Biographie

Blaese, Max von

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen), Posener Land
Beruf: Agronom
* 12. Januar 1860 in Pogranicz/Litauen
† 9. Juli 1944 in Posen

Sowohl als Sohn eines Gardeoffiziers in russischen Diensten, der nach seiner Pensionierung Landwirt geworden war und in Litauen ein Gut besaß, als auch mütterlicherseits schien Max von Blaese viele Voraussetzungen für seinen Beruf zu haben. Seine Mutter entstammte dem kurländischen Geschlecht von Grotthus, auf deren Gut Pogranicz Max von Blaese geboren wurde. Fast könnte der slawischen Bedeutung des Wortes (etwa „nach der Grenze hin“) einen symbolischen Sinn geben, wenn man an die vielfältig Beziehungen zwischen Litauen und Kurland denkt oder an die vielen Völker dieser Grenzgegend – Letten, Litauer, Deutsche, Juden oder Russen -, aber auch an den Gutsbesitz vieler kurländischen Familien in Litauen und die Tätigkeit deutschbaltischer Ärzte, Pastoren oder Handwerker. Auch die Lebensarbeit Blaeses diente grenzüberschreitend allen baltischen Ländern: von Litauen nach Estland im Norden.

Auf den Besuch des Gymnasiums in Libau folgte 1883 bis 1888 ein Studium der Landwirtschaft am Rigaer Polytechnikum, das mit dem Diplom eines Agronomen abgeschlossen wurde. Gewissermaßen als ein Erfahrungspraktikum kann man wohl das auf den Studienabschluß folgende Jahr der Arbeit in der Zentralverwaltung der Güter des Fürsten V. Wassiltschikow in St. Petersburg beizeichnen. Die folgenden Jahre (1889 – 1891) als „Boniteur“ und (1891 -1920) als Obertaxator am Kurländischen Kreditverein in Mitau bildeten dann den beruflichen Rahmen der weitausgreifenden Wirksamkeit Blaeses auf dem landwirtschaftlichen und agrarpolitischen Gebiet in der baltischen Region (um diese heute üblich gewordene räumliche Abgrenzung zu gebrauchen). Stetigkeit und Ziel der Lebensarbeit Max von Blaeses bis ans Ende deutschbaltischer Arbeit im Lande zeigen folgende Stationen: 1922 bis 1936 Leiter der landwirtschaftlichen und chemischen Versuchsstation und Präsident und Geschäftsführer der Kurländischen Ökonomischen Gesellschaft in Mitau. Schon früher war Blaeses Sachkenntnis über Lettland hinaus für den gesamtbaltischen Raum wichtig geworden. Denn 1896 bis 1897 entwarf er die Regeln für Bonitierung der Acker- und Wiesenböden in Livland. 1900 prüfte er die Bonitierungsarbeiten in Estland auf ihre Verwendbarkeit als Basis für eine Grundsteuerreform. Die politischen Ereignisse um die Jahrhundertwende und in den darauffolgenden Jahrzehnten in Rußland hatten Auswirkungen in den Ostseeprovinzen, die auch die Arbeit Blaeses teilweise zu einer politischen machten.

Schon vor 1900 hatte das Erstarken nationalistischer Strömungen in Gestalt einer radikalen Russifizierung auf die baltischen Gebiete gegriffen. Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren die „deutschen Ostseeprovinzen Rußlands im allgemeinen von nationalen Gegensätzen unberührt und die deutsche Vorherrschaft im Verwaltungs-, Gerichts- und Bildungswesen unangetastet geblieben. Die Russifizierungsmaßnahmen, die besonders im Bildungswesen die Wurzel der deutschen Existenz im Lande bedrohten, hatten damals deren zweite Säule, den deutschen Grundbesitz auf dem Lande, nicht angetastet. Der Erste Weltkrieg und die Revolution ließen eine jahrhundertealte Ordnung zusammenbrechen und veränderten die Situation der Völker im baltischen Raum von Grund aus. Das Lebenswerk Max von Blaeses wurde von den Auseinandersetzungen mit diesen Veränderungen entscheidend geprägt.

