Biographie

Müller, Otfried

Herkunft: Posener Land
Beruf: Theologe
* 24. Januar 1907 in Posen
† 24. April 1986 in Erfurt

In Posen, der Hauptstadt der damaligen gleichnamigen preußischen Provinz, wurde Otfried Müller am 24. Januar 1907 als Sohn des Gymnasiallehrers und späteren Oberschulrates beim Provinzialschulkollegium in Breslau Dr. Michael Müller geboren. Er besuchte das Gymnasium in Königshütte, das Gymnasium in Berlin-Zehlendorf und schließlich das sehr angesehene Staatliche Katholische St. Matthias-Gymnasium in Breslau, an dem er Ostern 1925 das Abitur ablegte, anscheinend in einem besonders leistungsstarken Jahrgang, waren doch von den 38 Abiturienten der zwei Parallelklassen elf von der mündlichen Prüfung befreit, darunter Otfried Müller und Johannes Kaps, der spätere Domvikar Kardinal Bertrams, doppelte Doktor und Leiter des Zentralen Katholischen Kirchenbuchamtes für Heimatvertriebene in München, dem wichtige Publikationen über das Geschehen im Schlesien der Jahre 1945 und 1946 zu verdanken sind.

Nach der Reifeprüfung studierte Müller Philosophie und Theologie und wohl auch zeitweilig Geschichte an den Universitäten in Breslau und Innsbruck (1925-1930) und empfing am 1. Februar 1931 durch Adolf Kardinal Bertram in Breslau die Priesterweihe, Anschließend wirkte er zwei Jahre als Kaplan in Mühlbock (Neumark), Kreis Züllichau-Schwiebus, unter dem gelehrten Pfarrer und Erzpriester Dr. theol. Albert Schönfelder, der ebenfalls Matthesianer (gewesen) war, und dann als Hausgeistlicher in Protsch-Weide, Kreis Breslau, und Breslau. Kardinal Bertram erkannte das Talent des jungen Priesters und ernannte ihn mit Wirkung vom 1. Januar 1935 zu seinem Geheimsekretär. Diese bis zum 15. September 1937 währende Tätigkeit – in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft – hatte prägenden Einfluss auf Müller und„begründete seine lebenslange Hochachtung für diesen Kirchenführer“ (L.Ullrich). Es ist nicht anzunehmen, dass Müllers Tätigkeit für den fast fünfzig Jahren älteren, sehr erfahrenen und ziemlich autokratisch entscheidenden Leiter der Erzdiözese Breslau und Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz über die Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben – etwa im Sinne eines Einflusses auf den Kardinal – hinausging. 1937 legte Müller das Pfarrexamen ab und begab sich zu einem Studienaufenthalt nach Rom, wo er sich kirchenrechtlichen Studien zuwandte und im Priesterkolleg beim Campo Santo Teutonico wohnte. Er erwarb den akademischen Grad eines Baccalaureus des kanonischen Rechtes, kehrte 1938 nach Schlesien zurück, war zwei Monate Pfarradministrator in Spremberg (Nieder-Lausitz) und von Januar 1939 bis zum 14. November 1940 Präfekt des Erzbischöflichen KnabenkonviktsAlbertinum in Gleiwitz.

Aufgrund der von dem Dogmatiker Bernhard Poschmann, einem Ermländer, referierten DissertationDie Rechtfertigungslehre nominalistischer Reformationsgegner und der mündlichen Prüfung erfolgte am 16. April 1940 seine Promotion zum Doktor der Theologie in Breslau. Damals hatte er auch das Amt des Archivpflegers des Archipresbyterats (Dekanats) Gleiwitz inne.

1941 übernahm Müller die Pfarrei in Schwiebus, kehrte also in die Neumark zurück, wurde dann 1945 nach dem Einmarsch der Sowjetrussischen Armee verhaftet, schwer misshandelt und zur Zwangsarbeit eingesetzt. Als einer der letzten Deutschen am 29. Juni 1945 aus Schwiebus ausgewiesen, wirkte er einige Monate in Berlin-Lichtenberg seelsorgerisch, wurde im Dezember 1945 Kaplan in Delitzsch und im November 1946 Assessor am Erzbischöflichen Amt Magdeburg mit der Zuständigkeit für den Aufbau der Vertriebenenseelsorge.

1950 nahm sein Lebensweg eine wesentliche Wende, als er auf Veranlassung von Erich Kleineidam, dem Rektor der zur Heranbildung des ostdeutschen Priesternachwuchses gegründeten Philosophisch-theologischen Hochschule in Königstein/Taunus, mit Wirkung vom 1. Februar zum Dozenten für Dogmatik ernannt wurde, wodurch er seinen wissenschaftlichen Neigungen systematisch folgen konnte. Nächste Station war die um die Jahreswende 1951/1952 übernommene Vertretung der Professur für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule (der Erzdiözese München und Freising) in Freising, die er bis zu seiner Berufung als Professor an das von Erich Kleineidam als Gründungsrektor geleitete Philosophisch-Theologische Studium in Erfurt, der einzigen Anstalt zur wissenschaftlichen Ausbildung für Kandidaten des katholischen Priesteramtes in der DDR, im Jahre 1953 wahrnahm.

