Biographie

Foerster, Otfrid

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Neurologe, Neurophysiologe, Neurochirurg
* 9. November 1873 in Breslau
† 15. Juni 1941 in Breslau

Otfrid Foerster wurde am 9. November 1873 in Breslau geboren und starb dort am 15. Juni 1941 an Lungentuberkulose. Seine Frau Martha erlag demselben Leiden zwei Tage darauf; man bestattete beide in einem Grabe. Anläßlich des europäischen Neurochirurgenkongresses 1987 in Breslau besuchten die bundesdeutschen und mitteldeutschen Neurochirurgen gemeinsam das Grab: es gehört zu den ganz wenigen erhaltenen deutschen Grabstätten in Schlesien. Nach seinem Abitur am Breslauer Maria-Magdalenen-Gymnasium absolvierte Foerster sein Medizinstudium in Freiburg, bis zum Physicum in Kiel und bis zum Staatsexamen 1897 an der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Noch als Student hospitierte Foerster in der Heil- und Pflegeanstalt Leubus, wo der nachmals berühmte Emil Kraepelin Oberarzt gewesen war. Mitentscheidende Impulse für die Wahl des Faches Neurologie erhielt Foerster von seinem Lehrer Carl Wernicke (aus Tarnowitz gebürtig). Nach der Promotion bildete sich Foerster auf Anraten von Wernicke zwei Jahre lang in Paris und in der Deutschen Schweiz weiter. Foersters außerordentliches manuelles Geschick erwies sich alsbald in der seinerzeit weltberühmten Breslauer Chirurgischen Universitätsklinik unter v. Mikulicz-Radecki, dessen Rat zur fachchirurgischen Ausbildung Foerster aber ausschlug. Vielmehr wandte er sich endgültig der aufblühenden neurologischen Wissenschaft zu. Foerster habilitierte sich 1903 bei Wernicke, als dessen bedeutendster Schüler er anzusehen ist. Foerster betrieb vornehmlich die funktionell-lokalisatorische Richtung seines Faches. Bald gaben Professor Wernicke und dessen Assistent bzw. Privatdozent als Ergebnis paralleler Studien einen Atlas des Gehirns heraus. Foerster gelangte u.a., ausgehend von der Symptomatik von Krankheiten des Rückenmarks, zu ganz neuen maßgebenden Konzeptionen in Analyse und Behandlung von Gehstörungen, wurde zu einem Begründer der Neuro-Orthopädie und entwickelte aufsehenerregende operative Methoden der Schmerztherapie und der Beseitigung spastischer Kontrakturen der Beine (ein Dauerzustand krankhafter Kontraktion von Muskeln infolge Schädigung von Gehirn und/oder Rückenmark; Foerstersche Operationen an Rückenmark bzw. Rückenmarkwurzeln). Die mit dem schlesischen Chirurgen Alexander Tietze erarbeiteten Operationsverfahren bedeuteten für die Fachwelt eine Sensation. Während des Ersten Weltkrieges und danach operierte Foerster tausende Schußverletzte an peripherischen Nerven und am Zentralnervensystem, entwickelte neuartige fruchtbare Methoden und forcierte die Nachbehandlung, Foerster avancierte zum Meister der Rehabilitation. 1917 glückte ihm als zweitem in der Welt die Entfernung einer Geschwulst im Rückenmark. In den ersten Friedensjahren beschäftigte er sich u.a. mit operativen Problemen von Schußwunden des Gehirns, verbunden mit neurophysiologischen Studien über Krampfanfälle. Bis nach 1930 umfaßte Foersters eigene glänzende Operationsstatistik viele Geschwülste aller Abschnitte des Zentralnervensystems. 1911 erhielt Foerster im Allerheiligenhospital eine kleine Bettenstation; dort geschahen zusammen mit Tietze und Küttner neurochirurgische Großtaten. 