Gastbeitrag anlässlich des 125. Gründungsjubiläums des Deutschen Fußballclubs Prag
Die Studenten waren weg. Abgereist. Sie hatten es vorgezogen, die Feiertage in ihren Heimatorten zu verbringen. So war der Fußballmannschaft von Loučeň (Lautschin) der Gegner abhanden gekommen. Am Schloss der mittelböhmischen Kleinstadt hatte ein junger Spross der Familie Thurn & Taxis, inspiriert durch einen Aufenthalt in England, aus Gärtnern und anderen Bediensteten ein Fußballteam begründet. Man schrieb das Jahr 1893 und der Fußball steckte in den böhmischen Ländern noch in den Kinderschuhen. Es gab nur wenige Mannschaften, geschweige denn Klubs. Wer also sollte die Studenten ersetzen, die sich mit den Schlossgärtnern messen sollten?
Letztlich kam man auf die Ruderer des Deutschen Eis- und Ruder-Clubs Regatta Prag. Das Aufeinandertreffen gilt bis heute als das erste Fußballspiel in den böhmischen Ländern. Es setzte aber vor allem den Startpunkt für einen der erfolgreichsten Klubs in Kontinentaleuropa. Drei Jahre später, am 28. Mai 1896, gründeten die kickenden Ruderer einen eigenen Fußballverein, den Deutschen Fußballclub Prag. Auch wenn der Fußballsport noch längst nicht so beliebt war und vor allem keinesfalls unumstritten, war der DFC tief verwurzelt im jüdischen deutschsprachigen Milieu Prags. Zu seinen Funktionären und Mitgliedern zählten wichtige Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens.
Der DFC war vor allem aber auch Ausdruck eines deutsch-jüdischen Nationalbewusstseins. Aus diesem Grund suchte der Klub Anschluss an die Fußballbewegung in Deutschland. 1900 beteiligte er sich an der Gründung des Deutschen Fußballbunds und stellte mit Ferdinand Hueppe den ersten Präsidenten des Verbandes. An der ersten Deutschen Meisterschaft im Jahr 1903 beteiligte sich der DFC auch.
Da man sich mit dem Karlsruher FV nicht auf einen Austragungsort für die Durchführung des Viertelfinalspiels einigen konnte, wurde diese Partie zu einem Halbfinale erhoben. Zu diesem reisten die Karlsruher aber nicht an, da ihnen ein ominöses Telegramm die Absage des Spieles verkündet hatte. Aus diesem Grunde zog der DFC kampflos in das in Hamburg-Altona ausgetragene Finale ein. Hier unterlag man deutlich dem VfB Leipzig mit 2:7. Ab 1904 durfte man nach einer Regeländerung durch die FIFA nicht mehr an der Deutschen Meisterschaft teilnehmen. Der Klub spielte nun heimische Wettbewerbe und unternahm vor allem Spielereisen ins Ausland. Diese begründeten den Ruf eines der besten Klubs in Kontinentaleuropa.
Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte der DFC zu den stärksten Klubs der Tschechoslowakei. Verschiedentlich stellte er Spieler für die tschechoslowakische Nationalmannschaft. Weiterhin unternahm der Klub Tourneen durch andere Länder und maß sich mit hochkarätigen Teams. Oft kamen aber auch Mannschaften nach Prag und spielten auf dem Platz des DFC, der sich auf der Prager Letná-Ebene befand und direkt neben der Spielstätte von Slavia Prag lag. Der Fußballklub Sparta Prag war auf der anderen Straßenseite beheimatet.
Die Spiele gegen renommierte Teams sollten vor allem den Profikader finanzieren. Bei den eigenen Fans traf das nicht immer auf Verständnis. Zunehmend wurde kritisiert, dass das Profi-Team mit den Stars kaum in Prag zu sehen sei und stattdessen nur noch im Ausland spiele. Der Spielbetrieb wurde für den DFC zunehmend zu einem finanziellen Balanceakt. In der Prager Fußballwelt hing dem Klub der Beiname „DFC – Defizit“ an. 1927 letztlich meldete der Klub seine Profimannschaft ab und spielte nur noch im Amateurbereich. Die wirklich großen Zeiten des Klubs schienen vorbei, wenngleich in den 1930er Jahren noch zweimal die tschechoslowakische Amateurmeisterschaft gewonnen werden konnte.
In den 1930er Jahren änderte sich die politische Landschaft in der deutschen Minderheit der Tschechoslowakei sehr deutlich. Die 1933 gegründete Sudetendeutsche Heimatfront hatte unter der Bezeichnung Sudetendeutsche Partei einen großen Sieg bei den Parlamentswahlen von 1935 errungen. Mit ihrer Nähe zum reichsdeutschen Nationalsozialismus gelang es ihr, große Gruppen der Sudetendeutschen zu gewinnen. Dies führte unter anderem dazu, dass der DFC als Verein der deutschsprachigen Juden zusehends in Isolation geriet bzw. darauf angewiesen war, vermehrt gegen tschechische Klubs zu spielen. Als die Sudetendeutsche Partei im September 1938 bürgerkriegsähnliche Unruhen losbrach, stellte der DFC seinen Spielbetrieb ein und löste sich später auch auf. Durch die Protektoratsbehörden wurde der Klub dann später offiziell eingestellt.
Die zahlreichen jüdischen Mitglieder des DFC wurden in den nächsten Jahren durch die Nationalsozialisten verfolgt und der Klub hatte einige Opfer des Holocausts zu beklagen. Einigen wenigen gelang die Flucht. Samuel Schillinger, auch er tschechoslowakischer Nationalspieler, wurde zunächst mit seiner Familie auf Kuba abgewiesen, konnte dann aber seine Ausreise nach Südamerika organisieren, von wo aus er später in die USA ging. Der langjährige DFC-Kapitän Paul Mahrer wurde von den Nazis über Monate inhaftiert und dann nach Theresienstadt deportiert, wo er in der so genannten „Ghetto-Liga“ spielte. Er überlebte den Krieg und ging in die USA.
Nach 1945 konnte der Klub aufgrund des Holocausts und der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nicht wieder entstehen. In den folgenden Jahrzehnten geriet der Vizemeister Deutschlands des Jahres 1903 zusehends in Vergessenheit. Erst in den letzten Jahren ist das Interesse an der Gesellschafts- und Sportgeschichte in den böhmischen Ländern deutlich gestiegen. Der DFC wurde ein wenig wiederentdeckt.
Anstoß zur Neugründung des DFC gab 2014 die deutsche Initiative 1903, die seit Jahren durch verschiedene Veranstaltungen an die Meisterschaft von 1903 erinnert. 2015 sollte die Teilnahme des DFC im Vordergrund stehen. Geplant war ein Freundschaftsspiel zwischen der Initiative und dem DFC. Zu diesem Zweck wurde ein Team zusammengestellt, das das erste Spiel des Klubs seit 77 Jahren bestritt. Dies war der Neuanfang. Nun fanden sich Interessierte, die den Klub letztlich 2016 erneuerten. Der DFC ist heute ein eingetragener Verein, Mitglied im Tschechischen Fußballverband und betreibt vor allem Jugendfußball.
Der heutige DFC trägt einen großen Namen und tut dies ganz bewusst. Er will natürlich vor allem ein Fußballverein sein, der Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unterschiedlicher Nationalität eine fußballerische Heimat bieten will. Er will aber auch bewusst an den großen alten DFC erinnern, einen der größten Klubs Kontinentaleuropas.
- Thomas Oellermann