In fast allen europäischen Groß- und Handelsstädten, vom späten Mittelalter bis weit in die Neuzeit hinein, waren die führenden Ratsgeschlechter nicht nur verantwortlich für Politik und Verwaltung, sondern sie wandten sich auch häufig der Pflege von Kunst und Wissenschaft zu, wurden selber eifrige Chronisten und Sammler wichtiger Altertümer sowie rege Förderer sozialer oder gelehrter Einrichtungen. Auch in der Hansestadt Danzig gab es über Generationen hinweg solche Familien, die die Geschicke der Stadt lenkten und zugleich große Verdienste um das kulturelle, künstlerische und wissenschaftliche Ansehen ihres Gemeinwesens erwarben. Seit dem 18. Jahrhundert gehört dazu die Familie Gralath, deren namhaftester Vertreter gleich am Beginn der Ahnenreihe steht und der speziell im Bereich der aufstrebenden Naturwissenschaften Bahnbrechendes geleistet hat.
Daniel Gralath wurde am 30.5.1708 als Sohn eines Danziger Kaufmanns geboren, dessen aus Regensburg stammender Vater 1690 das Danziger Bürgerrecht erworben hatte. Nach dem Besuch des renommierten Akademischen Gymnasiums, wo er sich bevorzugt mit Mathematik und Physik beschäftigte und an entsprechenden Disputationen teilnahm, ging er 1728 zum Studium der Rechtswissenschaften nach Halle und Marburg/Lahn. Hier lernte er Christian Wolff (1679-1754), den großen Philosophen, Mathematiker und führenden Vertreter des Rationalismus, kennen und schätzen. Nach gemeinsam mit seinem Bruder unternommenen Reisen – und wohl auch ohne akademischen Titel – kehrte Gralath 1734 in die gerade durch den polnischen Erbfolgekrieg stark geschädigte Heimatstadt zurück und widmete sich, da die Familie hinreichend vermögend war, als Privatmann den Wissenschaften. Drei Jahre später heiratete er die Tochter des seinerzeit bekannten Naturforschers, Botanikers und Stadtsekretärs Jacob Theodor Klein (1685-1759), die künstlerisches Talent besaß und die Abhandlungen ihres Mannes zu illustrieren verstand. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor, von denen nur ein Sohn den Familienstamm fortsetzte.
Als im 18. Jahrhundert durch die Folgen der nordischen Kriege der Glanz Danzigs immer mehr verblasste und neben dem Rückgang des materiellen Wohlstands auch die geistigen Kräfte erlahmten, erfuhren die „exakten“ Wissenschaften, insbesondere die experimentelle Physik, einen ungeahnten Aufschwung. Dazu trug der nach wie vor rege Verkehr mit der Außenwelt bei, der die Kenntnis von den Fortschritten in Naturwissenschaft und Technik auch in die alte Hansestadt brachte. Hierfür steht eine Reihe illustrer Namen, die alle Söhne der Stadt oder aus dem Umland waren: Angefangen bei dem Astronomen Hevelius über die Botaniker Breyne und Reyger, den Mediziner Gottwald bis zu Fahrenheit, dem genannten Theodor Klein oder den Naturforschern Forster (Vater und Sohn). Neben der reinen Naturbeobachtung standen Physik, Mechanik und besonders die Experimente mit der Reibungselektrizität obenan. Letztere war auch das Spezialgebiet Daniel Gralaths. Als man im Jahr 1729 den Unterschied von Leitern und Nichtleitern der Elektrizität entdeckt hatte, begann in vielen Ländern Europas auf diesem Sektor eine neue fruchtbare und zukunftsweisende Epoche. Gralath gelang es, die sog. Leidener (oder Kleistsche) Flasche zu verbessern, entdeckte hierbei deren Ladungsrest und kann als Erfinder der elektrischen Batterie gelten, indem er die Ladeköpfe mehrerer Leidener Flaschen leitend miteinander verband. Auch versuchte er zu ermitteln, mit welcher Kraftmenge elektrisch geladene Körper aufeinander wirken.
