Ereignis vom 1. Januar 1939

Die Umsiedlung der zerstreuten Ostdeutschen Volksgruppen in die neu gegründete Reichsgaue

Die großzügigste Umsiedlungsaktion der Weltgeschichte, Propagandaplakat zur Kolonisierung des Warthegaues

Der Polenkrieg 1939 war in den Ostgebieten auch der Beginn einer massenhaften Bevölkerungsverschiebung, von Umsiedlungen, Vertreibungen und der Vernichtung ganzer ethnischer Grup­pen und Völker. Zunächst wurden die teilweise jahrhundertelang im Ostraum lebenden Auslandsdeutschen „heim ins Reich“ geholt und in den neu gegründeten Reichsgauen unter Vertreibung der dort ansässigen Polen angesiedelt.

Die Überraschung war perfekt, die Bestürzung groß, als sich am 17. September 1939, wenige Tage nach Hitlers Überfall auf Polen, die Nachricht verbreitete, dass die Truppen der Sowjetunion in die ostpolnischen Gebiete einmarschieren und diese Okkupation mit Einverständnis der deutschen Führung geschieht. Sie war eine Folge der im Hitler-Stalin-Pakt festgelegten Aufteilung Osteuropas in eine sowjetische und eine deutsche Interessensphäre in den geheimen Zusatzprotokollen vom 23. August 1939.

Gleichzeitig konzentrierte die Sowjetunion starke Truppenverbände an der Grenze zu den Baltenrepubliken. Das löste im Baltikum und besonders bei den Deutschbalten große Unruhe aus. Tatsächlich eröffnete Molotow am 19. September 1939 den Esten, dass fortan deren Hoheitsgewässer durch die Rote Flotte „ge­schützt“ würden. Danach sicherte sich Stalin militärische Stützpunkte und erzwang die Unterzeichnung eines Beistands­paktes durch den estnischen Präsidenten Päts, der der Zusiche­rung vertraute, dass die Souveränität Estlands nicht ange­tastet werde: Ein dreiviertel Jahr später fand sich Päts in einem sibirischen Lager wieder und gilt als verschollen. Ähnliches wiederholte sich in Lettland: Unter Stalins er­presse­ri­schem Druck wurde am 5. Oktober 1939 ein Abkommen un­terzeichnet, das der Sowjetunion Stützpunkte und Garnisonen einräumte. Der unterzeichnende lettische Präsident Ulmamis wurde 1940 gleichfalls in ein Lager deportiert.

Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, informierte den Landesgruppenleiter der den Nationalsozialisten nahestehenden „Bewegung der Lettlanddeutschen“, dass stündlich mit dem Einmarsch der Roten Armee in Estland und Lettland zu rechnen sei. Die Deutschbalten verfügten über einflussreiche Beziehun­gen zu NS-Führungsstellen. Ihre Volkstumsführer forderten nachdrücklich von der Reichsführung, sie vor der sowjetischen Bedrohung zu retten. Am 25. September 1939 verständigte Himmler den Landesgruppenleiter, dass die Sowjets nun auch Litauen beanspruchten und der Reichsaußenminister zur Klärung dieser Frage erneut nach Moskau reisen würde. „Es müsse jetzt entschieden werden, welche Entschlüsse hinsichtlich der Deutschbalten zu fas­sen seien“. Der Landesgruppenleiter will darauf gedrungen haben, beide Volksgruppen aus Estland und Lettland vollständig ins Reich umzusiedeln. Am Tage darauf teilte ihm Himmler mit „… der Führer sei im Grundsatz mit der Evakuierung der gesamten deutschbaltischen Bevölkerung einverstanden“. Ribbentrop wer­de die Instruktion erhalten, die Frage einer Bevölkerungs­verschiebung in Moskau ins Gespräch zu bringen.

