Marion Gräfin Dönhoff war eine bedeutende Publizistin und Chefredakteurin der deutschen Wochenzeitung ‚Die Zeit‘. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Nach ihr ist der Marion-Dönhoff-Preis benannt. Dönhoff wurde am 2. Dezember 1909 auf Schloss Friedrichstein in Ostpreußen geboren und wuchs dort auf. Ihre engen Freunde waren ihr Cousin Heinrich von Lehndorff und seine Schwester Karin. 1924 überlebte sie einen schweren Autounfall. Sie studierte Volkswirtschaftslehre in Königsberg und Frankfurt am Main und promovierte in Basel. Ihre Dissertation behandelte die Entstehung eines ostdeutschen Großbetriebs.
Marion Gräfin Dönhoff lebte in Frankfurt und wurde Teil des intellektuellen Kreises um Kurt Riezler. Sie hatte Sympathien für linke Ideen und wurde als „rote Gräfin“ bezeichnet. Später zog sie nach Basel, um ihre Doktorarbeit zu schreiben. Ihre Familie hatte Verbindungen zur NSDAP, aber Marion selbst engagierte sich im Widerstand und sprach nie darüber. In den 1930er Jahren unternahm sie Reisen durch Europa, darunter Polen, den Balkan, Italien, Großbritannien, Frankreich und die Schweiz. Während des Zweiten Weltkrieges verwaltete sie das Familiengut Quittainen in Ostpreußen. Sie vertrat ihren Bruder Dietrich während seines Kriegsdienstes.
Marion Gräfin Dönhoff unternahm 1941 einen fünftägigen Ritt mit ihrer Freundin Sissi von Lehndorff durch Masuren, um Abschied von ihrer verlorenen Heimat zu nehmen. Ihr ältester Bruder Heinrich kam 1942 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Ihr Bruder Christoph war für die NSDAP tätig und später im diplomatischen Dienst in der Schweiz. Dönhoff war indirekt am Putschversuch vom 20. Juli 1944 beteiligt und stand in Kontakt mit Mitgliedern des Widerstands, darunter ihrem Cousin Heinrich von Lehndorff, der hingerichtet wurde. Im Januar 1945 floh sie vor der Roten Armee aus Quittainen nach Westdeutschland. Sie machte einen langen Ritt über 1200 Kilometer und fand schließlich Zuflucht auf dem Gut der Grafen von Metternich in Vinsebeck.
Von dort aus fuhr Marion Gräfin Dönhoff mit Richard von Weizsäcker und Axel von dem Bussche zum Nürnberger Prozess, wo sie sich dafür einsetzte, dass nicht nur Verbrechen gegen andere Völker, sondern auch Verbrechen gegen das deutsche Volk verurteilt wurden. Sie wurde eingeladen, bei der Gründung der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ mitzuarbeiten und veröffentlichte ihre ersten Artikel im März 1946. Anfangs schrieb sie verständnisvoll über Mitläufer und verteidigte sogar einen Wehrmachtsgeneral. Später kritisierte sie die Nürnberger Gerichte und warf den Siegermächten vor, das Gift der Nazi-Epoche in die neue Zeit gebracht zu haben. Sie erhielt einen Brief aus Ostpreußen, der von den Gräueln nach der Ankunft der sowjetischen Besatzer berichtete. 1948 schrieb sie einen umstrittenen Artikel, in dem sie die israelische Regierung kritisierte.
1952 wurde Dönhoff Leiterin des Politikressorts der ‚Zeit‘ und ersetzte Ernst Friedländer. Ihr Besuch des Prozesses zum Massaker von Oradour im Jahr 1953 ließ ihren Zorn auf die alliierte Justiz schwanken. Im August 1954 verließ sie vorübergehend die ‚Zeit‘ aus Protest gegen Artikel von Richard Tüngel, der unter anderem einen Text des NS-Staatsrechtlers Carl Schmitt veröffentlicht hatte. Sie ging nach London zur Sonntagszeitung ‚The Observer‘. Ihre Liebe zu David Astor, dem Chefredakteur des Observers, war neben dem 20. Juli und der Hinrichtung ihres Vetters Heinrich Lehndorff das mentale Zentrum ihrer Biografie. Im November 1954 schrieb sie an den Zeit-Verleger Gerd Bucerius über ihre Unzufriedenheit mit einigen Mitarbeitern der ‚Zeit‘. Chefredakteur Tüngel verließ 1955 das Blatt. Dönhoff kehrte in ihre leitende Stellung zurück und half Bucerius, die Zeitung auf liberalen Kurs zu bringen. Ihre Zusammenarbeit war nicht immer spannungsfrei, aber Bucerius erkannte ihr Potenzial, das Blatt zum Erfolg zu führen. Dönhoff begleitete als Journalistin Konrad Adenauer auf seiner Moskaureise im September 1955 und war enttäuscht vom Ergebnis des Besuchs. Sie beschuldigte Adenauer sogar des Umfalls und warf ihm Preußenhass vor. Als die Spiegel-Affäre im Oktober 1962 die Bundesrepublik erschütterte, schrieb sie einen scharfen Leitartikel, in dem sie den Verfall politischer Moral beklagte. 1962 besuchte sie erstmals nach ihrer Flucht Polen und veröffentlichte ein Jahr später die Artikelsammlung „Die Bundesrepublik in der Ära Adenauer. Kritik und Perspektive“.
