Land um den Altvater
Meiner Heimat Berge tragen
nicht den Glanz von ewigen Firnen,
aber um die grünen Stirnen
rauscht der Wald seit Vätertagen,
wandern Wolken sanft und still.
Drunten, wo die Hütten stehen,
weint das Korn im Sommerwinde,
kommt der liebe Gott auf Zehen
wie zu einem kleinen Kinde,
das er lächelnd trösten will.
Heimat, der ich oft begegnet
in des Alltags Weltenmühle,
tausendmal bin ich gesegnet;
wenn ich deinen Atem fühle,
fühl ich tausendfachen Lohn.
Die um dieses Glück nicht wissen,
laß sie wandern in die Weite:
Herz und Schuh und Rock zerrissen,
geh ich zärtlich dir zur Seite
als dein vielgeliebter Sohn.
Dieses manchen heute altmodisch erscheinende, aber in seiner Innigkeit und Schlichtheitüberzeugende und die Zeit überdauernde Gedicht ist eine Huldigung Bruno Hanns Witteks (in späteren Veröffentlichungen wird Hanns nur mit einem „n“ geschrieben) an die Heimat. Wir erinnern uns noch, wie der schmale, bleiche und zurückhaltende, aber schriftstellerisch und im Umgang mit Menschen äußerst intensive Mann nicht lange vor seinem Tode aus seinen Werken las unter dem Fresko seines Landsmannes, des Malers Paul Gebauer, das dieser für die Troppauer Stadtbücherei als Huldigung an das schlesische Land und insbesondere seinen Bauernsohn Hans Kudlich gemalt hat. Diesem Hans Kudlich ist das wichtigste Buch Witteks, der weithin berühmt gewordene Roman „Sturm überm Acker“ gewidmet. Das Buch erschien 1927, wurde von keinem Geringeren als Josef Hofmiller gerühmt: „Solche Bücher tun uns not, ja, solche Bücher können wir brauchen!!“ Nach einer Neuauflage im zweiten Weltkrieg kam die bisher letzte, auf Neuauflage wartende Ausgabe 1955 in Stuttgart heraus. Ihr wurde ein Essay von Theodor Heuss aus seinem Band „Schattenbeschwörung“ vorangestellt, in dem mit einer Würdigung von Hans Kudlich auch an das in Berlin ausgestellte Bild des schon genannten Paul Gebauer, eine Variante des Freskos, erinnert wurde. In leidenschaftlicher Identifizierung hat Bruno Hanns Wittek den Bauernbefreier und mit ihm die Zeit um 1848 und vor allem auch die schlesische Heimat und das Wien des 19. Jahrhunderts dargestellt. Die New York Herald und Staatszeitung hob den Kudlich-Roman nachdrücklich in einer Würdigung hervor, als Schicksalsroman der deutschen Bauernbefreiung und Dokument deutschen Lebenswillens, zugleich daran erinnernd, daß Kudlich ja seine späteren Lebensjahrzehnte in New York verbracht hat. Unweit von Kudlichs Heimat und letzter Ruhestätte ist übrigens auch auf dem Burgberg bei Jägerndorf eine, leider heute nicht mehr erhaltene Gedenkstätte geschaffen worden, die neben den Granitportraits des sudetenschlesischen Komponisten Engelsberg und des Mundartdichters und Volksschriftstellers Viktor Heeger auch Bruno Hanns Wittek zeigte.
Wittek wurde in der Deutschordensstadt Freudenthal als Lehrersohn geboren, studierte an der Oberrealschule in derTuchmacherstadt Jägerndorf, war landwirtschaftlicher Praktikant bei der fürstlich liechtensteinischen Güterdirektion und
ging nach Germanistikstudium in Wien und Kriegsdienst zurück in seine Heimat, wo er als Feuilletonschriftleiter der Tageszeitung „Deutsche Post“ in Troppau vor allem auch Schauspielkritiker am Stadttheater war, das übrigens auch sein Drama „Professor Sämlein“ uraufgeführt hat.
Keines seiner Werke hat die Bedeutung und in hohen Auflagen die Volkstümlichkeit des Kudlich-Romans erreicht, doch verdiente manches seiner Bücher eine Wiederauflage. Hervorgehoben seien die Gedichtbände „Seele im Licht“ und
„Schatzhauser“, der Roman aus der Schwedenzeit „Peter Leutrecht“, das Lebensbild aus einem schlesischen Dorf, „Frau Minne“, das Schicksalsportrait eines Spätheimkehrers des Ersten Weltkrieges, „Die Heimkehr des Andreas Loschner“ und frühe Hörspiele, so „In Ewigkeit Amen“ und „Beethoven in Grätz“.
Leider ist der Roman „Der Narr im Rokoko“ nicht vollendet. Doch wäre der Druck der Bruchstücke anzuregen, wird doch aus ihnen eine Zeit lebendig, die für die Landschaft unter dem Altvater und an der preußischen Grenze (im Hotzenplotzer
Zwickel) symptomatisch ist. Im Mittelpunkt steht der genialische Graf Hoditz auf Schloß Roßwald, einem Musensitz, mit exzentrischen Neigungen, der zu seinem Lebensabend von seinem Freund, Friedrich dem Großen, nach Potsdam geholt
wurde und als königlicher Pensionär existieren konnte. Es ist dieses Lebensbild eine gewisse Parallele zu dem des Barockgrafen Sporck in Kukus unter dem Riesengebirge.
Als der Zeppelin seine erste Amerikafahrt machte, wurde der Roman „Sturm überm Acker“, in dem so viele deutsch-amerikanische Gemeinschaft enthalten ist, mit hinübergenommen. Aber heute hat dieses Werk, abgesehen von seinen schriftstellerischen Qualitäten, große Aktualität, geht es doch um Freiheitskampf und Behauptung des Individuums in einer reglementierten Welt.
Werke: G.: Seele im Licht (1922); Schatzhauser (1933). Sch.: Professor Sämlein (Einakter). E.: Romantischer Garten (schles. Erz.; 1925); Frau Minne (R.; 1920); Peter Leutrecht (histor. R. – Schwedenzeit –; 1930); Sturm überm Acker (Hans-Kudlich-R.; 1927; Neuauflage mit einem Vorwort von Theodor Heuss, 1955); Die Heimkehr des Andreas Loschner (R. der Heimkehr eines Kriegsgefangenen); Der Narr im Rokoko (Romanfragment über das Abenteuerleben des Grafen Albert von Hoditz auf Roßwald). Sonstige Schriften: Hörspiele.
Abb.: Ölgemälde von Paul Gebauer (Ausschnitt)