Wenn nach der ersten russischen Revolution in der Sprachenfrage eine Lockerung eingetreten und ein deutsches Schulwesen wieder möglich geworden war, hatte sie auch einen engeren Zusammenschluß der Deutschen bewirkt. Deutsche Vereine für die Erhaltung des Schulwesens und kulturelle Selbsthilfe entstanden überall in den drei Provinzen, und die Ansiedlung deutscher Bauern (aus dem Inneren Rußlands) wurde erwogen und diskutiert. Die Zugehörigkeit Blaeses zum Vorstand des Deutschen Vereins in Kurland beweist, daß er sich einer Mitarbeit an den Fragen des Allgemeinwohls der Volksgruppe nicht entzog. Nach den radikalen Veränderungen von 1918, dem Zusammenbruch des deutschen und des russischen Kaiserreiches, der Entstehung der selbständigen baltischen Staaten, begann Blaeses entscheidende Arbeit für eine Festigung der Lebensgrundlagen der deutschen Volksgruppe in Lettland. Durch die Enteignung des deutschen Großgrundbesitzes waren jahrhundertealte Lebensverhältnisse aufgelöst worden. Möglichkeiten für einen Neuanfang mußten gefunden werden. Was an Restgütern oder Kleinbetrieben noch bestand, mußte gefördert, neue Möglichkeiten für deutsche Landwirte entwickelt werden. Jetzt erlebte die landwirtschaftliche Sachkenntnis und Erfahrung Blaeses ihre eigentliche Bewährung. Er förderte den Zusammenschluß der deutschen Landwirte in Lettland in jeder Hinsicht. Eine entscheidende Rolle spielte dabei in den zwanziger Jahren die Einrichtung der landwirtschaftlichen Versuchs- und Beratungsringe. Nach ostpreußischem Muster wurden hauptamtliche landwirtschaftliche Berater (in den ersten Jahren waren es Fachkräfte aus Ostpreußen) in den einzelnen Kreisen eingesetzt. Als Präsident der Kurländischen Anteilsgenossenschaft für Immobilienerwerb und Gartenbau in Mitau und als Gründer der Handels-Baumschule „Planta“ versuchte Blaese unter veränderten Verhältnissen neue Lebensmöglichkeiten im landwirtschaftlichen Sektor zu erschließen.

Es war nicht zu vermeiden, daß Blaeses Tätigkeit in dieser Stellung eine Art Gratwanderung zwischen seinem Kampf für die weitere Existenz der deutschen Landwirte und den lettischen Behörden wurde. Es galt, das Mißtrauen der Letten gegen einen zu starken Einfluß des Deutschen Reiches, besonders nach 1933, zu zerstreuen und zugleich die Interessen der einheimischen Deutschen erfolgreich zu vertreten. Hier nun war es seiner Kompetenz, mit der er dem Lande unabhängig von der Nationalität diente und offensichtlich allen seinen Bewohnern nützlich war, zu verdanken, daß sein Wirken bis 1936 dauern konnte. Als nationalsozialistische Tendenzen die Oberhand gewannen, zog er sich zurück. Aus allen diesen Angaben ließe sich, um die Anfangsfrage noch einmal aufzugreifen, vielleicht doch, wenn auch keine Antwort, so doch ein Ergebnis ableiten: Fachliches Wirken muß in einem Lande, in dem verschiedene Nationalitäten nebeneinander wohnen, bei der Beurteilung einer Arbeit Priorität haben und allen zur Verfügung stehen. Max von Blaese strebte eine solche vermittelnde Position an. Nicht nur die baltischen Länder erhoffen sich jetzt nach 50 Jahren einen Wiederaufbau nach diesen Grundsätzen (wenn auch leider noch nicht uneingeschränkt). Aber in wie vielen Teilen der Erde ist man davon noch weit entfernt und erlebt statt dessen Krieg oder Vertreibung.

Lit.: Deutsch-Baltisches Biographisches Lexikon. – M. v. Blaese: Die Landwirtschaft Lettlands. In: Baltische Monatsschrift 61. Jg. (1930), S. 145-160. – Archiv Lackschwitz. Korrespondenzen Blaeses u. geneologische Angaben seines Sohnes.

Bild: Archiv Klas Lackschewitz.

Walter Maurach