1924 konnte diese Abteilung ins Wenzel-Hancke-Krankenhaus  verlegt  werden. Auch  dort  blieben  die  Arbeitsbedingungen geradezu unwürdig. Im Jahre 1934 wurde endlich in räumlicher Verbindung mit dem Wenzel-Hancke-Krankenhaus ein Institutsneubau eingeweiht. Dieser von der Rockefeller-Stiftung ermöglichte Komplex hieß später Otfrid-Foerster-Institut. Maßgebenden Verdienst um den Bau gebührte dem Stadtkämmerer Dr. Friedell; den Etat trugen der Staat Preußen, die Provinz Schlesien und die Landeshauptstadt Breslau. In diesem Zeitraum verlor Foerster infolge der NS-Herrschaft manchen hoffnungsvollen und hochbegabten Mitarbeiter. Ernst Altenburger, mit dem Foerster zum ersten Male in der Welt electrocorticographische Untersuchungen (Verfahren zur graphischen Darstellung von elektrischen Aktionsströmen der Gehirnrinde zwecks Diagnostik) entwickelt hatte, war sterbenskrank. Da Foerster auf Wunsch des Auswärtigen Amtes 1922-1924 Lenin behandelt hatte und seine Frau halbjüdischer Abstammung war, erlebte Foerster politische Querelen, die seine produktive Tätigkeit zu schmälern drohten. Foersters Ruhm zog zwischen 1925 und 1935 Experten ersten Ranges aus aller Welt nach Breslau. Damals gehörte ein Aufenthalt in Breslau zur guten Ausbildung amerikanischer Neurologen und Neurochirurgen. Bis in die Nachkriegszeit hinein saßen auf zahlreichen Lehrstühlen Nordamerikas Schüler und Freunde Foersters. 1935 wurde Foerster die Jackson-Gedächtnis-Medaille anläßlich des 100. Geburtstages dieses berühmten englischen Neurologen verliehen. Foersters dominierende Rolle in der klinischen Neurologie zumindest im deutschen Sprachraum blieb ab ungefähr 1924 unangetastet, und bis 1930 gehörte er zu den führenden Neurochirurgen der Welt. Bis 1932 führte er als Vorsitzender die Gesellschaft Deutscher Nervenärzte zu Glanz und Ehren, dann berichtete er infolge organisatorischer Veränderungen seitens des NS-Regimes auf dem Wiesbadener Internistenkongreß. Einen letzten Höhepunkt seiner Laufbahn bildete 1937 der Abend in seinem Hause anläßlich des Besuches der englischen Neurochirurgischen Gesellschaft mit der Ernennung zum „Membrum emeritum“, die höchste Auszeichnung dieser illustren Gesellschaft. Foerster, seit 1922 persönlicher Ordinarius, lehnte Rufe auf den Heidelberger Lehrstuhl und an das Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin-Buch ab; er hielt seiner Schlesischen Heimat die Treue, wie oft hervorgehoben.

Ein Resümee seiner ungeheuren Forschungstätigkeit und seiner Gedankengänge legte Foerster in dem gemeinsam mit Oskar Burtike herausgegebenen Handbuch der Neurologie nieder – ein Riesenwerk, neben in anderen Monographien und vielen Einzelarbeiten und Kongreßberichten, insgesamt auf vielen tausend Seiten. Der„Titan“ Otfrid Foerster gilt bis heute als unerreichter Repräsentant der Neurologie in Forschung und Klinik und als ein Begründer der modernen Neurochirurgie. Die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie hat eine Otfrid-Foerster-Medaille gestiftet.

Lit.: Werner Gottwald: Otfrid Foerster. In: Schlesische Lebensbilder, Bd. VI. Sigmaringen: l Thorbecke. – Klaus Joachim Zülch: Otfrid Foerster. Arzt und Naturforscher. 9.11.1872-15.6.1941. Berlin-Heidelberg-New York: Springer 1966.

Bild: K. J. Zülch (wie oben)

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Otfrid_Foerster

Werner Gottwald