Backsteingotik der Ostsee im barocken Bayern

Begleitveranstaltung zur Ausstellung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen
im Deutschordensschloss Ellingen

 

Hans-Günther Parplies, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung
Hans-Günther Parplies, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung

„Es gibt keinen ‚schicklicheren‘ Ort in Bayern für die Backsteingotik als bei den Ostpreußen im Deutschordensschloss Ellingen!“ Mit dieser, Worte des Weltweisen Immanuel Kant aufnehmenden Reverenz an den Ausstellungsort und seinen rührigen Direktor Wolfgang Freyberg grüßte Hans-Günther Parplies, der Vorstandsvorsitzende der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, am 24. Juli 2015 die Teilnehmer der Begleitveranstaltung zur Ausstellung „Backsteinarchitektur im Ostseeraum – Neue Perspektiven der Forschung“, welche von Anfang Juni bis Ende August im Kulturzentrum Ostpreußen im bayerischen bzw. fränkischen Ellingen zu sehen ist.

Deutschordensschloss Ellingen
Deutschordensschloss Ellingen, 2015

Und in der Tat: Ostpreußen, das ehemalige Deutschordensland Preußen, kann mit seinen herausragenden sakralen wie profanen Backsteinbauten als ein Kernland der in der Ausstellung präsentierten, den gesamten südlichen Ostseeraum prägenden mittelalterlichen Architekturform gelten. Das barocke Ellinger Deutschordensschloss ist nach der Stralsunder St. Marienkirche die zweite Station der Ausstellung, mit der die Kulturstiftung in verschiedenen Regionen Deutschlands und – in ihrer polnischen Version ab dem kommenden Jahr auch in Polen – präsent sein will, nicht zuletzt in Ostpreußen selbst.

Landrat a.D. Christian Knauer
Landrat a.D. Christian Knauer

Von einer Reise in das nördliche Ostpreußen, das Königsberger Gebiet im vergangenen Jahr berichtete in seinem Grußwort der Vorsitzende des Landesverbands Bayern und Vizepräsident des BdV Landrat a.D. Christian Knauer. Es sei erschütternd, dass dort von den einst prächtigen Backsteinbauten kaum noch etwas erhalten geblieben sei. Als umso wichtiger bewertete er es, mit Ausstellungen wie dieser an die deutschen Leistungen im Osten zu erinnern, den von gleicher Handschrift geprägten, von Lübeck bis nach Schlesien und ins Baltikum reichenden Kulturraum vor Augen zu führen. Die deutschen Heimatvertriebenen, die gegen das Vergessen kämpften, dass Ostpreußen, Pommern, Schlesien ebenso zu Deutschland gehört haben wie Bayern oder Baden-Württemberg, seien der Kulturstiftung, die diesen Kampf unterstütze, zu Dank verpflichtet.

Prof. Dr. Matthias Müller
Prof. Dr. Matthias Müller

Auch Prof. Dr. Matthias Müller, Lehrstuhlinhaber am Institut für Kunstgeschichte der Mainzer Universität, neben Prof. Dr. Christofer Herrmann, Danzig, wissenschaftlicher Leiter der Ausstellung, betonte den Wert des Erinnerns an diese Kulturleistungen. Er bezog sich auf die Erfahrung mit dem Ausstellungsprojekt, mit dem deutsche, polnische und skandinavische Kunsthistoriker und Bauforscher die aktuellen Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit vorstellen. In Polen beginne eine junge Generation, die deutsche Geschichte zu entdecken und sich mit ihr auseinanderzusetzen, teilweise sogar zu identifizieren. Es sei schon Ironie der Geschichte: Während junge Polen die deutsche Geschichte der Orte, an denen sie leben, erforschen, wird sie von den von dort stammenden jungen Deutschen mehr und mehr vergessen.

In seiner Einführung in die Ausstellungsthematik hob Prof. Müller hervor, dass die Backsteinarchitektur trotz ihrer augenfälligen Dominanz und spezifischen Ausprägung kein exklusives Merkmal des Ostseeraums darstelle. So können auch Bayern, Oberitalien oder Südfrankreich als Backsteinregionen des Mittelalters gelten. Backstein ist eben ein europäisches Baumaterial von der Antike bis zur Gegenwart, auch wenn die Tradition seiner Verwendung nördlich der Alpen bis um 1200 abgerissen war.

