Seit den 60er Jahren des 12. Jahrhunderts waren deutsche Kaufleute aus Gotland von der Dünamündung flussaufwärts ins Landesinnere Livlands vorgedrungen. Der sogenannte portus Semigallorum und Holme bei Üxküll bildeten die Anlauf-stellen.
Die Missionierung der Liven war 1186 durch den Segeberger Domherrn Meinhard, der 1188 vom Bremer Erzbischof Hartwig II. zum Bischof von Üxküll/Livland geweiht wurde, begonnen worden. Papst Clemens III. bestätigte ihm das Bistum Livland als Suffraganbistum. Nach Meinhards Tod 1196 wurde Berthold, früherer Abt von Loccum, dessen Nachfolger. Zu Anfang hatte Berthold, wie Meinhard, auf bewaffnete Hilfe verzichtet, sich gegen die Liven auf diese Weise jedoch nicht genügend durchsetzen können. Daher rief er 1197 mit Erlaubnis Papst Coelestins III. zum Missionskreuzzug auf. Doch bereits in der Schlacht zwischen Bekehrten und Nichtbekehrten (Juli 1198) fiel Berthold, und im folgenden Herbst/Winter brach ein Aufstand der heidnischen Liven gegen die Christen und die missionierten Liven aus. Der Bitte einer Reihe von christianisierten Liven nach Entsendung eines neuen katholischen Bischofs entsprechend, erhob man in Hamburg-Bremen im Sommer 1199 den Bremer Domherrn Albert von Bexhöveden (Bekeshovede) (* vor 1170/1199-1229), Angehöriger eines Ministerialengeschlechts und Stiefneffe des Erzbischofs Hartwig, zum Nachfolger Bertholds. Dieser übernahm mit energischer Durchsetzungskraft die Missionsaufgabe in Liv-land, indem er beschloss, das Land zu erobern und so die Voraussetzung für die dauerhafte Christianisierung der Liven zu schaffen.
Noch im Sommer 1199 begab Albert sich auf den Weg nach Livland und machte auf Gotland Station, um sich der Unter-stützung der dortigen Kaufmannsgemeinschaft zu versichern. Er konnte daraufhin 500 Kaufleute und Kreuzfahrer mit dem Kreuz zeichnen. Anschließend verständigte er sich mit den See-mächten und traditionellen Trägern der älteren ostbaltischen Mission, König Knud VI. von Dänemark und Erzbischof Ab-salon von Lund sowie mit Schleswig und dem deutschen Reich. Doch zur Durchführung der Mission benötigte Albert vor allem die Unterstützung der römischen Kurie in Form eines Kreuzzugsaufrufes, den er von Papst Innocenz III. (1198-1216) erbat. Dieser Bitte entsprach Innocenz III., indem er in dreifacher Ausfertigung eine Kreuzzugsbulle ausstellen ließ, die auf den 05. Oktober 1199 datiert ist.
Mittels dieses Kreuzzugsaufrufes richtete Innocenz III. sich an Sachsen, Westfalen, Slavien (Mecklenburg) und die Bewohner rechts der Elbe als die Christen Niederdeutschlands, denen Albert den Kreuzzug predigte, und an jene Christen, die anderen, von Heiden bedrohten Christen am nächsten waren. Er rief sie zur Hilfe für diese Christen und zu deren Verteidigung auf. Als Träger der Mission war Albert jedoch auch selbst Adressat der Kreuzzugsbulle.
Der Aufruf ging aus von der Pflicht des Papstes, für den Schutz der neugewonnenen Christen zu sorgen, damit die Angriffe der Heiden diese nicht den Übertritt zum christlichen Glauben bereuen oder gar rückgängig machen ließen. Die Mission dürfe nicht durch die Furcht der neuen Christen vor Drangsalierungen seitens ihrer früheren Glaubensbrüder behindert werden. Des Weiteren folgte der Aufruf der Dreigliederung der Kreuzzugsaufrufe für das Hl. Land. Eine narratio berichtete über die Erfolge Meinhards und die Reaktion der Heiden. Die exhortatio enthielt die Aufforderung, zur Verteidigung der Christen die Waffen gegen die Heiden zu ergreifen, falls die Heiden mit den Christen der Kirche Livlands nicht einen Waffenstillstand ab-schließen und einhalten würden. Bereits die exhortatio enthielt eine allgemeine Verheißung der Sündenvergebung, in den an-schließenden statuta wird ausdrücklich die Erlaubnis gegeben, Wallfahrtsgelübde nach Rom im Dienst der Verteidigung der livländischen Kirche abzuleisten. Nach Jerusalem gelobte Wall-fahrten durften in Livlandfahrten umgewandelt werden. Wer dort hinzog, um Kirche und Christen zu verteidigen, stand unter päpstlichem Schutz.