Joseph Ratzinger, der jetzige Papst Benedikt XVI., schreibt, ein Jahr lang sei der Lehrstuhl „von dem schlesischen Priester Otfried Müller vertreten worden, der sich gleichzeitig mühte, seine Habilitation in München voranzubringen – ein wahrhaft schwieriges Unterfangen angesichts des Anspruchs, zwei theologische Kernfächer zu lehren. Nun hatte die im Aufbau begriffene Theologische Hochschule zu Erfurt Müller gebeten, dort das Fach Dogmatik zu übernehmen. Es war kein leichter Entscheid, aus dem aufstrebenden Westen Deutschlands mit seinem Wohlstand und seiner Freiheit überzuwechseln in den sowjetisch besetzten Teil unseres Vaterlandes, der sich damals mehr noch als später als ein großes Gefängnis darstellte. Müller nahm den Ruf an und hat eine ganze Generation von Priestern in der DDR theologisch geformt.“ (J. Ratzinger, Aus meinem Leben, München 1998, S. 77)

Es gab seinerzeit eine ganze Reihe von Geistlichen, die sich vom sicheren Port in der Bundesrepublik Deutschland freiwillig in den unfreien Teil Deutschlands begaben, allermeistens, um dort angesichts des Zustromes von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen in der Seelsorge zu helfen.

Über Müllers Arbeit in Erfurt schreibt der weltberühmte Kirchenhistoriker Hubert Jedin, der im Kreis Neisse geboren wurde: „Erich Kleineidam und Otfried Müller hoben mit anderen die Theologische Lehranstalt in Erfurt auf das Niveau westdeutscher Fakultäten“ (Hubert Jedin, Lebensbericht, 2. Aufl., Mainz 1985, S. 192). In einem Semester und zwei Studienjahren stand Müller als Rektor an der Spitze der Anstalt. Er setzte sich für das Theologiestudium von Frauen ein, machte mit bei der Einrichtung und Betreuung eines Edith-Stein-Seminars, regtemit Erfolg die Gründung eines Ökumenisch-TheologischenArbeitskreises an, dem evangelische und katholische Theologen angehörten, und wurde 1959 von Bischof Ferdinand Piontek, dem Kapitelsvikar des deutschen Erzbistums Breslau mit Sitz in Görlitz, zum nichtresidierenden Domkapitular des Breslauer Metropolitankapitels ernannt. Im Herbst 1962 war er Teilnehmer (Berater) der ersten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils, über das er mit zwei anderen Theologen ein umfangreiches Sammelwerk herausgab und in dessen Geist er eine sehr große Anzahl Vorträge und Werkwochen hielt. Daneben stehen zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze und sehr viele in Kirchenblättern veröffentlichte Artikel.

Am 1. Juli 1973 – dem Jahre seiner Ernennung zum Päpstlichen Ehrenprälaten – wurde Müller emeritiert. 1979 unternahm er seine letzte größere Reise: nach Schlesien, in das geliebte Breslau, in das so stark veränderte Land. Es war der Abschied von seinem Schlesien, seiner Heimat. Am 24. April 1986 starb er im Alter von 79 Jahren, im 56. Jahre seines Priestertums. Otfried Müller hat viel geleistet, gerade auch in den zwei Dezennien seiner Lehrtätigkeit am Erfurter Philosophisch-Theologischen Studium, dessen Bedeutung „im Westen“ wohl nicht gebührend erkannt und gewürdigt wurde, ebenso wie das besondere Spezifikum: die stark ausgeprägte Verbindung mit der praktischen Seelsorge, für die auch Müller stand – priesterlich, in sich glaubwürdig, dabei auch kantig.

Werke:Die Rechtfertigungslehre nominalistischer Reformationsgegner. Bartholomäus Arnoldi von Usingen OESA und Kaspar Schatzgeyer OFM über Erbsünde, erste Rechtfertigung und Taufe, (Kath.-theol. Diss. Breslau) (Breslauer Studien zur historischen Theologie Neue Folge 8) Breslau 1940. – Nachruf (auf Bernhard Poschmann), in: Theologische Revue 51 (1955), S. 211-213. – Die theologische Bedeutung der Marienweihe (Pastoral-Katechetisches Heft 4), Leipzig 1957. – Der christliche Sonntag (Past.-Kat. H. 11), ebd. I960. – Konzil ohne Marienverehrung?, in: Jahr des Herrn 13, 1964, S. 209-214. – (Mit Werner Becker u. Josef Gülden) Vaticanum secundum, Bd. I-1V/1, Leipzig 1963-1968.

Lit.:Franz Scholz, Prof. Dr. Otfried Müller, Erfurt, 25 Jahre Priester, in: Mitteilungen für die heimatvertriebenen Priester aus dein Osten, 1956, S. 37. – Wolfgang Beinert, Ein existentieller Denker. Zum Tod von Otfried Müller, in: Christ in der Gegenwart 38 (1986), S. 196. – Franz Georg Friemel, Predigt beim Requiem für Prof. Müller am 30.4.1986 im Dom zu Erfurt, in: Die Bastei. Winfriden-Blätter, 1986/2, S. 53-57. – Klinke, Prof. Dr. theol. Otfried Müller, ebd., S. 50-53. – Michael Höck, Treuer Künder des Gotteswortes und eifriger Seelsorger, in: Münchener Katholische Kirchenzeitung v. 3.8.1986. – Lothar Ullrich, Zum Gedenken an Professor Otfried Müller, in: Tag des Herrn 36 (1986), Nr. 11, S. 87. – Prof. Dr. Otfried Müller †, in: Heimatbrief der Katholiken des Erzbistums Breslau 13 (1986), S. 44. – Johannes Gröger, Schlesische Priester auf deutschen Universitätslehrstühlen seit 1945, Sigmaringen 1989, S. 75-76. – Lothar Ullrich, Otfried Müller (1907-1986), in: Schlesische Kirche in Lebensbildern, Hrsg. von Johannes Gröger, Joachim Köhler u. Werner Marschall, Sigmaringen 1992, S. 284-288.

Bild:Bistum Regensburg, Bischöfliche Zentralbibliothek.