Der Lebensweg von Christian Friedrich Koch, einem der bedeutendsten Vertreter der preußischen Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, ist ein vorzügliches Beispiel für die sozialen Aufstiegsmöglichkeiten, die gerade die juristischen Berufe hochbegabten Vertretern auch der ärmsten Schichten in Preußen bei allem Standesbewußtsein doch immer boten: Der Sohn eines gänzlich mittellosen Tagelöhners, der die Grundlage seiner Bildung autodidaktisch erwarb, während er die elterlichen Gänse und Ziegen hütete, absolvierte zunächst eine Schneiderlehre, während er nebenher als Abschreiber beim Mohriner Stadtrichter einen ersten Einblick in das juristische Arbeitsfeld gewann. Hierauf aufbauend durchlief er in den Folgejahren verschiedene Funktionen des Subalterndienstes, unter anderem als Amts- und Justizaktuar, bevor er 1823 diese sichere, aber für ihn unbefriedigende Stellung aufgab, um sich auf das Abitur vorzubereiten.
Im Anschluß hieran studierte Koch in Berlin Rechtswissenschaft, wo ihn vor allem Friedrich Carl von Savigny dauerhaft prägte, ohne daß es hierbei – schon auf Grund von Kochs stark praktischer Ausrichtung, seiner politisch progressiven Vorstellungen und mangelnden Religiosität – zu einer größeren persönlichen Annäherung kam. 1825 wurde Koch Auskultator, sechs Monate später Referendar, 1827 Assessor am Kammergericht. Nach einer kurzen Beschäftigung mit dem französischen Recht in Köln und Aachen wechselte Koch 1829 nach Marienwerder über, bevor er bereits 1832 zum Landgerichtsdirektor in Culm ernannt wurde. Nach weiteren Stationen in Glogau (1834) und am Oberlandesgericht Breslau (1835) verbrachte er einige Monate als Direktor des Stadt- und Landgerichts in Halle (Saale), bis es ihn 1841 wieder nach Schlesien zog. Hier wirkte er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Justizdienst 1854 als Direktor am Fürstentumsgericht zu Neiße. Unterbrochen wurde seine dortige Tätigkeit lediglich in der Revolutions- und Reformzeit 1848/49, während der er teils unter dem Justizminister Bornemann an den Prozeß- und Justizrechtsreformen mitarbeitete, teils als Hilfsarbeiter am höchsten preußischen Gericht, dem Berliner Obertribunal, beschäftigt war. Kochs dabei verfolgte Ziele, insbesondere der umfassende Schutz der richterlichen Unabhängigkeit vor Eingriffen durch die Administrative, die er bereits in seinen Reformschriften der Vormärzzeit (Preußens Rechtsverfassung und wie sie zu reformieren sei, 1843/44) vertreten hatte, konnten jedoch mehrheitlich erst im Rahmen der Reichsjustizgesetze von 1877 verwirklicht werden. Auch sonst blieben Koch aus politischen wie persönlichen Gründen – er galt als schwieriger Mensch und überscharfer Kritiker – höchste Ämter in der Justiz ebenso verwehrt wie etwa eine Landrechtsprofessur, obwohl er als wissenschaftlicher Praktiker, als „habilitationsfähiger Oberlandesgerichtsrat“ das sprichwörtliche Berufsziel seiner Zeit im besten Sinne verkörperte.
Nach seinem frühzeitigen, durch verschiedene Mißhelligkeiten bedingten Rückzug aus dem praktischen Justizwesen widmete sich Koch auf seinem Rittergut Blumenthal bei Neiße ganz der preußischen Privatrechtswissenschaft. Allerdings kehrteer in den Jahren des preußischen Verfassungskonflikts zwischen 1861 und 1866 noch einmal – als Abgeordneter für die gemäßigt linke Fortschrittspartei und Vertreter eines schlesischen Wahlkreises – in die Rechtspolitik zurück.
