In Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum in Gleiwitz / Muzeum w Gliwicach und dem Haus der Erinnerung an die Juden Oberschlesiens / Dom Pamięci Żydów Górnośląskich (Filiale des Stadtmuseums) veranstaltete die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung im September 2024 in Gleiwitz eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema „Deutsch-jüdisches Architekturerbe in Ostmitteleuropa unter besonderer Berücksichtigung Schlesiens“.
Die Fachtagung stand konzeptionell in einer Reihe mit vorangegangenen Tagungen zu wenig bekannten Aspekten der deutschen Architektur- und Kunstgeschichte und, im breiteren Sinne, zu wenig erforschten und bekannten Seiten des deutschen Kulturerbes im östlichen Europa.
Während sich die bisherige Forschung in diesem Bereich vor allem auf die jüdische Sakralarchitektur, und insbesondere auf den Synagogenbau konzentrierte, der einen wichtigen Schwerpunkt der Tagung bildete, befasste sich die Konferenz in größerem Umfang mit der jüdischen Friedhofsarchitektur und Sepulkralkultur und den weltlichen Bauwerken. Im Tagungsort Gleiwitz/Gliwice ließen sich diese beiden letzteren, bisher weniger bekannten Aspekte der Kultur- und Architekturgeschichte der jüdischen Deutschen in Ostmitteleuropa gut exemplarisch nachvollziehen und veranschaulichen. So hat das Gleiwitzer Stadtmuseum seinen Sitz in einer großzügigen Stadtvilla aus dem späten 19. Jahrhundert, die von einer bekannten deutsch-jüdischen Industriellenfamilie erbaut wurde. Im Zentrum von Gleiwitz befindet sich ein modernistisches Kaufhaus aus den 1920er Jahren, das von Erich Mendelsohn (geb. 1887 im ostpreußischen Allenstein/Olsztyn), einem der berühmtesten Architekten des 20. Jahrhunderts, entworfen wurde. In unweit von Gleiwitz gelegenen Wiegschütz/Większyce steht ein prächtiges Schloss aus der Epoche des Historismus, erbaut von einer deutsch-jüdischen Bankiersfamilie aus Breslau.
Allein diese wenigen Beispiele zeigen, dass sich das architektonische Erbe der jüdischen Deutschen in Ostmitteleuropa (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) nicht auf die Sakralarchitektur beschränkt. Gleiwitz ist außerdem ein hervorragender Standort, um sich mit der jüdischen Friedhofsarchitektur und Sepulkralkultur zu beschäftigen. Die Eröffnung der Konferenz und das wissenschaftliche Symposium am Folgetag fanden in der ehemaligen Begräbnishalle der jüdischen Gemeinde, dem heutigen Haus der Erinnerung an die Juden Oberschlesiens, statt. Das Gebäude, ein Werk des Wiener Architekten Max Fleischer aus dem Jahr 1903, ist ein großartiges Beispiel für die jüdische Friedhofsarchitektur an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, das, besonders erwähnenswert, 2012-2016 ausschließlich aus den Stadtmitteln exzellent renoviert wurde. Außerdem befinden sich in Gleiwitz zwei gut erhaltene, große jüdische Friedhöfe, ein altes und ein neues, die die Entwicklung der jüdischen Sepulkralkultur im 19.-20. Jahrundert ausdrucksvoll veranschaulichen und dokumentieren.
Auf die Eröffnung der Konferenz am 18. Sept., bei der u. a. ein Grußwort des deutschen Generalkonsuls aus Breslau, Herrn Martin Kremer, verlesen wurde, und neben den beiden Partnerinstitutionen in Personen von Frau Karolina Jakowenko und Herrn Thomas Konhäuser, Herr Martin Lippa, der Vorsitzende der deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Schlesien das Wort ergriff, folgte die Besichtigung der Dauerausstellung im Haus der Erinnerung an die Juden Oberschlesiens.
Am 19. Sept. fand ein ganztägiges wissenschaftliches Symposium zu verschiedenen Aspekten des architektonischen Erbes der jüdischen Deutschen in Ostmitteleuropa, verbunden mit der Besichtigung des neuen jüdischen Friedhofs in Gleiwitz statt.
Neue Synagoge in Breslau/Wroclaw – Baugeschichte und virtuelle Rekonstruktion – Karolina Jara M.A.
Revitalisierung von Synagogen in Tschechien und der Slowakei – Arne Franke M.A., Denkmalpfleger
Geschichte der jüdischen Gemeinde in Gleiwitz, ihrer beiden Synagogen und der Begräbnishalle
Führung durch den neuen jüdischen Friedhof in Gleiwitz + Vortrag Dr. Slawomir Pastuszka
Am 20. Sept. begaben sich die Konferenzteilenehmer auf eine ganztägige Studienreise in den westlichen Teil Oberschlesiens, bei der jüdische Synagogen, Friedhöfe und profane Objekte in Neustadt/Prudnik, Zülz/Biała, Oberglogau/Głogówek, Wiegschütz/Większyce, Dembowa/Dębowa und Langendorf/Wielowieś besichtigt wurden (die Besichtigung der Synagoge in Jägerndorf/Krnov in Tschechien musste leider wegen der schlimmen Folgen der Flutkatstrophe am 15.9. entfallen). Den Schlussakkord der Konferenz bildete am 21. Sept. ein Spaziergang auf jüdischen Spuren durch Gleiwitz, bei dem u.a. der alte jüdische Friedhof und profane Architekturdenkmäler in Augenschein genommen wurden.
Interview mit Schriftsteller Piotr Fuglewicz zur Synagoge in Langendorf/Wielowies
Interview mit Tomasz Kandziora, Bürgermeister in Reinschdorf/Renska Wies über den Jüdischen Friedhof
An der Tagung nahmen neben polnischen und deutschen Wissenschaftlern Vertreter von bedeutenden polnischen Kulturinstitutionen, insbesondere Museumsleiter und -mitarbeiter und NGO-Vertreter aus Warschau und Oberschlesien, sowie Vertreter der deutschen Minderheit und deren Kultureinrichtungen (Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit Gleiwitz/Oppeln/Opole und Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen Minderheit in Polen mit Sitz in Oppeln) teil.
Die Konferenz rückte das deutsch-jüdische kulturelle Erbe in Ostmitteleuropa – unter besonderer Berücksichtigung von Schlesien – im Geiste der Völkerverständigung in einem vereinten Europa in das Blickfeld der Öffentlichkeit und leistete damit einen Beitrag dazu, dieses wichtige, völkerverbindende Erbe zu schützen und zu bewahren.