1968 wurde Dönhoff Chefredakteurin des Wochenblattes und blieb es bis 1972. Im Jahr 1970 wurde sie von Bundeskanzler Willy Brandt eingeladen, ihn auf einer Reise nach Warschau zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrags zu begleiten, sagte jedoch einen Tag vor Beginn der Reise ab. Im Jahr 1971 erhielt sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihre Bemühungen um eine Politik der Aussöhnung. Ab 1973 gehörte sie dem Kreis der Herausgeber der Zeit an und arbeitete eng mit Helmut Schmidt zusammen. Im Jahr 1979 wurde ihr vorgeschlagen, für die SPD als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten anzutreten, aber sie lehnte ab und schlug stattdessen Carl Friedrich von Weizsäcker vor.
Dönhoff fuhr gerne und schnell Porsche, gab aber ihren Führerschein mit 90 Jahren ab. Sie hatte eine Haushälterin als einzigen Luxus und schrieb ihre Bücher am liebsten in ihrem Weingut auf Ischia. Sie engagierte sich für den humanen Strafvollzug und gründete den Verein ‚Marhoff‘ zur Integration entlassener Strafgefangener. 1988 wurde die Marion-Dönhoff-Stiftung gegründet, die den Marion-Dönhoff-Preis vergibt. Sie initiierte auch die Neue Mittwochsgesellschaft, eine private Gruppe von Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur, die regelmäßig in ihrem Haus in Hamburg-Blankenese zusammenkamen.
Dönhoff starb am 11. März 2002 im Alter von 92 Jahren auf Schloss Crottorf und wurde auf dem Friedhof Friesenhagen beigesetzt, wo zahlreiche Verwandte und Freunde, darunter Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker, anwesend waren.
Der nach ihr benannte Marion-Dönhoff-Preis wird seit 2003 für internationale Verständigung vergeben.
Werke (Auszug): Entstehung und Bewirtschaftung eines ostdeutschen Großbetriebes. Die Friedrichstein-Güter von der Ordenszeit bis zur Bauernbefreiung (Diss., Basel 1935). – In Memoriam 20. Juli 1944. Den Freunden zum Gedächtnis. (Privatdruck) Hamburg 1945. – Namen, die keiner mehr nennt, Diederichs Verlag, Düsseldorf/Köln 1962 (Neuausgabe Rowohlt Verlag; Reinbek 2009). – Die Bundesrepublik in der Ära Adenauer. Kritik und Perspektiven, Rowohlt Verlag: Reinbek 1963. – mit Rudolf Walter Leonhardt und Theo Sommer: Reise in ein fernes Land: Bericht über Kultur, Wirtschaft und Politik in der DDR, Nannen, Hamburg 1964. – Menschen, die wissen, worum es geht. Politische Schicksale 1916-1976, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1976. – Deutsche Außenpolitik von Adenauer bis Brandt (1970), Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1982. – Amerikanische Wechselbäder. Beobachtungen und Kommentare aus vier Jahrzehnten, Deutsche Verlags-Anstalt, München 1981. – Von gestern nach übermorgen (1981), Albrecht Knaus Verlag, München 1996. – Preußen. Maß und Maßlosigkeit (1987), btb Verlag, München 2002. – Gestalten unserer Zeit. Politische Portraits (1990) Goldmann Verlag, München 2000. – Weil das Land sich ändern muß. Manifest I, Rowohlt Verlag, Reinbek 1992. – Weil das Land Versöhnung braucht. Manifest II, Rowohlt Verlag, Reinbek 1992. – Was mir wichtig war. Letzte Aufzeichnungen und Gespräche. Siedler Verlag, Berlin 2002. – Ritt durch Masuren, aufgeschrieben 1941, mit Fotos von Dietrich Weldt. Rautenberg Verlag, Troisdorf 2002.
Lit. (Auszug): Alice Schwarzer: Marion Dönhoff. Ein widerständiges Leben, Droemer Knaur Verlag. München 1997. – Haug von Kuenheim. Marion Dönhoff, Rowohlt Verlag. Reinbek 1999. – Ders., Marion Dönhoff. Eine Biografie. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt, Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. – Dieter Buhl. Die-Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius (Hrsg.). Marion Gräfin Dönhoff – Wie Freunde und Weggefährten sie erlebten, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006. – Klaus Harpprecht. Die Gräfin Marion Dönhoff. Eine Biographie, Rowohlt Verlag: Reinbek 2008, als Taschenbuch Reinbek 2009. – Ulrich Schlie (Hrsg.): Marion Gräfin Dönhoff und Carl Jackob Burckhardt. „Mehr als ich Dir jemals werde erzählen können“. Ein Briefwechsel. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008. – Irene Braurer/ Friedrich Dönhoff (Hrsg.). Marion Gräfin Dönhoff. Ein Leben in Briefen, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009. – Anne Lazlo. Marion Gräfin Dönhoff – La „comtesse rouge“ du journalisme allemand, Éditions l’Harmattan, Paris 2014. – Günter Hofmann: Marion Dönhoff. Die Gräfin, ihre Freunde und das andere Deutschland, C. H. Beck Verlag, München 2019.
Bild: Kulturstiftung
Andreas Raffeiner