Kennzeichen des wissenschaftlichen Werks Kochs, das allein 30, oft mehrbändige Monographien umfaßt, ist eine für seine Zeit atypisch intensive Beschäftigung mit dem preußischen Partikularrecht. Dabei stehen Themen aus dem Bereich des Privat- und Prozeßrechts im Vordergrund: in den 30er und 40er Jahren vor allem das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (ALR), später hauptsächlich die sich neu entwickelnden Rechtsgebiete und Einzelgesetze (Das Wechselrecht, 1850; Concursordnung, 1855; Hypothekenordnung, 1856; Allgemeinesdeutsches Handelsgesetzbuch, 1863; Preußisches Erbrecht, 1866; Allgemeines Berggesetz, 1870). Bei der Behandlung dieser Materien, von den meisten Vertretern der Privatrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zu Gunsten der Beschäftigung mit dem Römischen Recht zumindest vernachlässigt, gelang es Koch, wie außer ihm allenfalls noch Bornemann, sich in seinen Schriften im Laufe der Jahre in zunehmendem Maße vom Römischen Recht loszulösen und das Gegebene – insofern stark rechtspositivistisch – zu begreifen und zu verarbeiten. Dies brachte ihm von seinen Zeitgenossen den Vorwurf ein, seine Schriften würden im Vergleich zu seinen früheren, preußisches und gemeines Recht gleichermaßen abhandelnden Werken (anerkannt waren vor allem Das Recht der Forderungennach gemeinem und preußischem Rechte, 3 Bände, 1836-43, undLehrbuch des preußischenund gemeinen Privatrechts, 2 Bände, 1845/46) verflachen. Auch der stark praktische Charakter zahlreicher seiner Veröffentlichungen, die mehr auf wichtigeRechtsprechung und amtliche Äußerungen als auf die wissenschaftliche Literatur abstellten, trug zu dieser Kritik bei, machte seine Arbeiten aber gleichzeitig und über Jahrzehnte hinweg zum unentbehrlichen Rüstzeug für jeden Praktiker innerhalb der preußischen Justiz. Dies gilt insbesondere für Kochs vierbändi gen Kommentar zum ALR (Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten mit Kommentar in Anmerkungen, 1852-56), bei dem allein schon die behandelte überwältigende Stoffmasse beeindruckt, aber auch für sein Formularbuch für instrumentierende Gerichtspersonen (1844), das von ihm begründeteSchlesische Archiv für die praktischeRechtswissenschaft (6 Bände, 1837-46) oder die vornehmlich für den juristischen Nachwuchs gedachte Anleitung zum Referiren und Aufsetzen der Erkenntnisse bei preußischen Gerichtshöfen (1832).
Bei seinem Tod hinterließ Koch, dessen 1821 geschlossene Ehe mit der Berliner Arzttochter Auguste Zerbst kinderlos geblieben war und der sich selbst aus größter Armut „emporgeschrieben“ hatte, den Großteil seines auf 300.000 Mark geschätzten Vermögens seiner Geburtsstadt Mohrin zur Errichtung einer Erziehungsanstalt für Kinder aus armen Verhältnissen – ein letztes Beispiel für den von Koch propagierten und gelebten Grundsatz, daß allein die persönliche Leistung des Einzelnen, nicht Standesvorrechte den Maßstab für die soziale Stellung jedes Menschen bilden sollen.
Lit.: J.F. Behrend: Christian Friedrich Koch. Eine Skizze seines Lebens, 1872. – L. Goldschmidt: Rechtsstudium und Prüfungsordnung, 1887, S. 83 ff. – G. Kleinheyer/J. Schröder: Koch, Christian, Friedrich, in: Dt. und Europäische Juristen aus neun Jh., 4. Aufl. 1996, S. 490. – J. Rückert: Koch, Christian Friedrich, in: Neue Deutsche Biographie 12, 1980, S. 257-260. – R. v. Stintzing/E. Landsberg: Geschichte der dt. Rechtswissenschaft III/2, 1910, S. 610-612. – Teichmann: Koch, Christian Friedrich, in: Allgemeine Deutsche Biographie 16, 1882, S. 368-371.
Ina Ebert