Unter der großen Zahl der Schlesier, die den Ruf Schlesiens teils als Land der Dichter, teils auch als Land der Mystiker und Gottsucher begründeten, vereinigte Kuhlmann beides miteinander; doch ist er umstritten wie kein anderer. Kuhlmann wurde als Sohn eines Handwerkers 1651 in Breslau geboren. Schon als Schüler des Magdaleneums, der 1267 gegründeten, 1643 zum Gymnasium erhobenen ältesten Bürgerschule Breslaus, fiel er seinen Lehrern als religiöser Schwärmer auf. Als 13jähriger hat er die erste Erleuchtung, mit 15 Jahren gibt er Sonette unter dem Titel „Himmlische Libes-Küsse“ heraus, und als 18jähriger Schüler erfährt er im Fiebertraum einer schweren Nervenkrankheit die Stimme Gottes, die ihn zum Kampfe wider die Sünde der Welt aufruft. 1670 läßt er sich in Jena als Student der Jurisprudenz einschreiben, geht aber einem Einsiedlerleben religiöser Schwärmerei nach. In kurzer Folge veröffentlicht er mehrere Schriften mystischen und moralischen Inhalts, so u.a. die „Lehrreichen Weisheit-, Lehr-, Hof-, Tugendsonnenblumen“ (1671) sowie den „Geschichtsherold“, beides Lesefrüchte aus einer Unzahl von Büchern. Ein bedeutsamer Einschnitt in Kuhlmann Lebensgang ist 1673 seine Übersiedlung nach Leyden. Im Land der unbeschränkten Geistesfreiheit gerät er in den Einfluß der Anhänger Jakob Böhmes und der spiritualistischenMystiker und Enthusiasten, Theosophen und Alchimisten. Er zieht als Wanderprediger durch die Niederlande, bis er von dort ausgewiesen wird. Immer wieder findet er wohlhabende Förderer, u.a. einen Kaufmann in Lübeck, später den bekannten Theosophen Johann Bathurst, der ihn nach England einlädt und ihm bis auf weiteres einen Jahressold von 1000 Talern zur Verfügung stellt zur Verwirklichung seiner Jesusmonarchie, des „Regnum Jesuilitarum“. Inzwischen hat er eine Witwe Lindau mit ihren zwei Töchtern zu sich genommen: „Ich war mit derjenigen wie ehelich verbunden, die mir als eine geistliche Gehilfin beigesetzt ward“, schreibt er. Mit den Seinen reist er nach Paris, Lyon, Avignon und allein weiter nach Konstantinopel, wo er den Sultan für sein Jesuiliterreich gewinnen will. Er wird vorübergehend verhaftet und eingekerkert. Nach England zurückgekehrt, lernt er eine enthusiastische Schwärmerin kennen, von ihm „Maria Anglicana“ genannt, mit der er einen neuen Jesus, einen König des Jesuiliterreichs, zeugen will, während er sich selbst als Sohn Gottes bezeichnet. Der Bigamie angeklagt, wird er aus England verbannt. Nun reist er nach Moskau, findet dort Anschluß an eine Gemeinde von Böhme-Anhängern und Aufnahme bei dem Kaufmann Nordermann. Der Pfarrer der deutsch-evangelischen Gemeinde in Moskau warnt vor dem Sektierer und erstattet Anzeige beim Patriarchen und beim Zaren. Kuhlmann wird verhaftet, und ihm wird zusammen mit seinem Gönner Nordermann der Prozeß gemacht, der mit der Verbrennung der beiden Deutschen als Ketzer endet.
W.E. Peuckert urteilt: „Das ist das Leben dieses phantastischen Menschen, den man gern zu den Mystikern zählt und der doch nur ein Chiliast gewesen ist“ (Glaube, daß Christus am Ende dieser Weltzeit den Teufel fesseln und mit den auferweckten Gerechten ein irdisches tausendjähriges Reich des Friedens und der Freude errichten werde). Peuckert fährt fort: „Eine religiöse Bedeutung für einen größeren Umkreis, für Schlesien hat Kuhlmann nicht gehabt; er ging wirr und verwirrend an seiner Zeit vorbei: Mag seine Idee gut oder schlecht gewesen sein, daß er sich für sie einsetzte, und auch das eigene Sein einsetzte, ist schön. — Bedeutung hat für uns immer noch der Dichter.“ (Schles. Lebensbilder)
Kuhlmanns Hauptwerk „Der Kühlpsalter“, acht Oden-Bücher, deren Titel vom Namen des Verfassers abgeleitet ist und die er 1682 und nochmals 1684 in Holland drucken ließ, bezeichnet Lubos als die „wohl eigenartigste Dichtung des Barock, überhaupt nur begreiflich aus dem prophetischen Sendungsbewußtsein Kuhlmanns. Zwischen Weltreichidee, Sendebewußtsein, Schwärmertum und innerer Versenkung, zwischen Triumph und Verzagtsein liegen die Schwingungen seiner Mystik, gärend, dämonisch und unerlöst.“ – Die vom dichterischen Formtalent zeugende, die Mystik bis zur reinen Wortekstase steigernde barocke Sprachschöpfung brachten dem Autor schon zu Lebzeiten den Ruf eines närrischen Sonderlings ein. Dennoch haben sich die Barockforscher wie auch die Kirchenhistoriker immer wieder mit ihm auseinandergesetzt. Sein Lebensbild fehlt weder in der alten noch der „Neuen deutschen Biographie“. Eine Würdigung darf auch nicht außer acht lassen, daß jenes für den normalen Leser recht unverständliche Werk „Der Kühlpsalter“ im letzten Jahrzehnt mehrere Nachdrucke erlebte und der Autor selbst von einem Barockforscher einer 600seitigen Biographie für wert erachtet wurde.
Werke: Epigramme, 1666; Himmlische Libes-Küsse, G. 1671 (n. B. Biehl-Werner 1971); Lehrreiche Weißheit-Lehr-Hof-Tugend-Sonnenblumen Preißwürdigster Sprüche … neu herausgegeben von Beare, L. R. Tübingen 1971, 2 Bde. (mit ausführlichem Lit. Hinweis) 1671; Geschicht-Herold oder freudige und traurige Begebenheiten Hoher und Nidriger Persohnen, 1673; Der Kühlpsalter, G. III, 1684-86.
Lit.: L.K. Eschrich, Diss. Greifswald 1929; R. Flechsig, Diss. Bonn 1952; C. V. Bock, 1957; Balthasar, W. Quirinus Kuhlmann. Jahrbuch für schlesische Kirche und Kirchengeschichte NF XXXIX(1960), S. 114-130. – Dietze, W. Quirinus Kuhlmann, Ketzer und Poet. Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft Bd. 17, Berlin 1963. – Lubos, Arno, Geschichte der Literatur Schlesiens I. Bd. München 1960, S. 146-150. – Peuckert, W.E. „Quirinus Kuhlmann“ in Schlesische Lebensbilder Bd. III, Sigmaringen 1985.