Biographie

Kusser, Johann Sigismund

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Komponist, Kapellmeister
* 13. Februar 1660 in Preßburg
† 1. November 1727 in Dublin/Irland

Der Komponist und Orchester-Erzieher Johann Sigismund Kusser (auch Cousser) wurde im damals ungarischen Pressburg (heute Bratislava/ Slowakei) als Sohn der Maria Elisabeth und des Johann Kusser, seit 1656 Kantor an der evangelisch-lutherischen Kirche zu Pressburg, getauft. Am 18. Juli 1672 wurde dort das lutherische Kirchen- und Gemeindewesen zerstört. Die Familie wich zunächst nach Rust aus, wo die Evangelischen ihres Glaubens wegen wenig später das gleiche Schicksal erleiden sollten, worauf die Kussers das Land verließen. Der Vater erhielt schließlich Mitte Juni 1674 eine Anstellung als Directore und Informatore Musices an der Stiftskirche und dem Pädagogium in Stuttgart. Bei ihm hatte der inzwischen 14-jährige Johann Sigismund vermutlich den ersten Unterricht in Gesang, Orgelspiel und musikalischer Satzlehre erhalten. Nun sollte der Sohn wohl schon wenige Monate später in Paris vom berühmten französischen Hofkomponisten Jean-Baptiste Lully ausgebildet werden. Die Reise des jungen Kusser nach Paris wurde möglicherweise durch Herzog Ludwig Wilhelm von Württemberg (1647-1677) oder dessen Bruder Friedrich Carl (1652-1698) mit finanziert. Beide waren wenige Jahre zuvor selbst in Frankreich gewesen und bevorzugten offenbar den dortigen Musikstil, den ihre eigenen Musiker aber wohl nicht allzu gut beherrschten.

Im Alter von 20 Jahren stand Kusser in Diensten des Baden-Badener Hofes; das Württembergische Dienerbuch verzeichnet ihn 1681/82 als Hofmusiker, danach unterwies er die Geiger am Ansbacher Hof in der französischen Spielweise. Nach seiner Zeit in Ansbach bereiste Kusser nach dem 8. Oktober 1683 vermutlich ganz Deutschland.

Historisch fassbar wird er erst wieder mit seiner Ernennung zum Oberkapellmeister und Leiter der neu gegründeten Braunschweig-Wolfenbüttelschen Oper im Jahr 1690. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der nun 30-Jährige nur ein einziges Ouvertürenwerk publiziert. Es wird daher angenommen, dass weniger der Komponist als vielmehr der in französischer Orchestermanier geschulte Dirigent Kusser mit diesem Posten betraut worden war, der sich möglicherweise bereits im Folgejahr mit der Braunschweiger Ratsherrentochter Hedwig Melusine von Damm verheiratete und Vater zweier Töchter wurde, Auguste Elisabeth und Charlerotta Margareta.

In seinen Braunschweiger Jahren komponierte Kusser acht Opern, bis ihn Streitigkeiten mit dem Librettisten und Hofdichter Friedrich Christian Bressand vermutlich dazu veranlassten, 1694 an die Hamburger Oper zu wechseln. In Hamburg wurde Kusser in die Zwistigkeiten zwischen Jacob Kremberg und dem Licentiaten Gerhard Schott verwickelt. Als Kremberg schließlich die Bühne für Kussers Oper Pons verweigerte, mussten die Proben in Schotts Privathaus abgehalten werden. Die Aufführung erfolgte im Refektorium des Hamburger Doms, was dem Erfolg der Kusser-Oper keinen Abbruch tat, sich aber äußerst negativ auf die gleichzeitigen Opernaufführungen Krembergs im Opernhaus auswirken sollte und die Spannungen zwischen Kusser und Kremberg weiter vertiefte. Nach Auslauf seiner Pachtperiode verließ Kremberg Hamburg vermutlich Anfang 1695. Nun erst konnte Kusser die Leitung der Hamburger Oper für ein knappes Jahr übernehmen – für die ihm früher zugestandene überragende Bedeutung für die Hamburger Oper eine zu kurze Zeitspanne. Möglicherweise endeten auch seine Beziehungen zu Schott mit einem Missklang und veranlassten ihn, sich andernorts um eine feste Anstellung zu bemühen. Nach Stationen u.a. in Nürnberg und Augsburg, Gastspielreisen nach München, fand er schließlich 1699 erneut eine Anstellung am Stuttgarter Hof Eberhard Ludwigs von Württemberg. Unter ungewöhnlich günstigen Bedingungen wurde er am 17. April 1700 als Oberkapellmeister der Oper in den Hofstaat übernommen – vielleicht in Erinnerung an die früheren Stuttgarter Zeiten und die Herzog Friedrich Carl zu Württemberg gewidmete Composition de Musique von 1682.

