„Ein schlesischerer Mensch als dieser Will-Erich Peuckert“ – so Gerhart Pohl zum 60. Geburtstage seines Landsmannes – „ist mir zeitlebens nicht begegnet … ein Donnerwetterluder von Schlesier mit festen Wurzelstöcken in der Heimaterde und einem Duft von Sagen, Mären und Schnoken um sich, daß man wahrhaftig an einen neuen durchtriebenen Gestaltwandel des Herrn Rübezahl glauben könnte.“ Nach drei Jahrzehnten ist von dieser Feststellung nichts verblaßt: Peuckerts Schriften bestechen in ihrer faszinierenden Anschaulichkeit und einer Schau des Wahrhaftigen, die wie zeitlos wirken. Pohl sollte sich als Prophet erweisen, wenn er schrieb: „Wenn vom Schlesien im Zeitalter seiner schwersten Existenzkrise die Rede ist, wird der boehmisch-schwenckfeldisch-franckenbergische und dabei paracelsische Buschprediger von Haasel, seinem Dorf mit der Dreißigtausend-Bände-Bibliothek im ehemaligen Kuhstall des Bauernhäusels, auftauchen …“ Will-Erich Peuckert und Schlesien: Dieser Schlesier und sein Schlesien sind nur in einem Atemzuge zu nennen. Was Pohl für Hauptmann einmal sagte, es trifft ebenso für Peuckert zu: „Schlesien – wir lassen dich nicht …“
Peuckert, geboren als Sohn eines Postbeamten in Töppendorf (Kreis Goldberg-Haynau/Niederschlesien), im Vorland also, absolvierte – nach einem Besuch der Präparandenanstalt Schmiedeberg – das Bunzlauer Lehrerseminar, um dann von 1915 bis 1921 an einer Dorfschule in Groß-Iser zu unterrichten. Ihm genügte das nicht: Er ergänzte und vertiefte sein Wissen in einem nachträglichen Studium an der Breslauer Universität, das er mit der Promotion über das Thema: Die Entwicklung Abrahams von Franckenberg bis zum Jahre 1641 abschloß. Von 1929 bis 1931 lehrte Peuckert an der Breslauer Pädagogischen Akademie sowie auch an der Universität. Infolge „politischer Unzuverlässigkeit“ erfolgte 1935 seine Entlassung. Bis zur Vertreibung lebte „der von Hitlers byzantinischem Geschmeiß entlassene Privatdozent“ in Haasel bei Jauer; 1946 bekam er einen Lehrstuhl für Volkskunde an der Göttinger Universität; nach seiner Emeritierung lebte er in Darmstadt-Mühltal.
Das ungemein vielschichtige, auch äußerlich umfangreiche Werk dieses schlesischen Gelehrten ist weitgehend dem Anliegen verpflichtet, Schlesiens Landschaft und Geschichte, seine Kultur und seine Menschen in der spezifisch-arteigenen Wesensart zu orten. Peuckerts Anliegen ist der schlesische Mensch. Von ihm zu schreiben, so sagte er einmal, „das weckt tausend schlafende Fragen auf. Schlesien habe, so schrieb er in seiner Abhandlung Schlesisches Volk, eine „Kulturphysiognomie“. Daran sei, wie er weiter ausführte, mehr gebunden als bloßes Verwurzeltsein in Boden und Scholle. Die Lebensgrundlage des schlesischen Menschen ist 1945 und danach zerstört worden – „sein Grund … Die tägliche Form. Das Eingebettetsein in Nachbarschaft und Gemeinschaft. Das Atmen in der Muttersprache. Das Geschenk Spruch und Lied. Das Vaterland. Der Tisch, an dem man aß. – Es ist sehr viel an Menschlichem, was hier zerstört und zerbrochen ist.“ Die Fähigkeit, Einbrüche dieser Art als krisenhafte Zerstörungen verbindlich-traditioneller Werte zu begreifen, ist heute weitgehend im Rahmen globaler Einbrüche geschwunden. Im Werk Peuckerts ist sie für den schlesischen Kulturraum auf schmerzhaft-ergreifende Weise gegenwärtig.
