Erfolgreicher Start: Ein Jahr „Forschungen zur Geschichte ethnischer Vertreibung“

Einen erfolgreichen Start ihrer neuen „Forschungen zur Geschichte ethnischer Vertreibung“ konnte die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung ein Jahr nach Erscheinen des ersten Bandes der Reihe in Berlin jetzt würdigen. Wie der Vorsitzende, Dr. Ernst Gierlich, bei der jüngsten Vorstandssitzung erklärte, zeigten dies eindrücklich die Reaktionen auf die Studie des Regensburger Geschichtsprofessors Manfred Kittel über „Raphael Lemkins UN-Genozidkonvention und die Vertreibung der Deutschen“ (Obertitel: „Die zwei Gesichter der Zerstörung“)
Der Historiker Prof. Dr. Peter Steinbach, langjähriger Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, sieht in Kittels Buch eine „kongeniale Würdigung“ des Vaters der UN-Genozidkonvention („Das historisch-politische Buch“). Das Werk gehe die Bezüge zwischen UN-Konvention und Vertreibungen „bemerkenswert differenziert“ an und sei auch geeignet, den heute „fast inflationär“ verwendeten Genozidbegriff „inhaltlich [zu] präzisieren“.

Der Jurist Prof. Dr. Eckart Klein, ehem. Direktor des Menschenrechtszentrums der Universität Potsdam, würdigt besonders die „gelungene Unterscheidung“ zwischen Ausrottungs- und Zerstörungsgenozid, die das neue Buch unter Berufung auf Lemkin selbst vornimmt („MenschenRechtsMagazin“). Dessen Terminus setze nämlich nicht physische Ausrottung voraus; und der Wortlaut der UN-Konvention lasse es ebenfalls zu, auch Zerstörungsgenozide, also die Zerstörung von Gruppen als solchen, als „crime of crimes“ zu charakterisieren.

Nach dem Urteil des Theologen Tilman A. Fischer („Die Tagespost“) eröffnet Kittels Unterscheidung zwischen Ausrottung und Zerstörung den Weg, Vertreibungen ebenso wie die Verbrechen an den Herero als Zerstörungsgenozid einzustufen, „ohne den Ausrottungsgenozid der Shoa hierdurch zu relativieren“. Letztlich verfolge das Buch auch ein menschenrechtspolitisches Anliegen mit Blick etwa auf die Ukraine. Lemkins Genozidbegriff könne auch schon eher präventiv zum Schutz ethnischer und religiöser Gruppen eingesetzt werden, selbst wenn die Angriffe auf sie nicht auf eine vollständige körperliche Ausrottung hinausliefen.

Der Vorsitzende des Zentrums gegen Vertreibungen, Dr. Christean Wagner (Wiesbaden), sprach bei der Vorstellung des Buches von einem „außergewöhnlichen Werk“. Es schließe große Wissenslücken, über deren Existenz in der deutschen Gesellschaft er „als ehemaliger hessischer Kultusminister unglücklich“ sei, und bringe einem Lemkins viel zu wenig bekannte Verdienste um die völkerrechtliche Bewertung der Vertreibung der Deutschen nahe. Auch die deutschen Vertriebenen seien im Sinne der breiten Definition Lemkins Opfer eines Genozids geworden.

Mit Bezug auf eine Rezension des Innsbrucker Völkerrechtlers Peter Hilpold („europa ethnica“) erklärte Dr. Gierlich: Auch er gehe davon aus, dass Kittels „sehr spannend“ geschriebenes Buch über Lemkin und den Genozid „über Fachkreise hinaus“ Anerkennung finden werde. Ein weiterer Band der beim renommierten Verlag Duncker & Humblot erfolgreich gestarteten Reihe (zum Beitrag der Kirchen für die Integration der Heimatvertriebenen) sei bereits in Vorbereitung.