Gotthard Speer in Bensberg bei Köln wird am 27. Februar 1985 siebzig Jahre alt. Die musikalische Jugendbewegung, die ihm viele Anregungen und zahlreiche Musizierwochen in Königstein LT., besonders in Altenberg bei Köln, ferner in Wolfenbüttel, Kastel Windsor, Espelkamp u.a. verdankt, hat ihn jung bleiben lassen. Als Anreger und Organisator des Konzertlebens und des Laienmusizierens, dem eines seiner Hauptinteressen gilt, hat der gebürtige Schlesier als Musikpädagoge eine zähe und stete Aufbauarbeit geleistet: In der Gründung des Instituts für Ostdeutsche Musik, das jetzt im Rathaus von Bergisch-Gladbach untergebracht ist, fand Speer den großen und fundierten Rahmen für die Aufgaben schlesischer und ostdeutscher Musikpflege. Dieses Institut ist als Erweiterung des Arbeitskreises für Schlesisches Lied und Schlesische Musik entstanden, der jetzt dreißig Jahre besteht. Auskunft über diesen Arbeitskreis gibt die von Gotthard Speer und seiner Frau herausgegebene Schrift „20 Jahre Arbeitskreis für Schlesisches Lied und Schlesische Musik“ (A. Laumannsche Verlagsbuchhandlung Dülmen/Westf. 1975). Ein Arbeitskreis Nordostdeutsche Musik ist vor einigen Jahren dazugekommen, und ein Arbeitskreis für Südostdeutsche Musik ist im Aufbau begriffen.
Konstruktiv hat Speer überlegt und systematisch die einzelnen Schritte abgestimmt. Ihm ist das seltene Geschick zu eigen, eine straffe Führung mit liberaler Haltung zu verbinden, die es erlaubt, andere Persönlichkeiten aus den unterschiedlichen Bereichen der Musik zum Wohle des Ganzen wirken zu lassen und Teilaufgaben zu delegieren, aber auch Begeisterung und Schwung zu wecken. Seine Erfahrungen und sein Wissen setzt Speer auch als Mitglied verschiedener Kulturgremien, wie etwa des Ostdeutschen Kulturrats und des Schlesischen Kulturwerks, ein. Wesentlichen Einfluß hat Speer auf Kompositionspreisausschreiben, die auf Ostdeutschland Bezug nehmen, sowie auf die Vergabe des Kompositionspreises des Ostdeutschen Kulturrates.
Bei der Erfüllung der von ihm gestellten Aufgaben stieß Speer; bald auf schmerzlich empfundene Lücken: Es galt, Notenmaterial ausreichend zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus in fundamentalen Überlegungen und Beiträgen das schlesische und später auch das übrige ostdeutsche Musikgut in seiner reichhaltigen Fülle und Vielfalt deutlich werden zu lassen. Neben die Sammlung von handschriftlich vorliegenden, besonders auch autographen und ebenso gedruckten Musikalien traten bald eigene Notenausgaben. ,Der schlesische Wanderer‘ (1958), das Gesangbuch ,Unterwegs‘ für die vertriebenen katholischen Schlesier und die ,Chorblattreihe‘ seien hier stellvertretend für das schlesische Liedgut genannt. Mit den Serien ,Neue Kammermusik‘ und ,Alte Kammermusik‘, ,Silesia cantat‘ und schließlich mit den Buchreihen ,Veröffentlichungen des Arbeitskreises für Schlesisches Lied und Schlesische Musik‘, in die wiederum die Dokumentation ‚Zeitgenössische schlesische Komponisten‘ – auch mit autobiographischen Abrissen – aufgenommen wurde, sowie den angelaufenen Veröffentlichungen des Instituts für Ostdeutsche Musik (Heinrich Simbriger, Vom Erbe deutscher Musik aus den Ostgebieten, 1973) wurden die Publikationsvorhaben unter Speers Obhut stetig erweitert. Eine umfassende ‚Anthologie ostdeutscher Musik‘, zunächst in Schallplattenaufnahmen, unterstützt vom Bundesinnenministerium, ist fruchtbar und wirkungsvoll begonnen worden, ihre Erweiterung auf Notendrucke und begleitende Textpublikationen im Sinne dieser Anthologie erscheint möglich. Begleitet wurden diese zahlreichen Verpflichtungen und Aufgaben durch etliche Aufsätze – auch musikgeschichtlicher Art – von Gotthard Speer, der als Herausgeber (zusammen mit Hans-Jürgen Winterhoff) Günter Bialas mit einer Festschrift ehrte (Meilensteine eines Komponistenlebens. Kleine Festschrift zum 70. Geburtstag von Günter Bialas, Bärenreiter Kassel 1977).
In Kuhnern (Krs. Neumarkt) in Schlesien am 27. 2.1915 geboren, studierte er in Berlin-Charlottenburg Schulmusik, war vor dem Militärdienst in Schlesien kurze Zeit als Lehrer tätig. 1947 wurde er Dozent an der Pädagogischen Akademie in Paderborn und später bis zu seiner Emeritierung ordentlicher Professor für Musikerziehung an der Pädagogischen Hochschule von Nordrhein-Westfalen, Abt. Köln. Nicht allein die Schulpädagogik, sondern die musikalische Erwachsenenbildung in ihren vielfältigen Nuancierungen fesseln ihn. Vornehmlich auf dem letzten Gebiet hat er sich große und bleibende Verdienste erworben. Die Wirksamkeit schlesischer Musik in der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich auch in den von Speer initiierten und besorgten Bergisch-Schlesischen Musikfesten. Was wäre die Pflege und Förderung schlesischen und ostdeutschen Musikgutes und Musikschaffens nach dem Zweiten Weltkrieg ohne ihn? Seine Tätigkeit und sein außerordentlicher Einsatz sind ein Beleg für die gegenseitigen Impulse und Verflechtungen ost- und westdeutscher Kultur.