Nach dieser grundsätzlichen Entscheidung Hitlers brachte das Auswärtige Amt in seinem am 26. September 1939 verfassten „Vermerk zu den bevorstehenden Verhandlungen in Moskau“ das Problem des Bevölkerungsaus­tausches zur Sprache: „… insbesondere die Überführung von Volksdeut­schen aus dem russischen in das deutsche Gebiet, und Siche­rung des Schicksals der Volksdeutschen in den von Russland etwa sonst noch zu besetzenden Gebieten“.

Am 28. September 1939 einigten sich Ribbentrop und Molotow in Moskau auch über die Umsiedlungsfrage und verfassten ein vertrauliches Protokoll, dessen Kernsatz lautet: „Die Re­gierung der UdSSR wird Persönlichkeiten deutscher Abstam­mung, sofern sie den Wunsch haben, nach Deutschland oder in die deutschen Interessengebiete überzusiedeln, hierbei keine

Schwierigkeiten in den Weg legen“. Diese nicht nur auf das Baltikum beschränkte Formulierung eröffnete im fol­genden auch den Weg zur Umsiedlung anderer ostdeutscher Volksgruppen. Die Um­siedlungs- und Ansiedlungskompetenz wurde dem Reichsführer SS über­tragen. Dazu wurde eine neue Reichsbehörde gegründet mit der Bezeichnung „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“. Diese SS-Behörde verfolgte mit der Umsiedlung weitreichende Ziele nationalsozialistischer Volkstums- und Rassenpolitik. Es ging darum, die in das Reich eingegliederten Provinzen Westpreußen, Wartheland und die süd-ostpreußischen und oberschlesischen Gebiete möglichst rasch „einzudeutschen“, den hohen polnischen Bevölkerungsanteil drastisch zu verringern und den jüdischen ganz zu beseitigen. Nach einer Analyse der Planungsabteilung des Reichsführers SS im April und Mai 1940 wären für diese Eindeutschungsmaßnahmen 3,4 Millionen deutsche Ansiedler, vor allem hart arbeitende und an ein anspruchsloses Leben gewöhnte Bauern erforderlich. Woher aber sollten diese vielen Menschen den Provinzen zugeführt werden, zumal im anhaltenden Krieg Umsiedlungen aus dem Altreich verboten waren? Da bot sich nach dem Polenkrieg die Möglichkeit an, hunderttausende Volksdeutsche aus dem Ost­raum in die neu gegründeten Reichsgaue umzusiedeln.

Hitler stilisierte dieses Vorhaben in seiner Reichstagsrede am 6. Oktober 1939 zu einer Aufgabe von europäischer Dimension und sagte: „Es gehört zu den Aufgaben einer weitschauenden Ordnung des europäischen Lebens, Umsiedlungen vorzuneh­men, um auf diese Weise wenigstens einen Teil der europä­ischen Konfliktstoffe zu beseitigen“. Er gebrauchte den Begriff „Umsiedlung der Nationalitäten“, in dem man eine Vorankündigung der Vertreibung der Po­len aus den Provinzen Posen und Westpreußen sehen konnte. Er veranlasste slawische „Bevölkerungsverschiebungen“ gigantischer Art. Czesław Madajczyk gibt die Zahl der aus dem Warthegau ausgewiesenen und verdrängten Polen mit 629.595 an, davon zur Arbeitsleistung in Deutschland oder im Wartheland Eingesetzte mit 157.522.

Deutschland schloss am 15. Oktober 1939 mit der estnischen und am 30. Oktober 1939 mit der lettischen Regierung Umsiedlungsverträge ab und führte unmittelbar danach die Umsiedlung der Deutschbalten durch. Unter Einschluss der Nachumsiedlung kamen auf diese Weise über 78.000 Deutsche aus Estland und Lettland ins Reich. Diese Umsiedlung erfolgte in großzügiger Weise: 41 Schiffe, teils große KdF-Dampfer, wurden dazu eingesetzt, die insgesamt 126 Fahrten ausführten, wobei es den Umsiedlern gestattet wurde, ca. 70.000 Stück Vieh und viel eigenes Gepäck mitzunehmen.

