Biographie

Hahn, Carl Hugo

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Afrikamissionar, Sprachforscher
* 18. Oktober 1818 in Aahof/Livland
† 24. November 1895 in Kapstadt

Kindheit und Jugend verbrachte Carl Hugo, der jüngste Sohn von Carl Peter Hahn, Kassenintendant beim Adeligen Kreditwesen in Riga, und Helene, geb. Majus, auf dem von seinem Vater gepachteten livländischen Gut Aahof sowie dem elterlichen Besitz Vegesacksholm. Nach dem Besuch der Domschule und des Gymnasiums in Riga entschloß er sich zum Ingenieurstudium. 1834 bestand er die Aufnahmeprüfung für die Ingenieurschule der russischen Armee. Allerdings befriedigte ihn die eingeschlagene berufliche Laufbahn nicht recht. Ein Erweckungserlebnis gab dem Lebensweg des vom Elternhaus nicht ausgesprochen religiös Geprägten die entscheidende Wende: Tief beeindruckt von dem innigen Gebet eines kleinen Mädchens, suchte er durch Vermittlung eines Vetters den Anschluß an die Herrnhuter Brüdergemeine.

Eine besondere Anziehung übte die Missionsbewegung auf Hahn aus, so daß er 1837 seine Heimat verließ, um sich bei der Rheinischen Missionsgesellschaft in Barmen als Missionar zu bewerben. Nach einem Probehalbjahr an der reformierten Pfarrschule in Elberfeld wurde er im August 1838 als Student in das Missionsseminar aufgenommen. Am 2. April 1841 legte er in Elberfeld das theologische Examen ab, erhielt am 6. Mai die Ordination und reiste noch im gleichen Jahr über Rotterdam und London nach Kapstadt, wo er am 13. Oktober 1841 eintraf.

Nach den Instruktionen der Rheinischen Missionsgesellschaft sollte Hahn zusammen mit einigen anderen Missionaren im Gebiet der zu den Hottentotten gehörenden Nama und der Herero, einer Bantunegergruppe, in Südwestafrika, dem heutigen Namibia, den christlichen Glauben verkünden. Sie betraten damit missionarisches Neuland. Stammeskämpfe zwischen den beiden Völkern gefährdeten wiederholt ihre Tätigkeit und zerstörten teilweise die von ihnen aufgebauten Siedlungen. Mit unerschütterlichem Optimismus und großem Enthusiasmus begab sich Hahn dennoch nach Windhoek, in das Zentrum seines künftigen Arbeitsgebietes. Zwar empfingen ihn die Nama am 9. Dezember 1842 freundlich, doch mußte er sich mit methodistischen Missionaren auseinandersetzen, die in Windhoek ebenfalls eine Missionsstation errichten wollten. Daher entschied er im Oktober 1844, zusammen mit seinem Kollegen Franz Heinrich Kleinschmidt weiter nördlich, in dem noch völlig unerschlossenen Hereroland, einen Neuanfang zu wagen. In ihrer Begleitung befand sich die Tochter des englischen Sozialreformers William Hone, Emma, die sich ebenfalls der Heidenmission verschrieben hatte. Carl Hugo Hahn hatte sie in Kapstadt kennengelernt und am 3. Oktober 1843 geheiratet. Der Ehe entsprangen eine Tochter und drei Söhne, von denen der jüngste, Traugott, als Pastor ins Baltikum zurückkehrte. Bereits vor seiner Eheschließung hatte Hahn zwei Nama-Knaben adoptiert, die ihm unter anderem wertvolle Übersetzungsdienste leisteten.

Die kleine Schar kam am 31. Oktober 1844 nach Otjikango, das sie verheißungsvoll in "Neu-Barmen" umbenannte. Nur mit unendlicher Geduld und unter zahlreichen Rückschlägen gewannen die Missionare in den folgenden Jahren das Vertrauen der Herero. Hahn, der in der Herero-Mission immer mehr seine Lebensaufgabe sah, erlernte sogar die Sprache der Herero, übersetzte das Neue Testament sowie Teile des Alten Testaments und Kirchenlieder in die Eingeborenensprache und sorgte für deren erste Verschriftung, indem er eine Herero-Grammatik sowie ein Herero-Wörterbuch herausgab. Trotz der Gründung von zwei weiteren Missionsstationen blieben die Evangelisierungserfolge äußerst dürftig. Bei den Verantwortlichen der Rheinischen Missionsgesellschaft stieß Hahns scheinbar vergebliches Engagement auf wenig Verständnis, so daß er sich 1853 zu einer Reise nach Deutschland entschloß, um dort für sein Anliegen zu werben. Nachdem er seine Söhne zur Erziehung im Evangelisch-Stiftischen Gymnasium in Gütersloh untergebracht hatte, reiste er mit Frau und Tochter weiter durch Europa, zunächst in seine baltische Heimat, dann nach Sankt Petersburg, Berlin und London. Überall erregten seine Vorträge und Predigten, insbesondere aber seine sprachwissenschaftlichen Ausführungen über die Herero-Sprache große Aufmerksamkeit. Die Berliner Akademie der Wissenschaften ermöglichte sogar den Druck seiner Herero-Grammatik.