Auch Stuttgart verließ Kusser schließlich 1704 wegen Streitigkeiten mit italienischen Musikern, die er selbst in Bologna und Venedig verpflichtet hatte. Auch sein Verhältnis zum Kirchenrat war angespannt, dem Kusser im Jahr zuvor einen geforderten Bericht über die Kapellknaben verweigert hatte. Nach einem Verweis des Herzogs – einhergehend mit einer Herabsetzung seines Gehaltes – ging Kusser noch im selben Jahr nach London, 1707 nach Dublin, wo er drei Jahre später zunächst eine Anstellung an der Kathedralkirche annahm. Wenige Jahre später war er Kapellmeister des Vizekönigs von Irland, am 12. November 1716 erfolgte seine Ernennung zum „Chief Composer and Music Master in Dublin-Castle“.

Kusser verstarb Ende November 1727 in Dublin. Die unmittelbar danach an seine in Braunschweig lebende Witwe erfolgte Auszahlung einer Pension wird als Hinweis auf eine Trennung des Paares seit Kussers Braunschweiger Zeit gedeutet, zumal Kussers Frau sonst in den schriftlichen Quellen nicht in Erscheinung trete.

Als Komponist schuf Kusser für die Nachwelt zahlreiche (meist verschollene) Opern, Instrumentalwerke und Serenaden. Die Bedeutung des überragenden Orchester-Erziehers für die Musikgeschichte liegt aber vor allem in seiner Mittlerstellung zwischen Frankreich und Deutschland, die die folgende Komponistengeneration wie Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel beeinflussen sollte. Kusser gilt neben Steffani als der Meister, der die Ouvertüre in Deutschland einführte, veröffentlichte er doch erstmals Tanzstücke und Ouvertüren als Konzertwerke nach dem Vorbild französischer Opernsuiten. Das Interesse an seinen über eine lange Zeit mehr oder weniger in Vergessenheit geratenen Werken erlebt in der Musikforschung in jüngster Zeit eine Renaissance.

Lit.: Heinz Becker, Art. „Kusser (Cousser), Johann Sigismund“, in: Musik in Geschichte und Gegenwart. Bd. 7, 1. Aufl. 1958, Spp. 1913-1918. – Heinz Becker/ Bernhard Moosbauer, Art. „Kusser (Cousser), Johann Sigismund“, in: Musik in Geschichte und Gegenwart. Personenteil. Bd. 10, 2. Aufl. 2003, Spp. 907-910. – Arrey v. Dommer, Art. „Cousser, Johann Siegmund“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 4 (1876) S. 535-537. – Kurt Freitag, Johann Sigismund Kusser (Cousser), geb. 1660 in Preßburg – gest. 1727 in Dublin, in: Karpatenjahrbuch 12 (1961) S. 46-50. – Adalbert Hudak, Johann Sigismund Kusser (1660-1727). Der Begründer der deutschen Oper in Hamburg, in: Ders., Ladislaus Guzsak, Karpatendeutsche Lebensbilder. Der Karpatendeutsche Beitrag zum europäischen Geistesleben, Erlangen 1971, S. 36-38. – Samantha Owens, Introduction, in: Johann Sigismund Kusser: Adonis, ed. by Samantha Owens. Middleton, Wisconsin 2009 (= Recent Researches in the Music of the Baroque Era, 154), S. 11-27. – Hans Scholz, Johann Sigismund Kusser (Cousser). Sein Leben und seine Werke. Diss. München 1911. – Klaus Zehn, Art. „Kusser, Johann Sigismund“, in: Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S. 342f.

Bild: Titelblatt zu „Ariadne“ 1692.

Heike Drechsler