Auf einem Hoftag zu Magdeburg 1199 anlässlich der Königskrönung Philipps von Schwaben wurde Bischof Albert dann auch die rechtliche Sicherung der Güter aller Livlandfahrer gleich den Jerusalemfahrern bestätigt.
Einen Ablass für finanzielle und materielle Unterstützung des Missionskreuzzuges hat Innocenz III. nicht ausgeschrieben, ebenso erwähnte er auch nicht die Stellung von Truppenkontingenten, wie sie von anderen Kreuzzügen bekannt ist. Die Führung des Kreuzzuges wurde ebenfalls nicht angesprochen. Da zudem ein weltlicher Landesfürst für Livland nicht existierte, verstand es sich von selbst, dass Bischof Albert oder sein Beauftragter das Kreuzheer führten.
Die Livland-Kreuzzüge gingen auf die Initiative des Bischofs Albert zurück, und ohne dessen rastlosen Einsatz wären die jährlichen Kreuzfahrerflotten aus dem Reich nie gekommen. Seine Aufenthalte in Deutschland dienten demnach in erster Linie zur Bekanntmachung des livländischen Missionsunter-nehmens und zur Anwerbung von Livlandfahrern aus ritterlichen, geistlichen und kaufmännischen Kreisen. Neben den vom Papst genehmigten Versprechen wird Albert den Anzuwerbenden wahrscheinlich auch Landbesitz in Aussicht gestellt haben. Zwar waren bereits vor 1199 deutsche Kaufleute und Geistliche in Livland tätig und ansässig gewesen, doch erst mit dem von Albert initiierten Kreuzzug kam es ab 1199 zu einem jährlich eintreffenden Kontingent von Pilgern.
Im Frühjahr 1200 trat Albert mit 23 Schiffen von Lübeck aus seine erste Livlandfahrt an. Er machte zunächst auf Gotland Station, wo die bereits Geworbenen zum Kreuzzugsheer stießen. Die Livlandfahrt diente zunächst der Wiederherstellung der bischöflichen Autorität im Lande und ihrer Absicherung durch Wegführung von Geiseln, die vermutlich in Segeberg zu Priestern ausgebildet werden sollten. Außerdem ließ sich der Bischof von den Liven den locus rige, einen bis dahin ungenutzten Platz, zeigen, auf dem er im Einvernehmen mit der Gemeinschaft der Kaufleute eine Stadt, Riga, zu errichten beabsichtigte.
Albert hatte gleich erkannt, dass eine erfolgreiche Missionierung der Liven nur auf einer stabilen politischen Grundlage unter militärischem Schutz möglich war, und es stellte sich bald her-aus, dass eine Verteidigung der Christen, der Deutschen wie der Neugetauften unter den Liven, nicht allein defensiv möglich war. Das ganze Gebiet musste erobert und unter Kontrolle gehalten werden. Ihm standen anfangs aber nur angeworbene Kreuzfahrer zur Verfügung, die sich jeweils für ein Jahr zur Verteidigung des Bistums gegen Angriffe der heidnischen Liven, Semgaller, Kuren und Litauer und, wenn erforderlich, gegen die benachbarten Russen verpflichteten, um dann wieder nach Deutschland zurückzukehren. Infolgedessen war Albert gezwungen, seinen Wirkungskreis, in der Regel in jährlichem Turnus wechselnd, sowohl in Livland wie in Deutschland zu entfalten. Durch seine Kreuzzugspredigten erreichte er, dass besonders von Niederdeutschland aus immer aufs Neue Pilgerreisen nach Livland zustande kamen. Doch das alles reichte für eine dauerhafte Sicherung Livlands nicht aus. Von größter politischer und militärischer Bedeutung für Livland wurden drei Entscheidungen, die in den folgenden zwei Jahren fielen:
1) Gründung der Stadt Riga (1201), Errichtung des ersten Domes, Weihe des Domes und des Landes der Jungfrau Maria 1207. Indem Albert sein Missionsgebiet Livland der Heiligen Maria weihte, trug er wesentlich dazu bei, den Pilgerstrom in ausreichender Quantität nach Livland zu lenken. Während des ganzen 13. Jahrhunderts wurden weiterhin Kreuzfahrer für den Schutz der Christen gegen die Angriffe der Heiden geworben.
2) Erste Belehnung von zwei Kreuzfahrern mit den an der Düna gelegenen Burgen Üxküll und Lennewarden; dies war der Beginn des Vasallenstandes von Alt-Livland. Bald folgten weitere Kreuzfahrer, die sich entschlossen, ein Lehen zu empfangen und im Land zu bleiben.