Während dieser Experimentierphase, an der sich zahlreiche weitere Natur- und Technikforscher beteiligten, regte Gralath – zur Bündelung der Kräfte und der Ideen sowie zur Verbreitung in der Öffentlichkeit – die Gründung einer Naturforschenden Gesellschaftan, die unter lebhafter Zustimmung am 2.1.1743 von 9 angesehenen Wissenschaftlern gestiftet wurde und die, allen Unbilden der Zeiten zum Trotz, bis 1945 bestanden hat. Sie trug den internen Namen Societas physicae experimentalis und sollte sich vorrangig mit Experimentalphysik beschäftigen. Zugleich war geplant, die Ergebnisse der Forschungen in einer Schriftenreihe zu veröffentlichen, was gleichfalls bis zum Ende erfolgreich durchgeführt wurde. Die Errichtung dieser Gesellschaft ist Gralaths ureigenste Leistung gewesen, und sie hat nicht zuletzt dazu beigetragen, über zwei Jahrhunderte lang dem geistigen Leben in Danzig wichtige Impulse zu verleihen und die Vermittlung der naturwissenschaftlichen Kenntnisse in der Bevölkerung zu fördern.
Gralaths naturkundliche Interessen waren weitgestreut, und er hat auf verschiedenen Gebieten geforscht. Die ihm übertragenen öffentlichen Ämter im Dienst seiner Vaterstadt nahmen ihn jedoch immer stärker in Anspruch, so dass er sich nach etwa zehn Jahren an den wissenschaftlichen Arbeiten nicht mehr beteiligen konnte. 1754 wurde er Schöffe der Rechtstadt, 1758 Ratsherr und schließlich 1763 Bürgermeister der Stadt. Sowohl die 1748 beginnende politische Auseinandersetzung mit dem polnischen König als auch die Bedrohungen durch den Siebenjährigen Krieg stellten erhebliche Anforderungen an das Geschick der städtischen Führung. So musste sich z.B. Gralath zusammen mit seinem Ratskollegen Weickhmann 1758 in das Hauptquartier des russischen Befehlshabers Graf Fermor begeben, um der Forderung nach einer russischen Besatzung innerhalb der Danziger Mauern zu begegnen. Diese Mission, die sich in den folgenden Jahren wiederholte, endete jeweils erfolgreich für die Stadt, wozu die entsprechenden „Geldopfer“ nicht unerheblich beitrugen, aber auch von der Standhaftigkeit der Ratsvertreter Zeugnis ablegen. Ein besonderes Denkmal schuf sich Daniel Gralath, das heute noch besteht: Für den Plan, die rund 2 km lange Doppelallee von Danzig zum Vorort Langfuhr mit holländischen Linden zu bepflanzen, gelang es ihm, die über 100.000 Gulden betragenden Kosten unter den Bürgern aufzubringen. Die Ausführung dieser einmaligen Anlage (1768-1770) erlebte er nicht mehr; er starb am 23.7.1767. Zwei Söhne gelangten gleichfalls zu öffentlichen Ehren:
1) Daniel Gralath d. J. (1739-1809) war seit 1763 Professor der Geschichte und Rechtskunde am Akademischen Gymnasium, 1799-1808 dessen Rektor und verfasste einen dreibändigenVersuch einer Geschichte Danzigs (erschienen 1789-91), der allerdings den literarischen Quellen verhaftet blieb. 2) Carl Friedrich (v.) Gralath (1741-1818) wurde 1768 Stadtsekretär und war als diplomatischer Vertreter bei den Verhandlungen über die polnischen Teilungen erfolgreich tätig. Nach dem Übergang Danzigs an Preußen wurde er 1794 Bürgermeister und preußischer Kriegsrat; 1798 erhielt er den erblichen Adel. – Nach dem Aussterben der männlichen Hauptlinie 1864/67 gelang es der Danziger Stadtbibliothek, die überaus wertvolle Gralathsche Familienbibliothek zu erwerben. In dieser befanden sich u.a. auch die Originalhandschriften Daniel Gralaths zu seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten über die Elektrizität, wo sie auch noch heute von den beachtlichen Leistungen der Danziger gelehrten Bürger im Zeitalter der europäischen Aufklärung künden.
Lit.: Hans-Jürgen Kämpfert: Die Familie Gralath in Danzig, in: Preußische Landesgeschichte. Festschrift für Bernhart Jähnig zum 60. Geburtstag, hrsg. von U. Arnold, M. Glauert u. J. Sarnowsky (Einzelschr. d. Histor. Kommission f. ost- u. westpreuß. Landesforschung, Bd. 22), Marburg 2001, S. 299-311. Dort weiterführende Literatur; außerdem: Altpreußische Biographie Bd. 1, Königsberg 1941/Ndr. Marburg 1974, S. 228. – Neue Deutsche Biographie Bd. 6 (1964), S. 736f. – Westpreußisches Geschlechterbuch, bearb. v. Helmut Strehlau, Bd. 4, Limburg 1980, S. 129-149 (dort auch das Familienwappen).
Bild:Kulturstiftung.