interesse der Esten an ihrer Geschichte.

Das Selbstverständnis der baltischen Staaten war das Tagungsthema des Kunst- und Kulturwissenschaftlers Prof. Dr. Ojars Sparitis. Er legte dar, dass die mittelalterliche Kunst und Architektur Livlands zu einem identitätsstiftenden Motiv geworden sind. Sie seien jedoch im Laufe der Geschichte oft propagandistisch ausgenutzt worden. Die Forschung wurde politischen Zwecken untergeordnet und so entstanden tendenziöse, nationale Sichten, die dem gerade herrschenden Imperium dienen sollten. Heute begreife man die baltische Geschichte jedoch als die eines Raumes, in dem viele Kulturen in einen gegenseitigen Austausch traten, gefördert und bedingt durch Handelsbeziehungen, besonders durch die Hanse.

Wissenschaftliche Fachtagung der Kulturstiftung stellt Kultur und Architektur Livlands vor
Prof. Dr. Ojars Sparitis

Abschließend dankte Reinfried Vogler den Referierenden für den Überblick über die Kultur und Geschichte Livlands und den Einblick in die heutige Sichtweise der Balten. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sei ein wichtiger Grundpfeiler für Gegenwart und Zukunft.