Biographie

Hertzberg, Ewald Friedrich Graf von

Herkunft: Pommern
Beruf: preußischer Staatsmann
* 2. September 1725 in Gut Lottin bei Neustettin
† 27. Mai 1795 in Berlin

Als Abkomme eines alten Adelsgeschlechts wurde Ewald Friedrich von Hertzberg 1725 in Hinterpommern geboren. Wäre er der Familientradition gefolgt, so hätte er wohl den Berufsweg eingeschlagen, der im 18. Jahrhundert einem pommerschen Landedelmann gewissermaßen vorgezeichnet war: den Offiziersdienst in der Armee oder die Betätigung als Landwirt. Statt dessen war er vom Vater für ein Universitätsstudium ausersehen, auf das er schon im Knabenalter durch den Besuch des Gymnasiums in Stettin vorbereitet wurde. Im Jahre 1742 bezog er die Universität Halle, um sich dem Studium der Rechte zu widmen. Er hörte Vorlesungen bei Christian Wolff, dem berühmtesten Vertreter der deutschen Aufklärungsphilosophie, und bei Johann Peter Ludewig, einem der führenden Staatsrechtslehrer seiner Zeit. Als Dissertation legte er eine Abhandlung über das "Jus publicum Brandenburgicum" vor. Da ihr das Preußische Kabinettsministerium aus politischen Gründen die Druckerlaubnis versagte, verfaßte er in kürzester Frist eine zweite Dissertation  über Kurfürstentage und Kurfürstenvereine, mit der er 1745 den juristischen Doktorgrad erwarb.

Auf Grund seiner gediegenen juristischen Vorbildung erlangte Hertzberg seine erste Anstellung als Hilfsarbeiter beim Geheimen Kabinettsarchiv in Berlin – eine Verwendung, die für sein gesamtes späteres Wirken bedeutsam werden sollte. Das Geheime Kabinettsarchiv war die außenpolitische Rüstkammer des Preußischen Staates. Es diente in erster Linie der Sammlung von Rechtstitel verbürgenden Dokumenten, mit denen sich die älteren Erwerbungen Preußens begründen und aus denen sich neue Ansprüche ableiten ließen. Dem jungen Hertzberg eröffnete sich hier ein Arbeitsfeld, das er bald wie kein anderer beherrschen sollte. Er erwarb sich eine bewundernswerte Kenntnis aller Rechtsansprüche und Erbverträge des Hohenzollernhauses sowie seiner genealogischen Verbindungen, die ihm stets gegenwärtig waren. Als ihn in späteren Jahren Friedrich Wilhelm II. mit Nachforschungen über die Verwandtschaft der Kurfürsten von Brandenburg mit den Königen von Ungarn beauftragte, konnte er stolz von sich sagen: "Ich habe es nicht nötig, darüber Nachforschungen anzustellen, ich weiß das alles auswendig."

Wie sehr auch die archivarische Tätigkeit seinen besonderen Anlagen entsprach, so vermochte sie ihn doch nicht voll zu befriedigen. Er sah darin nur eine Vorstufe für den Eintritt in den diplomatischen Dienst, den er mit brennendem Ehrgeiz erstrebte. Nach Meinung seines Vorgesetzten, des Ministers Heinrich von Podewils, fehlte ihm aber für den diplomatischen Dienst, der andere Qualitäten erfordert als gelehrtes Wissen und entsagungsvollen Fleiß, die rechte Eignung. Nicht ohne Bedenken genehmigte der König 1747 seine Ernennung zum Legationsrat unter Beibehaltung seiner Stelle im Archiv, mit dessen Leitung er 1750 als Nachfolger Ilgens betraut wurde. Um ihm die Ehe mit einer Dame aus vornehmem Hause, einer Tochter des Ministers Dodo von Knyphausen, zu ermöglichen, wurde er 1752 zum Geheimen Legationsrat ernannt. Im Ministerium oblag ihm seit 1754 die Redaktion der wichtigeren Depeschen an die Auslandsvertretungen Preußens. Der Ausbruch des Siebenjährigen Krieges eröffnete ihm neue Wirkungsmöglichkeiten. Er war der Verfasser des berühmten Mémoire raisonné, mit dem Friedrich der Große den Einmarsch in Sachsen nachträglich zu rechtfertigen suchte. Auch während des Krieges hatte er den preußischen Standpunkt publizistisch zu vertreten, um schließlich bei Kriegsende selbst als diplomatischer Unterhändler in Erscheinung zu treten. Im Frühjahr 1762 hatte er den Vertrag vorzubereiten, der den Krieg mit Rußland beendete. Im Jahr darauf führte er in Hubertusburg mit den österreichischen und sächsischen Bevollmächtigten die Verhandlungen über den endgültigen Friedensschluß. Er erwarb sich dabei die volle Zufriedenheit des Königs. In Anerkennung seiner Verdienste wurde er im April 1763 zum 2. Etats- und Kabinettsminister neben dem Grafen Finck von Finckenstein ernannt.