Ein besonderes Phänomen der Umsiedlung war deren nahezu vollzählige Befolgung durch die Angehörigen der ostdeutschen Volksgruppen, besonders deshalb hervorzuheben, weil es sich – mit einer Einschränkung bei den Baltendeutschen – um eine bäuerliche Bevölkerung gehandelt hatte, die bodenständig mit Haus und Hof verwurzelt und schwer umzusetzen war. In Osteuropa musste somit eine nachhaltige Verschlechterung der Lebensverhältnisse eingetreten sein, und alle deutschen Volksgruppen müssen mit Angst in die Zukunft geblickt haben. Anders ist nämlich die Bereitschaft der Zehntausenden zur spontanen Aufgabe ihrer materiellen Existenz, ihres Besitzes, ihrer Lebensgewohnheiten, der dörflichen Gemeinschaft und anderer, generationenlanger Bindungen zugunsten einer unklaren neuen Zukunft nicht zu erklären. Ein weiterer Grund für die Umsiedlungsbereitschaft ist in der zunehmenden Unterdrückung durch die herrschenden Staats­völker zu sehen, in deren übersteigertem, aggressivem, alles Deutsche hassenden Nationalismus, in der mit Nachdruck ver­folgten Assimilierungspolitik und den rigorosen minderhei­tenfeindlichen Handlungen gegen Personen und Einrichtungen, die für die Bewahrung der nationalen Existenz von Bedeutung waren. Und nun kamen mit dem Einmarsch der Roten Armee die persönliche Gefährdung und angstvolle Ungewissheit hinzu, dass nichts mehr so bleiben wird, wie bisher.

Auf der Grundlage der Vereinbarung mit der Sowjetunion schloss das Reich am 3. November 1939 den Vertrag zur Umsiedlung der Deutschen aus Galizien, Wolhynien und dem Narewgebiet ab und führte deren Umsiedlung in der Zeit vom 23. Dezember 1939 bis Anfang Februar 1940 durch. Den umgesiedelten 128.379 Personen sind noch die hinzuzurechnen, die vorher schon in den Westen geflüchtet waren und danach den Umsiedlern gleichgestellt wurden, wodurch sich diese Zahl auf 136.400 erhöht.

Vom 3. bis 5. Dezember 1940 wurden über 30.000 Deutsche aus dem zum Generalgouvernement gehörenden Cholm-Lub­liner Gebiet umgesiedelt und in den Warthegau transportiert.

In der Zeit vom 18. September bis 23. Oktober 1940 folgten die Bessarabien-Deutschen (93.000 Personen) und vom 27. September 1940 bis 16. November 1940 die Nordbukowina-Deutschen (44.000 Personen). Bis 26. November 1940 wurden auch die Südbukowina-Deut­schen (52.000 Personen) und die Dobrudscha-Deut­schen (14.000 Personen) umgesiedelt, ferner im Frühjahr 1941 die Deutschen aus Litauen (47.000).

Nach Ausbruch des Russlandfeldzuges im Juni 1941 siedelten auch die auf sowjetischem Gebiet lebenden Ost-Wolhy­nien­deutschen und andere Deutsche aus dem russischen Raum um. Schließlich schlossen sich 1943 nach der Stalingrad-Niederlage die in der Südukraine lebenden Schwarzmeer-Deutschen den zurückweichenden deutschen Truppen an. Einen Teil (7.500 bis März 1944) siedelte die Volksdeutsche Mittelstelle in den 1940 verlassenen ostgalizischen Kolonien der Galiziendeutschen an, von denen sie 1944 fliehen mussten bzw. in denen sie von den Sowjets überrollt und dann in das Innere der Sowjetunion verschleppt wurden. Andere fanden Unterkunft im Warthegau oder wurden vorübergehend im Raum Zamość angesiedelt (16.000 bis Herbst 1943): Dort hatten von November 1942 an bereits rd. 4.000 deutsche Bauern, vor allem aus Bessarabien, eine Bleibe gefunden, sahen sich aber zunehmend den Racheakten der vertriebenen polnischen Bauern und der Armia Krajowa AK ausgesetzt. Zu den dort angesiedelten Bessara­bien­deutschen gehörten auch die Eltern des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der in einem Ort namens Skier­bieszów am 22. Februar 1943 geboren wurde. Erwähnt sei noch, dass es sogar in Lothringen – damals dem Reich angegliedert – Ansiedlungen von Umsiedlern gegeben hatte.