In einem seiner besten Werke, der Biographie einer Landschaft, wie sein Buch Schlesien heißt (eine 1950 bei Claassen in Hamburg herausgebrachte Neuauflage von Schwarzer Adler unterm Silbermond), hat Peuckert der Geschichte und Kultur, der Landschaftund ihren Menschen ein einzigartiges Denkmal gesetzt; die Art der Darstellung ist nicht die einer unbeteiligt-objektiven Reflexion; es sind immer wieder die großen Mächte, „die Antinomien des Daseins“, aus denen geschöpft wird und die als die bewegenden Mächte erkannt und begriffen werden, die nicht nur am Antlitz und am Charakter der Menschen in dieser Landschaft gewirkt haben, sondern eben auch tief in nahezu alle Bereiche des Daseins gedrungen sind. Es ist das Ringen des schlesischen Menschen um Schauen und Gestalt, Gesichte und letzte Forderungen. In zwei Dichtern gewann das für Peuckert Gestalt: in Carl und Gerhart Hauptmann: „Weil die beiden etwas lebten, was einem letzten Fordern des schlesischen Menschen nahegekommen ist … nicht, weil ich ein vollständiges Bild entwerfen wollte, sondern, weil sich nun alles das zusammenschließt, was ,einzeln‘ schien, weil das anscheinend Widersprüchliche nun zu einem Ganzen wird. Denn alles, was Forderung ist und Frage, was Unruhe in den Menschen ist, muß doch zuletzt zu einer Antwort und zu einem Tun gelangen.“ Diesem Thema blieb Peuckert auch in seinen wissenschaftlich-biographischen Darstellungen verhaftet: im Leben Jakob Böhmes (1924) und in den Rosenkreutzern (1928) – Arbeiten, die gegen die kirchlich-verbindliche Gotteserkenntnis gerichtet waren, ein freies Christentum predigten – und schließlich in den glänzenden Büchern Von schwarzer und weißer Magie (1929) und Pansophie (1936), in denen er neue Einsichten in das Irrational-Tiefgründige, das Mystisch-Allumfassende des Volkscharakters formulierte, der sich ihm auch in einem im bäuerlichen Denken verwurzelten Sektierertum ausdrückte (dargestellt etwa in dem Roman Apokalypse 1918). Schon in diesem erzählerischen Frühwerk ist der Einfluß Böhmes unübersehbar.
Letztlich sind die Grundprobleme und die letzten Fragen des Daseins die entscheidenden Impulse für Peuckerts Gesamtschaffen geblieben, wovon seine großen Biographien ein Zeugnis ablegen: Paracelsus (1941), Kopernikus (1943) und Sebastian Franck (1943), die man auch als Bausteine zur Arbeit an der Vorgeschichte der Reformation ansehen darf, die unter dem Titel Die große Wende (1948) erschien. Es folgten 1951 Geheimkulte und 1959 Astrologie.Für weitgehend alle diese bisher kaum recht gewürdigten Werke des schlesischen Volkskundlers kann gelten, was er einleitend zu seinen Rosenkreutzern (Zur Geschichte einer Reformation) ausführte: „Es war nicht Freude am Spüren allein, was mich verlockte … und nicht allein der Wille, zu wissen; es war am meisten ein leises, geheimes, ehrfürchtiges Erschauern vor dem unstillbaren Drange des Menschen, hindurchzusehen, wie Böhme es nannte. Vor ihrer Lust zu Gott.“
Große Verdienste erwarb sich Will-Erich Peuckert auch um Editionen des schlesischen Sagengutes. Es erschienen Schlesische Sagen (1924) und Die Sagen vom Berggeist Rübezahl (1926). Diese fesseln uns durch eine ganz ungewöhnliche Deutung des schlesischen Hausgeistes: „.. als einer armen Seele. Er wird einmal als Geist eines Liegnitzer Schusters, ein andermal als Vampir bezeichnet; er hat, wie jeder Verbannte, sein Gärtchen … und treibt … neckenden Schabernack“. Weiter erschienen Schlesiens deutsche Märchen (1932), Ostdeutsches Sagenbüchlein, Ostdeutsches Märchenbüchlein (beide 1951), Schlesische Kinder- und Hausmärchen (1953) und die Sammlung Europäische Sagen (1961 ff.).
Weitere Werke:Rübezahl-Sagen, 1926. – Schlesische Volkskunde, 1928. – Volkskunde des Proletariats 1,1932. – Deutsches Volkstum in Märchen, Sage, Schwank und Rätsel, 1938. – Das älteste schlesische Walenbuch (zus. mit Boehlich-Jungandreas), 1938. – Schlesien, 1939. – Deutscher Volksglaube des Spätmittelalters, 1942. – Wiedergeburt, 1949. – Peuckert-Lauffer, Volkskunde (Forschungsbericht), 1951. – Weitere Angaben in: Festschrift für Will-Erich Peuckert zum 60. Geburtstag, dargebracht von Freunden und Schülern (Hrsg.: Helmut Dölker), Berlin 1955. – Auf Carl Hauptmann. In: Gerhart Pohl: Unsterblichkeit. Deutsche Denkreden. Berlin 1942. – Schlesisches Volk. In: Wir Schlesien Hrsg.: Karl Turley. Würzburg 41989. – Der schlesische Mensch. In: Merian Schlesien 3/1951.
Lit.: Gerhart Pohl: Buschprediger von Haasel. In: Südöstliche Melodie, Berlin-Stuttgart 1963 (s. auch: Festschrift Will-Erich Peuckert).