Ereignis vom 1. Januar 1346

Beginn des herzoglichen Schlossbaus in Stettin

Stettiner Schloss

Pommerschen Urkundenbuch, Stettin 1868 ff. glauben, so befand sich früher an der Stelle, die heute der massige Schloßkörper einnimmt, eine Burg, castrum genannt. Das nach zwei Seiten abfallende bebaute Plateau war mit hohen Erdwällen und Verpfahlungen gegen etwaige Ein­dringlinge abgesichert. Die frühe Burganlage, die das Plateau weitgehend bedeckte und sich bis zum Marienplatz erstreckte, galt  als uneinnehm­bar. An die Burganlage schlossen sich gleichfalls befestigt die Tempelburg und zur Oder hin ein wendischer Marktflecken an, das soge­nannte suburbium mit dem Krug (forum cum taberna).

Nachdem die Siedlung „Stettin“ (PUB 417) am 3. April 1243 Magdeburger Stadtrecht erhalten hatte, versprach Herzog Bar­nim I. spätestens bis 1249 die einstige Burganlage schleifen zu lassen und die so gewonnene Freifläche zur Bebauung durch die Bürger freizugeben. Sich selbst sicherte er lediglich im strittigen Areal den Bau eines größeren Wohnhauses zur Hof­haltung. Obwohl sich die Stettiner Bürgerschaft (universitas civium) zunehmender Selbständigkeit seit 1243 erfreute, bleibt schon Martin Wehrmann die auffällige Nachgiebigkeit des Pommernher­zogs unerklärlich (vgl. Wehrmann, S. 23).

Erst die Regierungsübernahme durch Barnim III. 1344 verän­derte die Gewichte insofern grundlegend, als der neue Herr­scher machtvoll dem Vormachtstreben der Stettiner Bürger­schaft bzw. ihrer Vertreter schnell ein Ende setzte. Sichtbares Zeichen der neuen Machtver­hältnisse war 1324 der Baubeginn eines größeren Hauses auf dem Burgplatz. Das rief zwangs­läufig den Widerstand der Bürgerschaft hervor. Man fühlte sich geprellt und verwies auf die Zusagen Barnims I., keine Burg mehr innerhalb der Stadt zu errichten. Man bewaffnete sich, verjagte die Zimmerleute von der Baustelle und zerstörte die bereits gesetzten Grundmauern. Doch dem scheinbaren schnellen Erfolg folgte schon bald die Ernüchterung. Auch wenn man über den weiteren Verlauf des Streits bzw. Einzel­heiten der  Auseinandersetzung zwischen dem Herzog und der Bürgerschaft Stettins wenig weiß, informiert letztendlich der zwischen den streitenden Parteien am 24. August 1346 ge­schlossene Vertrag über Gewinner und Verlie­rer. Unter Feder­führung des Camminer Bischofs Johann wurde entschieden, daß „Rat, Schöf­fen, Gilden, und Gemeinde“ Barnim III. ein Steinhaus errichten müssen, „100 Fuß lang, 30 Fuß breit und 25 Fuß hoch, mit zwei Stockwerken, einem gewölbten Keller. Das Ganze solle mit einer 12 Fuß hohen Steinmauer umgeben werden“. Es versteht sich von selbst, daß zu einem repräsenta­tiven „herzoglichen Haus“ auch Nebengebäude für die Diener­schaft, Ställe usw. ge­hörten, obwohl davon nur wenig in der Literatur Erwähnung findet.

Obwohl schon dies Bauvorhaben die Stettiner nicht nur finan­ziell stark belastete, forderte der Vertrag außerdem noch den Bau einer steinernen Kapelle, so groß wie die Sankt Jürgens­kap­pelle unweit Stettins, um die ein Kirchhof herum angelegt werden solle, der umlaufend von ei­ner fünf Fuß hohen steiner­nen Mauer eingefaßt werden mußte. Für die Fertigstellung des ge­samten Projekts wurde der Stettiner Bürgerschaft eine Frist bis zum 29. September 1347 ge­setzt. Unter dem Druck weite­rer zusätzlichen Zwangsmaßnahmen begann man umgehend mit dem Bau der vertraglich vereinbarten Bauten. Schon im Spätherbst waren erste Baumaßnah­men erfolgreich abge­schlossen. Bereits am 3. Oktober 1346 ließ Barnim III. die Kapelle, aus der später die Schloßkirche im westlichen Teil des Nordflügels erwuchs, durch  Otto von Bamberg weihen, dem Apostel Pommerns.

Es steht außer Zweifel, daß der 1346 begonnene Baukörper des herzoglichen Hauses die älte­sten Partien des heutigen pommer­schen Herzogschlosses verkörpert, ohne daß dies – ver­gleich­bar vielen anderen historischen Baudenkmälern – für den Be­sucher optisch unterscheid­bar bzw. wahrnehmbar ist. Ge­schickt haben die Baumeister der nachfolgenden Jahrhunderte die einzelnen Bauphasen des Schlosses miteinander ver­schmolzen, so daß selbst die umfangrei­chen Erweiterungen in der Renaissance durch Herzog Bogislaw X. und seine Söhne Georg I. und Barnim XI. hier keine Ausnahme bilden.