Die erste Umsiedlungsaktion, nämlich die der Deutschbalten aus Estland und Lettland, war Ende April 1940 in der Hauptsache abgeschlossen. Vierfünftel der Bevölkerung der deutschbaltischen Siedlungsgruppe waren Städter, so dass in Posen etwa 29.000 Deutschbalten und in Lodz 8.500 untergebracht wurden. Dort und in kleineren Kreisstädten wurden sie in ca. 3.000 selbständige Industrie- und Handelsunternehmungen und in rund 1.100 selbständige handwerkliche Unternehmungen eingesetzt. Die bäuerliche Bevölkerung der Deutschbalten wurde auf ca. 2.300 Höfe im Warthegau und 280 Höfe in Westpreußen verteilt und erhielt 145.000 Hektar an Grund und Boden zugewiesen.

Bei der bäuerlichen Ansiedlung vertraten die Verantwortlichen die These, dass ein „gesundes Mischungsverhältnis mit später noch anzusetzenden anderen deutschen Bauernfamilien“ anzustreben sei. Abgelehnt wurde der Weiterbestand der generationenlangen Zusammengehörigkeit u.a. mit folgenden Worten: „Es kann und darf nicht sein, dass im deutschen Osten eine baltendeutsche Volksgruppe neben einer wolhyniendeutschen und bessarabiendeutschen vorhanden ist. Eine solche volksgruppenmäßige Aufgliederung wäre unerwünscht, wie es auch jeder Daseinsberechtigung entbehren und dem Wesensgefüge des nationalsozialistischen Staates widersprechen würde. Die Begriffe des Baltendeutschen, des Wolhynien- und Bessara­biendeutschen usw. müssen vielmehr in kürzester Frist erledigt sein“. Während die Vertreter der Umsiedler auf die Beibehaltung der gewachsenen Dorfgemeinschaften drängten, bestanden die Vertreter der NS-Ansiedlungsorgane auf die Durchmischung mit „frischem Blut“, d.h. auf das Zusammensiedeln mit anderen Umsiedlern, zu denen nach dem Kriege noch reichsdeutsche Bauern hinzukommen sollten. Tatsächlich wurden z. B. die Bewohner des galizischen Dorfes Brigidau auf 11 Ortschaften aufgeteilt und mit Umsiedlern aus anderen Gegenden durchmischt.

Für die Galizien-, Wolhynien- und Narewdeutschen war die Umsiedlung im Vergleich zu der der Deutschbalten erheblich erschwert. Bereits die Registrierung war abhängig von der Zustimmung des der Ortskommission angehörenden sowjetischen Kommissars, der auch die Vermögenserfassung genehmigen musste. Der Haushaltungsvorstand durfte nur 50 kg Gepäck, die Familienmitglieder nur 25 kg mit auf die Reise nehmen, an Geld nur 50 Zloty, keine Wertgegenstände, Edelmetalle und Schmuck. Strenge sowjetische Kontrollen verunsicherten die Umsiedler. Strenger Winterfrost bis minus 40 Grad C machte die Umsiedlung zu einem Akt höchster Anstrengung. Zwar wurden Städter, Greise, Frauen, Kinder und Kranke auf dem Schienenwege transportiert, aber in Viehwaggons mit einem Kanonenofen in der Mitte ohne Heizmaterial und auf Nebenstrecken mit endlosen Halts und Fahrzeiten bis zu zwei Tagen und Nächten. Die männlichen Bauern treckten mit Pferdefuhrwerken in endlosen, bis zu 15 km langen Kolonnen auf eisglatten Straßen, auf denen sich zahlreiche Unfälle ereigneten und mit Übernachtungen im frostigen Freien. Als am 26. Januar 1940 der letzte galiziendeutsche Pferdetreck die San-Brücke in Przemysl erreichte, hatten diese 12.772 Treckwagen mit 22.461 Pferden überschritten.