3) Gründung des Ritterordens der Schwertbrüder (fratres milicie Christi de Livonia): Zusammenschluss einiger Ritter, wohl meist erfahrener Livlandpilger aus dem Raum zwischen Soest und Kassel, nach dem Vorbild und mit der Regel der Templer.
Der Zisterziensermönch und Vertraute Alberts, Theoderich von Treiden, reiste im Anschluss an die Stadtgründung Rigas im Auftrag des Bischofs nach Rom, um von Innocenz III. eine weitere Heerfahrtbulle zu erwirken, die Albert die verstärkte Heranziehung von Pilgern ermöglichte. Daneben bereitete Theoderich die Gründung der Zisterzienserabtei Mons S. Nicolai vor, die 1205 bei Dünamunde verwirklicht und bald von zahlreichen Geistlichen des Ordens bezogen wurde. Er reiste zusätzlich auch durch Deutschland, um Prediger für die Missionierung in Livland zu werben. Neben dem Orden der Zisterzienser kamen jedoch auch Mitglieder anderer geistlicher Gemeinschaften (Dominikaner, Regularkanoniker, Prämonstratenser) als Prediger, Missionare und Lehrer nach Livland. Teilweise entsprang ihr Engagement individueller Motivation und teilweise waren sie vom Papst und ihren geistlichen Oberen dazu aufgefordert worden.
So richtete sich der Papst am 12. Oktober 1204 an den Episkopat und Klerus der Provinz Bremen und legte ihnen dar, dass Bischof Albert darum gebeten habe, der Papst möge aus den umliegenden Ländern solche Kleriker und andere wegen Armut oder Schwachheit Untaugliche, die das Kreuz genommen und den Jerusalemzug gelobt hatten, nach Livland senden, um dort den Heiden zu predigen. Dieser Bitte kam Innocenz III. nach. Abschließend forderte er den Klerus auf, die Christen zur Hilfe und Beteiligung am Missionswerk zu mahnen, und versprach auch für diese Werbearbeit Teilhabe an der Sündenvergebung.
Die Ansiedlung von Kaufleuten, die schon seit langem in Liv-land Handel trieben und sich auskannten, musste an einem festem Stützpunkt interessiert sein. Noch 1200 erwirkte Albert auf Drängen der Kaufleute beim Papst ein Dekret, dass anderen Kaufleuten verbot, in den Semgaller Hafen einzulaufen. In die Jahre bis 1220 fallen zwei Stadterweiterungen Rigas, aufgrund des großen Zulaufs. Daneben bestimmten die Bedürfnisse der deutschen Stadtbewohner die Zuwanderung aus Deutschland nach Riga. Dieser Zuzug erfolgte in der Frühzeit jedoch nur zögernd, erst im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts setzte die Zuwanderung aus Deutschland in größerem Maße ein.
Albert schuf in Riga/Livland ein Bistum und geistliches Fürstentum analog zu den Bistümern des Reiches und übernahm somit nicht nur die oberste geistliche Führungsposition, sondern auch die weltliche Herrschaft. Livland wurde also von deutschem Gebiet her erschlossen und christianisiert; die Unterstellung Rigas/Livlands unter die Herrschaft Philipps von Schwaben und die damit verbundene Belehnung Alberts mit diesen Gebieten durch Philipp als einem Teil des Reiches sowie seine Aufnahme in den Reichsfürstenstand kennzeichnen den auch über die Ostsee hinweg engen Kontakt des livländischen Missionsgebietes mit dem Reich.
Die Stadt Riga wurde von Albert mit deutschen Kaufleuten und Bürgern besiedelt. In diesem Zusammenhang kam es bald darauf auch zu Belehnungen an deutsche Ritter und Ministeriale als Stützen der bischöflichen Herrschaft. Neben den deutschen Pilgern und Geistlichen stellten handeltreibende Kauf-leute, Angehörige der nordwestdeutschen städtischen Gesellschaft sowie die Kreuzfahrer die dauernde Grundlage für die Ausbildung und Ausbreitung der deutschen Siedlung und Herrschaft in Livland.
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Bild: Papst Innozenz III. übergibt dem vor ihm knienden Abt Arnaldus von Cîteaux eine Sammlung seiner Predigten. In einer Abschrift der Sermones aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist es die letzte der vier ganzseitigen Titelminiaturen. (Prag, Tschechische Nationalbibliothek, XXIII. F.144, fol. IVv). / Quelle: Von Autor unbekannt – Scan aus Viola Skiba: Papsttum, Reform und Predigt zu Beginn des 13. Jahrhunderts. In: Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter, Michael Matheus, Alfried Wieczorek (Hrsg.): Die Päpste. Amt und Herrschaft in Antike, Mittelalter und Renaissance. Regensburg 2016, S. 317-340, hier: S. 324, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59391766
Carl August Lückerath