Hugo Lembcke unterscheidet in seiner ausführlichen Schloßmonographie bis zur Belagerung der Stadt durch die Branden­burger 1677 insgesamt sechs Bauphasen, die zusammengefaßt dem Schloß jenes Aussehen gaben, das jedem Stettiner vertraut ist. So wird dem 1346 begonnenen herzoglichen Haus um 1430 der sogenannte Kasimirbau angefügt, der jedoch schon 1434 auf Befehl Kasimirs VI. wieder abgerissen wird. Weitaus wich­ti­ger ist allerdings die nach 1503 er­folge Erweiterung durch Bogislaw X., der dem eher schlichten und seiner Macht­ent­fal­tung ab­träglichen Wohnsitz neue Impulse vermittelt. Er wünsch­te den Bau eines auch für Festlichkei­ten und höfische Pracht­entfaltung geeigneten „neueren und größeren Hauses“. Daß derartige kostenträchtige Bauvorhaben erneut den Wider­spruch der Stettiner Bürgerschaft hervorriefen, bedarf wohl keiner beson­deren Betonung. Auch wenn der Prachtbau des Süd­flügels nur in sei­nen unteren Teilen über die Jahrhunderte erhalten geblie­ben ist, werden architektonische Ein­flüsse sicht­bar, die Herzog Bogislaw X. während seiner Italienreise ge­wonnen hatte.

Auch der Sohn Bogislaw X., Herzog Barnim XI., hat sich bei den Erweiterungsbauten des Stettiner Herzogschlosses große Verdienste erworben. Eine im Ostflügel angebrachte Inschrift oberhalb eines neunfeldigen Wappens aus Stein mit der In­schrift: „Dei gratia eius nominis XI. Buguslai X. Filius Stettini. Pomeraniae cassubiae wandaliae dux rugeorum princeps co­mes gu­scoviae“ soll daran erinnern, daß Barnim XI. 1538 die bis dahin offene Seite des Schloßhofes durch einen Ostflügel abschloß, in dem sich u. a. die herzoglichen Gemächer, aber auch Wirt­schaftsräume wie z. B. das Brau- und das Backhaus befanden. Der Bau des Ostflügels ist zu­gleich der gelungene Abschluß der mittelalterlichen Baumaßnahmen. Niemand konn­te damals ahnen, daß ein Brand 1551 den erst 1538 fertig­gestellten Ostflügel weitgehend wieder vernich­tete und Barnim XI. zwang, seine Wohnung vorübergehend in die Oderburg nach Grabow zu verlegen, in die ehemalige Karthause Gottes­gnade. Der Wiederaufbau des zerstörten Ostflügels um 1560 gelang noch während der Regentschaft Barnim XI. Seit 1573 regierte Herzog Johann Friedrich in Stettin. Im Gefolge Ma­xi­mi­lians II. hatte er den Glanz kaiserlicher Hofhaltung er­lebt, so daß es nicht verwundert, daß das Stettiner Schloß sei­nen Vor­stel­lungen von Hofhal­tung und Ausstrahlung nicht ent­sprach. Er begann sogleich, es gründlich umzubauen. Nur der nach 1503 begonnene Bogislaw- und der nach 1560 erfolgte zweite Bar­nimsbau blieben von größeren Umbauten verschont. Diesen umfangreichen Umbau­ten verdankte das Herzogschloß im wesentlichen seine bis 1945 vertraute Gestalt.

Auch wenn die Umbaumaßnahmen Johann Friedrichs dem Ganzen Großzügigkeit und Ge­räumigkeit verliehen, genügten sie den Ansprüchen der Nachfolger nur kurze Zeit. Namentlich unter dem kunstliebenden Philipp II. boten Wände und Ge­mächer zu wenig Platz, um die zahl­reichen Kunstschätze, Bü­cher, Wandteppiche, Bilder wirkungsvoll zu plazieren. Um dem Mißstand abzuhelfen, ließ Philipp II. den westlichsten, an die Kleine Ritterstraße stoßenden Flü­gel des Schlosses bauen, an dessen Nordgiebel bemerkenswerte Ausdrucksformen der Renais­sance sichtbar werden. Philipp II., der sich persönlich um die Fortschritte beim Bau kümmerte, die Handwerker bei der Arbeit aufsuchte, hat die Vollendung des Baus 1619 nicht mehr erlebt. Das damalige Aussehen des Stettiner Herzog­schlosses ist nach dem Kupferstich von M. Meri­an einprägsam überliefert.

Mit dem Philippsbau 1619 schließt sich der baugeschichtliche Bogen. Das Greifengeschlecht konnte jedoch den endlich voll­endeten Bau nicht lange genießen; denn bereits 1637 starb mit Bogislaw XIV. das pommersche Herzoghaus aus.

Lit.: Paul Friedeborn: Historische Beschreibung der Stadt Alten Stettin in Pommern, Stettin 1613. – Hugo Lem­cke: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks Stettin, Heft XIV, Abteilung I: Das Königliche Schloss in Stet­tin, Stettin 1909. – Pommersches Urkundenbuch, Stettin 1868 ff.. – Jan Piskorski, Bogdan Wachowiak, Edward Wlodarczyk: Stettin – Kurze Stadtgeschichte, Poznan (Posen) 1994. – Stettiner Neueste Nachrichten (Hrsg.): Al­bum Pommerscher Bau- und Kunstdenkmäler, Stettin 1899. – Martin Wehrmann, Ge­schichte der Stadt Stettin, Stettin 1931. – Ernst Völker: Stettin – Da­ten und Bilder zur Stadtgeschichte, Leer 1986.

Bild: Stettiner Schloss / Quelle: Von Dorota Kowalik – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62714910

Gottfried Loeck