Mit dem Auftrag der Rheinischen Missionsgesellschaft, die Evangelisation auf das sich nördlich an sein bisheriges Tätigkeitsfeld anschließende Ovamboland auszudehnen, kehrte Hahn 1856 nach Südwestafrika zurück. Dort fand er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Neu-Barmen war durch die sich verschärfenden Stammesfehden in völligem Niedergang begriffen. Das Expeditionsteam, das unter Hahns Führung 1857 ins Ovamboland vordrang, entging nur knapp der Ermordung durch die Eingeborenen. Hahn erkannte, daß die Missionierung nur gelingen konnte, wenn sie die christliche Lebensweise in die einheimische Kultur integrierte und gleichzeitig Entwicklungshilfe leistete, das heißt Handwerker, Kaufleute und Landwirte mit einbezog. Für dieses aus heutiger Sicht moderne Modell warb er erfolgreich während seines zweiten Deutschlandaufenthaltes von 1860 bis 1863. Unter anderem unterstützten der Ravensberger Missionsverein und die Fürstin Elisabeth von Lippe-Detmold sein Vorhaben.

Als Hahn Ende 1863 nach Südwestafrika zurückkehrte, hatten die Herero gerade einen entscheidenden Sieg über die Nama davongetragen und öffneten sich nun bereitwillig den Christianisierungsbemühungen. So konnte er die "Missionskolonie" Otjimbingue mit dem "National-Gehülfeninstitut Augustineum" zur Ausbildung eingeborener Missionare errichten, welche sowohl die Nama und Herero als auch die weißen Händler respektierten. Die Jahre zwischen 1864 und 1868 bildeten die fruchtbarste Zeit in Hahns Tätigkeit. Ein plötzlicher Überfall der Nama auf die Missionsstation bereitete 1868 dem Modellversuch jedoch ein jähes Ende. Die Herero flohen aus der Siedlung und wandten sich vom Christentum ab. Zwar konnte Hahn 1870 noch einmal einen zehnjährigen Frieden zwischen den verfeindeten Stämmen vermitteln und die Finnische Missionsgesellschaft für die Evangelisation des Ovambolandes gewinnen, doch ließ sich an das frühere Wirken nicht mehr anknüpfen. Als die Rheinische Missionsgesellschaft begann, sich kolonialistisch zu betätigen und eine eigene Handelsgesellschaft gründete, die auf profanen Profit abzielte, sah Hahn sein Evangelium und Entwicklungshilfe integrierendes Missionswerk gefährdet. Hinzu kamen konfessionelle Auseinandersetzungen zwischen dem lutherisch gesinnten Missionar und der vom Geist der altpreußischen Union geprägten Gesellschaft. So trennte sich Hahn 1872 im Streit von der Rheinischen Missionsgesellschaft, der er dreißig Jahre lang gedient hatte.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Deutschland (1873/74), während dem ihm die Universität Leipzig für seine sprachwissenschaftlichen Studien die Ehrendoktorwürde verlieh, übernahm er die Leitung der deutsch-lutherischen Sankt-Martins-Gemeinde in Kapstadt und vorübergehend das Amt des Superintendenten für Groß-Nama- und Hereroland. In den folgenden Jahren reiste er wiederholt zu seinen Kindern ins Baltikum und nach Amerika, wo seine Tochter verheiratet war, sowie in sein geliebtes Hereroland. Seit 1880 verwitwet, gab Hahn 1884 die Pfarrstelle in Kapstadt auf, entschloß sich aber 1886, zur Entlastung seines Sohnes Hugo, Pastor in Paarl, dessen Filialgemeinde Worcester bei Kapstadt zu verwalten. Der Tod ereilte ihn nach kurzem Leiden in Kapstadt, wohin er zur Begrüßung neuer Missionare gefahren war.

Carl Hugo Hahn gehörte zu den Wegbereitern der evangelischen Mission in Südwestafrika. Von ebenso großer Bedeutung waren seine Studien über die Herero-Sprache, welche die europäischen Wissenschaftler mit einer bis dahin weitgehend unbekannten Kultur und Mentalität bekannt machten.

Werke: Grundzüge der Grammatik des Herero nebst einem Wörterbuch, Berlin 1857. – Carl Hugo Hahn. Tagebücher 1837-1860. Diaries, Tl. I-V, hrsg. v. B. Lau, Windhoek 1984 ff. – Weitere Hinweise bei Sundermeier (siehe unten unter Lit.), S. 209 f.

Lit.: E. Fries: Artikel Hahn, Carl Hugo, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 49, Berlin 1904,21971, S. 706-709. – P. Richter: Gottesmänner im Heidenland, Stuttgart 1922, S. 27-43. – H. Drießler: Die Rheinische Mission in Südwestafrika. (Geschichte der Rheinischen Mission, Bd. 2), Gütersloh 1932, S. 21 ff., 49 ff., 62 ff. – E. Thomson: Hugo Hahn, Bahnbrecher der Hereromission und Ahnherr eines Pfarrergeschlechts, Stuttgart 1956. – Th. Sundermeier: Mission, Bekenntnis und Kirche. Missionstheologische Probleme des 19. Jahrhunderts bei Carl Hugo Hahn, Wuppertal 1962. – W. Holsten: Artikel Hahn, Hugo, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 3, Tübingen31959, Sp. 28 f. – Ders.: Artikel Hahn, Carl Hugo, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 7, Berlin 1966, S. 509. – Artikel Hahn, Carl Hugo, in: Deutschbaltisches Biographisches Lexikon 1710-1960, Köln, Wien 1970, S. 287 f. – F. W. Bautz: Artikel Hahn, Hugo, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 2, Lfg. 13, Hamm 1977, Sp. 465-469. – W. Hahn: Der Ruf ist immer neu. Aus 200 Jahren der baltischen Theologenfamilie Hahn, Neuhausen-Stuttgart 1993, S. 31-82.

Bild: Leihgabe aus dem Privatbesitz des Urenkels von Carl Hugo Hahn, Prof. DDr. h.c. Wilhelm Hahn, Heidelberg, dem an dieser Stelle herzlich gedankt sei.

 

  Barbara Wolf-Dahm