Maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Dermatologie in Deutschland nahm Heinrich Köbner, der, am 2. Dezember 1838 zu Breslau geboren, in einer Zeit aufwächst, da jenes Fach neue Konturen erhält und einen ungeahnten Aufschwung nimmt. Die Lehre von den Hautkrankheiten als eigenständige Disziplin setzt Anfang des letzten Drittels des 18. Jhs. ein, doch beginnt dieser Wissenschaftszweig in Deutschland sich erst ab den vierziger Jahren des 19. Jhs. von englischen (Robert Willan) und französischen (Joseph Astruc, Pierre-Louis Cazenave) Leitbildern zu emanzipieren, was insbesondere Ferdinand von Hebra (1816-1880) in Wien und Riedrich Wilhelm Felix von Bärensprung (1822-1864) in Berlin zu verdanken ist.
Köbner wandte sich – obschon Sohn eines Kaufmanns – der Medizin zu, bezog 1855 die Universität Breslau, wechselte schließlich nach sieben Semestern nach Berlin, wo er auch seine experimentelle Dissertation über die Verdauungsvorgänge des Rohrzuckers ausarbeitete. Dafür wurde er 1859 in Breslau zum Dr. med. promoviert. Anschließende Studien führten ihn nach Wien zu Hebra, dem er den Weg zur Dermatologie verdankt, und nach Paris, wo er am Collège de France umfangreiche Versuche durchführen konnte. Zurück in Breslau, ließ er sich als Arzt nieder und eröffnete eine private Poliklinik für Hautkrankheiten.
Sein einzigartiger diagnostischer Schafblick, eine intuitive Kombinationsgabe, unablässiger Fleiß und ein klares Ausdrucksvermögen waren die Grundlagen für Köbners wissenschaftliche Leistungen.
Schon 1861 trat er der „Medicinischen Section“ der „Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur“ in Breslau bei, in der er als Referent rege tätig war. 1864 veröffentlichte er ein Buch mit klinischen und experimentellen Studien und erreichte 1869 die Habilitation. Drei Jahre später stellte der junge Privatdozent beim preußischen Kultusministerium den Antrag auf Errichtung einer Universitätsklinik für Hautkrankheiten und Syphilis – im Interesse der Volksgesundheit und der medizinischen Vorsorge sowie zur Förderung der Wissenschaft und des akademischen Unterrichts. Ein solches Institut tat dringend not, gab es doch neben Wien nur in München und Würzburg nennenswerte Spezialabteilungen; Preußen konnte nur die klinischen Bereiche für Hautkranke und Syphilitische an der Berliner Charité vorweisen. Die Argumente Köbners waren so stichhaltig, daß auch der Widerstand der medizinischen Fakultät überwunden werden konnte. Im gleichen Jahr 1872 wurde Köbner außerordentlicher Professor, die Eröffnung der geforderten Klinik dauerte hingegen noch bis 1877. Sein Amt als Klinikdirektor konnte er jedoch tragischerweise nicht mehr antreten, nachdem ihm schon 1876 während des Unterrichts plötzlich die Stimme versagte. Die temporäre Aphonie zwang ihn zu einem Kuraufenthalt in Oberitalien, doch war die Genesung nur unvollkommen und bewog ihn, das akademische Lehramt aufzugeben und die Leitung der Klinik niederzulegen. Die Früchte seines jahrelangen Ringens ernteten andere: Unter seinen gleichfalls hervorragenden Nachfolgern Oscar Simon (1845-1882), Albert Neisser (1855-1916) und Josef Jadassohn (1863-1936) wurde Breslau zu einem Zentrum dermatologischer Forschung und Lehre in Deutschland.