In Lodz wurden 33 Empfangslager für rd. 25.000 Personen, weitere in Pabianice, Zgierz und Kalisch eingerichtet, in die die Umsiedler auf deutscher Seite mit Zügen transportiert wurden. Dort wurden sie registriert und erhielten eine Kennkarte. Danach wurden sie in Auffanglager im Altreich gesandt, von denen es im März 1940 bereits über 200 gab. Vor der Ansiedlung hatten die Umsiedler die sog. „Durchschleusung“ zu durchlaufen und NS-Qualifikationskriterien zu bestehen. So wurden sie einer Kommission des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS vorgeführt, getarnt als ,,Gesundheitsstelle“. Hier erfolgte neben ihrer gesundheitlichen auch die erbbiologische und rassische Begutachtung, wobei sie in vier „Rassewertungsgruppen“ eingestuft wurden. Die Vorschrift lautete, dass nur Umsiedler der Rassewertungsgruppen I bis III zur Ansiedlung in den Ostgebieten zugelassen waren. Höhepunkt der Durchschleusung war die Einbürgerung.

War der Umsiedler für die Ostansiedlung als tauglich befunden, erhielt er die gelbe Transportkarte mit der Aufschrift „O“ ausgehändigt. Wurde er in das Altreich verwiesen, erhielt er eine rote Karte mit dem Aufdruck „A“. Über diese Einteilung gab es viele Klagen und Beschwerden, hatte doch ein in das Altreich verwiesener „A“-Bauer keinerlei Aussicht, im Reich eine Bauernwirtschaft zu erhalten und musste dort fortan als Arbeiter tätig sein.

Die „O“-Umsiedler wurden erst in ein Zwischenlager und danach in Bereitstellungslager geleitet, die in der Nähe ihrer künf­tigen Ansiedlungsorte lagen. In diesen wurden auch die neuen Dorfgemeinschaften zusammengestellt, welche dann kurze Zeit später vom Ansiedlungsstab abgerufen und angesiedelt wurden. Die für diese Zwecke gegründete Einwanderer­zentralstelle nahm mit Rücksicht auf die zuerst umgesiedelten Baltendeutschen zunächst in Gdynia/ Gotenhafen ihre Arbeit auf und verlagerte dann den Dienstsitz nach Posen mit einer Nebenstelle in Lodz/ Litzmannstadt. Ihr Chef Heydrich war außerdem zuständig für „die Durchführung der zur Ansetzung der Umsiedler notwendigen Evakuierungen“, sprich für die Vertreibung der Polen und Juden und ihre anfängliche Abschiebung ins Generalgouvernement. Die konkrete Durchführung der Ansiedlung oblag den Landräten.

Die Ansiedlungen der bäuerischen Umsiedler verliefen nach folgendem Schema: 48 Stunden vor der Ansiedlung erhielt die Polizei die Hofzuweisungsliste und vom Höheren SS- und Polizeiführer den Befehl, die polnischen Bewohner zu vertreiben. Die Umsiedler wurden aus dem Bereitstellungslager abgerufen, mit Verpflegung ausgestattet und auf vorbereitete Transportmittel verladen. Das „Ansetzen“ der Umsiedler war so kon­zipiert, dass die Hofübernahme unmittelbar nach dem Hinauswurf der polnischen Vorbesitzer zu erfolgen habe, um die bäu­erliche Arbeit, insbesondere das Füttern und Melken des Viehs, nicht zu unterbrechen. Obwohl die Umsiedler so herantransportiert wurden, dass sie nicht Zeuge des Hinauswurfs der Polen waren, um ihre Psyche nicht mit diesem Vorgang zu belasten, bekamen viele Details der gewaltsamen Hofräumung mit.