Im Rückblick auf sein Leben hat Hertzberg in seiner Beteiligung am Hubertusburger Friedensschluß den Höhepunkt seiner Laufbahn gesehen. Er erreichte den ersehnten Aufstieg zum Ministeramt, doch blieb trotz der bedeutenden Rangerhöhung sein Einfluß auf die Führung der preußischen Außenpolitik eng begrenzt. Die von Friedrich dem Großen ausgebildete Form der monarchischen Selbstregierung beließ seinen Ministern nur wenig Handlungsspielraum. Da er alle wesentlichen Entscheidungen selbst traf, waren seine Außenminister nicht mehr als hochrangige diplomatische Gehilfen des Königs. Schon daß es im friderizianischen Preußen immer zwei, zeitweise sogar drei Kabinettsminister gab, kennzeichnet das Unselbständige ihrer Stellung. Dazu gesellten sich bei Hertzberg noch weitere Hemmnisse, die seinem politischen Einfluß entgegenstanden. Sie lagen zum Teil in seiner Person, ergaben sich aber vor allem aus der eigenartigen "Janusköpfigkeit seiner Existenz" (Klueting). Auch als Staatsmann blieb Hertzberg immer der gelehrte Archivar, der die politischen Verwicklungen der Gegenwart von seinem Studienzimmer aus betrachtete. Wie Friedrich der Große selbst, war auch Hertzberg durchdrungen von der Überzeugung, daß Österreich Preußens Hauptgegner sei und bleibe. Er vertrat sie jedoch mit einer  doktrinären Schärfe, die ihm oft genug den Blick für das politisch Mögliche verschloß. So mußte er mit wachsender Verbitterung feststellen, daß seine am Kartentisch erklügelten Tausch- und Teilungspläne unbeachtet blieben. Ihre zunehmende Entfernung von den Gegebenheiten der spätfriderizianischen, auf die Bewahrung des Erreichten gerichteten Außenpolitik zeigte sich bei der ersten polnischen Teilung, erst recht aber bei der Regelung der bayerischen Erbfolgefrage. Zu den Friedensverhandlungen in Teschen (1779) wurde er nicht herangezogen und immer deutlicher bekam er zu spüren, daß er bei Friedrich dem Großen in keinem hohen Ansehen stand.

Erst der Thronwechsel von 1786 leitete hier einen Wandel ein. Friedrich Wilhelm II. war Hertzberg gewogen und zeichnete ihn durch die Erhebung in den Grafenstand und die Verleihung des Schwarzen Adlerordens sichtbar aus. Die Jahre 1786 bis 1789 waren dann auch "der kurze Höhepunkt seiner langen Ministerzeit" (Klueting). Hertzbergs "großer Plan", der französisch-österreichischen Allianz einen "Nordbund" zwischen England, Preußen und Rußland entgegenzustellen, entsprach bis zu einem gewissen Grade dem natürlichen Anlehnungsbedürfnis des bündnislosen preußischen Staates. Durch das englisch-preußische Bündnis von 1788 wurde er teilweise verwirklicht, ist aber als Ganzes gescheitert. Die komplizierten Tauschprojekte, auf denen er beruhte, wurden von den beteiligten Mächten nicht einmal diskutiert, und er war vollends überholt, als der König 1790 die Konvention von Reichenbach mit Österreich abschloß. Die damit eingeleitete Wende der preußischen Politik – die Annäherung an Österreich – widersprach dem Grundgedanken von Hertzbergs System. Sie hat ihn dem Monarchen entfremdet und zu einer schrittweisen Ausschaltung des Ministers von den politischen Geschäften geführt. Schon 1791 reichte er sein Entlassungsgesuch ein. Es wurde zwar nicht angenommen, doch blieb ihm die Leitung der auswärtigen Geschäfte entzogen. Hertzberg hat diese Zurücksetzung als schweres Unrecht empfunden. Er konnte sich nicht damit abfinden und hat den König weiterhin mit unerbetenen Ratschlägen und Denkschriften bestürmt. Enttäuscht und verbittert, mit seinem Schicksal hadernd und zuletzt von schwerer Krankheit heimgesucht, ist er knapp 70jährig gestorben.

