Wie Abraham Buchholzer (1529-1584) und Martin Moller (1547-1606) gehört auch Herberger zu den Vätern der „Schlesischen Innerlichkeit“. Als Angehöriger der zweiten nachreformatorischen Generation stellte er bereits die Frage, die hundert Jahre später den Pietismus in seinen verschiedenen Spielarten umtreiben sollte: Wie ist es bei uns mit der Heiligung? Die Fraustädter waren getauft, lutherisch, dem Namen nach Christen, – aber lebten sie auch christlich? Herberger hatte seine Zweifel. Er sah, dass die Reformation ein historischer Fehlschlag wird, wenn es nicht gelingt, die Leute fromm zu machen – ohne in die alte Werkgerechtigkeit zurückzufallen. Aber wie kann das gehen? – Und wer war Herberger?
Geboren wurde er in Fraustadt am 2. April 1562 als Sohn eines Kürschners. Der Vater starb als Valerius neun Jahre alt war. Es war sein erklärter Wunsch, dass sein Sohn einmal Pastor würde. Bis 1579 besuchte Valerius die Fraustädter Lateinschule, anschießend bis 1584 das Gymnasium in Freystadt/Schlesien und dann die Universitäten Frankfurt/Oder und Leipzig. In Freystadt beeindruckten ihn die Predigten des Pastors Abraham Buchholzer. In Leipzig schloss er sich Nikolaus Selnecker (1530-1592) an, einen Philippisten (Schüler von Philipp Melanchthon). 1584 rief ihn der Rat von Fraustadt zurück und übertrug ihm die Stelle des Baccalaureus an der Lateinschule, 1590 das Amt des Diakonus in Fraustadt und zum 1. Januar 1599 des Pastors an der Stadtpfarrkirche St. Marien. Auf dieser Stelle ist Herberger, nachdem er mehrere ehrenvolle Berufungen nach außerhalb abgelehnt hatte, bis zu seinem Tod am 13. Mai 1627 geblieben.
Nach der Ernennung zum Diakonus heiratete Herberger die Ratsherrentochter Anna Rüdinger (1568-1629). Ein Jahr später wurde der Sohn, Zacharias (1591-1631) geboren, der in der Nachfolge des Vaters ebenfalls Pastor in Fraustadt wurde.
In Herbergers Amtszeit fielen zwei für die Gemeinde tief einschneidende Ereignisse: Im Herbst 1604 kam, durch die Gegenreformation erzwungen, vom Rat der Stadt ultimativ die Aufforderung, die Stadtkirche an die Katholiken zurückzugeben. Dank einer ungeahnten Einsatzbereitschaft der Gemeinde gelang es in der kurzen Zeit bis Weihnachten, eine Ersatzkirche zu errichten. Bei der Eröffnung an Heilig Abend gab Pastor Herberger ihr den beziehungsreichen Namen Kripplein Christi. Das andere Ereignis war die Pestepidemie im Jahr 1613. Von den 6.000 Fraustädtern wurden 2.195 in den Tod gerissen. Herberger hat seiner Gemeinde als unermüdlicher Seelsorger beigestanden, eine Pestchronik geführt und das Sterbelied Valet will ich dir geben, du arge, falsche Welt gedichtet. Melchior Teschner (1584-1635), Kantor in Fraustadt, hat es vertont. Im Evangelischen Gesangbuch ist es heute unter Nr. 523 zu finden.
Besonders am Herzen aber lag Herberger die Besserung der Menschen durch den Glauben, der sich dann auch in einem guten christlichen Leben zeigt. Dabei setzte er nicht auf Belehrung wie seine orthodoxen Kollegen. Er glaubte, dass sie damit nur den Kopf, nur den Intellekt erreichten. Er wollte das Herz und den Willen der Hörer treffen, damit sich dann auch wirklich etwas bewegt. So ist er zum „Herz-Prediger“ geworden, bekannt und gelesen weit über Fraustadt hinaus. Allein seine Evangelische Herz-Postille erlebte bis 1715 25 Auflagen, die Epistolische Herz-Postille immerhin vier. Auf diese Weise wurde Herberger einer der großen Erfolgsautoren der lutherischen Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts.
Dazu kam in den Jahren 1601 bis 1618 seine Arbeit an den Magnalia Dei de Jesu, einem zwölfteiligen Kommentar zu den Büchern des Alten Testaments vom Ersten Buch Moses bis Ruth über die Großtaten Gottes in Jesus. Ziel ist das Herausfinden und Herausstellen von verborgenen Hinweisen auf Jesus Christus im Alten Testament. Die Ausdeutung dieser Hinweise geschieht in 771 Meditationen, die jeweils in Gebete einmünden. Die Magnalia Dei zeigen Herberger als Jesus-Mystiker. Dazu passt, dass er sich selbst einen „Liebhaber Jesu“ nannte. Bis 1708 erlebten die Magnalia Dei fünf Auflagen.