Köbner hingegen übersiedelte nach Berlin, trotz allen Leidens unvermindert schaffensfreudig. An seiner 1884 neu eingerichteten Poliklinik führte er vielbeachtete Lehrkurse für Ärzte durch. Er engagierte sich, neben seiner Praxis in verschiedenen medizinischen Gesellschaften der Stadt, u. a. als Vorsitzender der Berliner dermatologischen Gesellschaft. So gesellte sich zu seiner absolut zuverlässigen, gründlichen wissenschaftlichen Tätigkeit die Sorge für sein Fach und seinen Berufsstand, worauf auch eine Stiftung für notleidende Kollegen hinweist. Köbner arbeitete auf weiten Gebieten der Dermatologie und Venerologie und hat ein beachtliches Schrifttum hinterlassen. Er starb 1904 in Charlottenburg. Für den heutigen Arzt ist sein Name in drei Eponymen lebendig: Der sogenannte Köbner-Effekt (K.-Phänomen, K.-Zeichen) besagt, daß die Haut bei latenten Dermatosen auf unspezifische Reize mit einer Manifestation der jeweiligen Krankheit reagiert; als Köbner-Geschwülste bezeichnet man multiple Papillartumoren in einem bestimmten Stadium der tödlich verlaufenden Mycosis fungoides; die Benennung Köbner-Krankheit schließlich ist ein Synonym für eine erblich bedingte Blasenbildung nach mechanischen Traumata, die sogenannte Epidermolysis bullosa hereditaria (Typ 2 nach Leiber); zwar wurde letztgenanntes Krankheitsbild schon früher von William Tilbury Fox (1836-1879) und Johannes Goldscheider (1858-1935) beschrieben, doch den endgültigen Fachterminus prägte Heinrich Köbner.
Werke: Disquisitiones de sacchari cannae in tractu cibario mutationibus. Med. Diss., Breslau 1859. – Klinische und experimentelle Mittheilungen aus der Dermatologie und Syphilodologie. Erlangen, F. Enke, 1864. – Über 70 weitere Arbeiten, Vortragsprotokolle, Demonstrationsberichte u.a., verstreut in etwa 20 Zeitschriften. Vgl. d. Bibliographie von A. Neisser (w.u.).
Lit.: Iwan Bloch, Geschichte der Hautkrankheiten in der neueren Zeit, in: Handbuch der Geschichte der Medizin, begr. v. Th[eodor] Puschmann, hrsg. v. Max Neuburger. Jena, G. Fischer, 1905. Bd. 3. – Hans-Heinz Eulner, Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebietes. Stuttgart, F. Enke, 1970. (Studien zur Medizingeschichte des neunzehnten Jahrhunderts; 4). – Bernfried Leiber u. Gertrud Olbrich, Die klinischen Syndrome. 6. Aufl. München, Urban & Schwarzenberg, 1981. Bd. 1. – A[lbert] Neisser, Zur Erinnerung an den 25jähr[igen] Bestand der Breslauer Hautklinik, 1877 bis 1902, Rückschau und Ausblick, in: Archiv für Dermatologie und Syphilis 60 (1902): 3-36. – Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts, hrsg. v. J[ulius Leopold] Pagel. Berlin, Urban & Schwarzenberg, 1901. – Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, hrsg. v. August Hirsch. 2. Aufl., durchges. u. erg. v. W. Haberling. Berlin, Urban & Schwarzenberg, 1931. – Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. München, Urban & Schwarzenberg. Bd. 4 (1971/72). – Paul Richter, Geschichte der Dermatologie, in: Handbuch der Haut-und Geschlechtskrankheiten, hrsg. v. J[osef] Jadassohn. Berlin, J. Springer. Bd. 14, Tl. 2 (1928). – [Wilhelm] Wechselmann, Heinrich Köbner +, in: Archiv für Dermatologie und Syphilis 72 (1904): I-IV; dass., in: Berliner klinische Wochenschrift 41 (1904): 37 (12. September): 995-996; dass., in: Deutsche medizinische Wochenschrift 30 (1904): 38 (15. September): 1391-1392.