Hertzbergs Wirken im Dienste des preußischen Staates erschöpfte sich nicht in seiner wenig erfolgreichen Tätigkeit als Außenminister. Daneben widmete er sich einem Aufgabengebiet, das den besonderen Gaben seiner Gelehrtennatur sehr viel besser entsprach. Was ihn vor allen anderen preußischen Ministern seiner Zeit auszeichnete, waren die Vielseitigkeit und der weite Umfang seiner geistigen Interessen. Mit Recht hat man ihn als den gebildetesten Minister bezeichnet, den Preußen vor Wilhelm von Humboldt besessen hat. Das ihm angemessene geistige Wirkungsfeld fand er in der Akademie der Wissenschaften, der er seit 1752 angehörte und zu deren Kurator er nach dem Thronwechsel 1786 bestellt wurde. In dieser Eigenschaft hat er eine Reform der Akademie eingeleitet, die – jedenfalls in einer Hinsicht – bewußt mit der friderizianischen Tradition brach: in der Verdrängung des französischen Elements, das in der Akademie so lange vorgeherrscht hatte, durch fünfzehn Neuberufungen, von denen zwölf Deutsche waren und nur drei der französischen Kolonie angehörten. Was aber seinem Wirken im Schoße der Akademie besonderes historisches Interesse sichert, sind die berühmten Festreden, die er zwischen 1780 und 1793 an den jährlichen Gedenktagen der Akademie gehalten hat – dem Geburtstag Friedrich des Großen und seit 1786 auch Friedrich Wilhelms II.

Was diese Vorträge so denkwürdig macht, ist nicht ihr durch den Anlaß gebotenes Herrscherlob, sondern die darin entwickelte Auffassung von der stabilen Grundstruktur und gesellschaftspolitischen Überlegenheit des spätabsolutistischen Preußen. Sind doch alle seine "Akademiereden ein großer und in sich zusammenhängender Versuch" (Klueting), die Kritiker des preußischen Staatswesens zu widerlegen. Was Hertzberg vor allem zu entkräften suchte,  war der von manchen Zeitgenossen, am wirkungsvollsten von Mirabeau in seiner Monarchie Prussienne geäußerte Zweifel an der Fortdauer des preußischen Staates in seiner durch Friedrich den Großen geschaffenen Gestalt. Als künstliche Schöpfung eines einsamen Genies durch überdimensionale Rüstung und gnadenlose Überanstrengung der Untertanen emporgetrieben, könne Preußen angesichts seiner geringen Bevölkerungszahl, seines geringen Umfanges und seines Mangels an natürlichen Ressourcen seinen Platz als Jüngste unter den europäischen Großmächten in Zukunft nicht behaupten. Es sei gewissermaßen dazu verurteilt, wieder zur Bedeutungslosigkeit eines deutschen Territorialstaates herabzusinken. Demgegenüber suchte Hertzberg in seinen statistisch untermauerten Darlegungen die Festigkeit und Dauerkraft der preußischen Monarchie zu erweisen. Sie war für ihn keine "puissance éphémère". Vielmehr trug ihr Bau "in allen Teilen den Stempel der Beständigkeit" (Dilthey). Es mag  für Hertzberg, den als Staatsmann so oft und so bitter Enttäuschten, eine späte Genugtuung bedeutet haben, daß er sich als Apologet des preußischen Machtstaates durch die Zeitläufte bestätigt fühlen durfte. Stand doch der Staat Friedrichs des Großen noch immer unerschüttert da, als die älteste absolute Monarchie Europas im Strudel der Französischen Revolution versank. Es liegt historische Symbolik in dem zeitlichen Zusammentreffen, daß Hertzberg seinen letzten Vortrag in der Akademie am 24. Januar 1793 gehalten hat – drei Tage nachdem Ludwig XVI. in Paris das Schafott bestiegen hatte.

Lit.: P Bailleu: Graf Hertzberg, in: Ges. Aufsätze, 1924, 61-104. – W. Dilthey: Friedr. d. Gr. u. die deutsche Aufklärung, Ges. Schr. III, 1927, 191-200. – St. Skalweit: Hertzberg, in: Neue Deutsche Biographie 8, 715 – 717. – H. Klueting: Hertzberg, in: Die Lehre von der Macht der Staaten, 1986, 236-273. – Ders.: Ewald Friedr. v. H. – preuß. Kabinettsminister unter Friedrich d. G. u. Friedr. Wilhelm II., in: J. Kunisch (Hg): Persönlichkeiten im Umkreis Friedr. d. Gr., 1988 135-152.

Bild: Kupferstich von I.S. Klauber nach einem Gemälde von F. Schroeder. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz.

 

  Stephan Skalweit