Insgesamt wurden bis 15. Oktober 1940 in Dörfern des War­thegaues 72.646 Personen angesiedelt, in den Städten des Warthegaues rd. 12.000 Personen, im Altreich ca. 8.000 Personen, aber es befanden sich in den Lagern immer noch 29.000 Menschen. 4.000 hatten das Lager mit unbekanntem Ziel verlassen, rd. 3.000 sollen inzwischen verstorben sein.

Im Juli 1942 wurden folgende Zahlen amtlich veröffentlicht: Von den 134.600 Volksdeutschen aus Wolhynien, Galizien und dem Narewgebiet waren 106.600 im Osten, 20.500 im Altreich angesiedelt worden. 6.900 Fremdstämmige waren nicht anzusiedeln, noch anzusiedeln seien 600.

Deutschland beschlagnahmte sämtliches polnisches Vermögen und Besitztum, egal ob staatlich oder privat, und enteignete die polnischen oder jüdischen Besitzer. Die beschlagnahmten Bau­ern­wirtschaften, Betriebe und Wohnungen wurden den Umsiedlern treuhänderisch übergeben zur späteren Verrechnung mit dem in der alten Heimat zurückgelassenen Vermögen. Madajczyk gibt an, dass im Wartheland 2.530.000 ha beschlagnahmtes Land zur Kolonisierung bestimmt worden waren. Bis Ende 1941 war von deutschen Umsiedlern ein Fünftel dieser Fläche, nämlich 779.000 ha übernommen worden. Polnische Kleinbauernbetriebe wurden z.T. durch Zusammenlegung von Höfen vergrößert. So schuf man Anfang 1943 auf einer Fläche von 325.000 ha 19.958 zusammengelegte Höfe mit einer Durchschnittsgröße von 16,3 ha. Nach einer anderen Quelle erwarben die Umsiedler 47.000 Bauernhöfe und erhielten bis Ende 1942 rd. 20 % von den 60.000 polnischen Wirtschaftsbetrieben sowie etwa 20.000 Handwerksbetriebe.

Zur Brutalität, mit der die deutschen „Evakuierungskommandos“ die polnischen oder jüdischen Vorbesitzer aus ihren Höfen oder Betrieben vertrieben hat, sei nur angemerkt, dass es sich hierbei um das dunkelste Kapitel des Ansiedlungsgeschehens handelt. Viele Umsiedler haben schon früh erkannt, dass sie als Spielball für siedlungs- und machtpolitische Interessen des NS-Staates missbraucht wurden, dass ohne ihre Absicht der polnischen Bevölkerung Leid zugefügt wurde und der gesamte Vorgang der Ansiedlung, Enteignung und Vertreibung ein Akt des Unrechts war. Sie hatten im Glauben an die hehren Ziele des deutschen Vaterlandes und im Vertrauen auf dessen Zusagen ihre angestammte Heimat verlassen, keinerlei NS-Erfah­rung und waren in einem gewissen Umfang beeinflussbar von den Parolen der Reichspropaganda. Das eigene Gewissen wurde beruhigt, weil ja alle Maßnahmen von damals gültigen Gesetzen gedeckt schienen und sie schließlich eigenes Gut im Osten gegen Rohstofflieferungen der Sowjetunion an das Reich und dessen Versprechen auf adäquate Entschädigung zurückgelassen hatten. Die Quittung dafür erhielten sie 1945 beim Zusammenbruch des Reiches.

Bild: großzügigste Umsiedlungsaktion der Weltgeschichte, Propagandaplakat zur Kolonisierung des Warthegaues / Quelle: Bundesarchiv, R 49 Bild-0705 / Unknown author / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv R 49 Bild-0705, Polen, Herkunft der Umsiedler, KarteCC BY-SA 3.0 DE

Erich Müller (OGT 2010, 312)