Diese Wirkungsgeschichte ist durch die Aufklärung abrupt unterbrochen worden. Die Aufklärung wusste mit Schriftstellern dieser Art nichts anzufangen. Zwischen 1740 und 1840 ist Herberger nicht mehr verlegt worden. Erst mit der Rückbesinnung auf die „alten Tröster“ aus der Zeit des Barock belebte sich auch wieder das Interesse am alten „Herzberger“. Ab 1840, mit Höhepunkt in den fünfziger und sechziger Jahren, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden fünf erbauliche Biographien über ihn geschrieben und zahlreiche Predigtbände herausgegeben. Die Evangelische Herz-Postille war auch jetzt wieder das erfolgreichste Buch Herbergers.
Werke: Drei Predigtbücher: Evangelische Herzpostille, Epistolische Herzpostille und Geistreiche Stoppelpostille. – Magnalia Dei s. de Jesu Scripturae nucleo et medulla, erbauliche Betrachtungen über die alttestamentlichen Bücher Mose, Josua, Richter, Ruth. – Passionszeiger. – Trauerbinden d. h. Leichenpredigten in 7 Theilen. – Erklärung des Buches Sirach in 95 Predigten. – Psalterparadies, Erklärung der Psalmen 1–23, fortgesetzt von seinem Sohn Zacharias Herberger.
Lit.: S. F. Lauterbach, Vita, fama et fata Valerii Herbergeri, 2 Teile. Leipzig 1708. – J. A. Wagenmann, Herberger, Valerius, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Bd. 12, Leipzig 1880, S. 28 f. – I. Buchholz, Valerius Herberger – Prediger am „Kripplein Christi“ zu Fraustadt in Polen, Ost-Berlin 1965. – W. Jannasch, Herberger, Valerius, in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Bd. 8, Berlin 1969, S. 576 f. (Digitalisat). – G. Hultsch, Valerius Herberger, in: Ostdeutsche Gedenktage, Bonn 1977. – Deutsches Literatur-Lexikon, 3. Aufl. Bd. 7, 1979 Sp. 923 (Art. V. Herberger v. I. Bigler) . – J. Erb, Dichter und Sänger des Kirchenliedes Bd. II, 2. Aufl. Lahr-Dinglingen 1985 S. 60-69. – Ch.-E. Schott, Die Herberger-Renaissance im 19. Jahrhundert, JSKG 66/1987 S. 125-139. – Ders., M. Valentin Preibisius – ein ev. Pfarrerschicksal im Zeitalter der Gegenreformation, JSKG 67/1988 S. 97-115. – Ders., Die Mystik des Valerius Herberger JSKG 68/1989 S. 27-42. – F. W. Bautz, Herberger, Valerius. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Bd. 2, Hamm 1990, Sp. 729-732. – Literatur Lexikon hrsg. v. W. Killy, Bd. 5, 1990, Sp. 224 f. Art. v. H. K. Krause. – Ch.-E. Schott, Fraustadts Bedeutung für die Kirchengeschichte, JSKG 75/1996 S. 23-44. – Ders., Valerius Herberger (1562-1627). Lexikonartikel in: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), 4. Aufl., Bd. 3, Tübingen 2000 Sp. 1640. – Ders.: Valerius Herberger (1562-1627), Schlesische Lebensbilder Bd. VII, Stuttgart 2001, S. 30-35 (mit Bild). – Ders., Fraustadt – Zufluchtsort für ev. Glaubensflüchtlinge, JSKG 88/89 2009/2010, S. 381-388. – Ders., Die Neuaufstellung des Luthertums in Fraustadt durch Valerius Herberger, JSKG 88/89 2009/2010 S. 389-396. – Ders., Valerius Herberger i nowe uformowanie luteranizmu we wschowie, in: Kościół imienia Źłóbka Chrystusa (Kripplein Christi) we Wschowie na tle procesu konfesjonalizaji w krajach Europy Środkowej – Pod redakcją Pawła Klinta, Marty Małkus i Kamili Szymańskiej, Wschowa 2012 S. 297-306.
Bild: Valerius Herberger und seine Zeit. Zur 300. Wiederkehr seines Todestages, in: Quellen und Forschungen zur Heimatkunde des Fraustädter Ländchens, Heft 1, Fraustadt 1927.
Christian-Erdmann Schott