Die Ausstellung zeigt, so Prof. Müller, dass die Verwendung des Backsteins in Nord- und Ostdeutschland keineswegs selbstverständlich ist. Als natürliches Baumaterial findet sich hier Feldstein, und zwar in großen Mengen. Nach den ersten Holzkirchen wurden dort ab dem des 12. Jahrhundert Kirchen aus Feldstein erbaut, die man verputzte und weiß anstrich, oft mit roten Kanten verzierte, so dass sie, anderes als die wenigen erhaltenen Exemplare vermuten lassen, ursprünglich ein eher heiteres Bild boten.

Ruine des Klosters Eldena bei Greifswald
Ruine des Klosters Eldena bei Greifswald, 2013

Zeichnete sich so die heutige Backsteinregion ursprünglich als durch den Feldstein geprägt aus, so wurde dieser doch allmählich aufgegeben. Es war eben schwierig, durch Verfugung der unregelmäßig geformten Steine einen dauerhaften Mauerverband zu erhalten, so dass man ständig zu Ausbesserungsarbeiten genötigt war. Vor allem Zisterzienserklöster im dänischen Raum entdeckten die alte Technik des Backsteinbaus neu. Mit Backsteinen ließ sich ein haltbarer Mauerwerksverband erzielen, ihre Herstellung konnte in großen Brennöfen in fast industrieller Serienproduktion erfolgen. Backstein ist gleichwohl ein kompliziertes Material hinsichtlich Herstellung und Verarbeitung, doch gelang es den findigen Mönchen, etwa im Prozess der Errichtung von Kloster Eldena bei Greifswald, die Brenn- und Bautechnik immer weiter zu perfektionieren.

Wurde das Material zunächst exklusiv für große Kloster- und Bischofskirchen sowie für landesherrliche Burgen eingesetzt, so begann es im 13. Jahrhundert, auch beim Bau kleinerer Dorfkirchen populär zu werden, wobei man oft untere Feldsteinteile mit Backstein aufmauerte und so Kombinationen von Feldstein- und Backsteinkirchen schuf. Hier, wie auch bei reinen Backsteinbauten, wurde das Material nicht nur pur gezeigt, sondern oft mit Schlämmen versehen und farbig gefasst, der Backstein also retuschiert, bisweilen sein Rotton intensiviert oder es wurden mit schwarz oder farbig gebrannten Steinen Akzente gesetzt.

Stralsund, St. Nikolai und Rathaus
Stralsund, St. Nikolai und Rathaus, 2014

Im Laufe des späteren Mittelalters zogen Rat und Bürgerschaft der reich gewordenen Hansestädte vermehrt landesherrliche Rechte an sich, womit vermehrt auch repräsentative Bauaufgaben auf sie übergingen. Das Rathaus wurden zu einem kleinen Palast, durchaus vergleichbar dem italienischen „palazzo communale“. In Lübeck und Stralsund ist bis heute besonders markant zu beobachten, dass man Rathaus und Kirche zeremoniell und architektonisch verband: Politik, Religion und Kunst erscheinen so als miteinander verschränkt.

Dass wir die Backsteinbauten heute noch erleben können, ist maßgeblich Karl Friedrich Schinkel zu verdanken, der in den 1820er Jahren im Auftrag des preußischen Königs als oberster Bauverwalter für die Restaurierung der norddeutschen Kirchen sorgte, ein Programm für die preußische Denkmalpflege entwickelte. Die Bauten galten ihm als Denkmäler der vaterländischen Geschichte, die man durch den Anblick memorieren könne – eine Geschichte, die nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon 1813/15 aktiviert werden sollte.

Hans-Günther Parplies, Brigitte Parplies, Prof. Dr. Matthias Müller, Christian Knauer, Dr. Ernst Gierlich
Hans-Günther Parplies, Brigitte Parplies, Prof. Dr. Matthias Müller, Christian Knauer, Dr. Ernst Gierlich

Höhepunkt der Begleitveranstaltung, zu der sich trotz der großen Hitze eine stattliche Anzahl von Interessierten im Kulturzentrum Ostpreußen eingefunden hatte, war nach diesen einleitenden Bemerkungen und der gemeinsamen Besichtigung der Fachvortrag von Prof. Müller, der den Blick auf die Bedeutung der mittelalterlichen Backsteinarchitektur für die Architektur der Neuzeit lenkte. Er galt dem Maler Caspar David Friedrich als „Erfinder“ der deutschen Neugotik im 19. Jahrhundert, als Anreger der dann später von Baumeistern wie Karl Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler geschaffenen Architektur.

Caspar David Friedrich, Abtei im Eichwald
Caspar David Friedrich,
Abtei im Eichwald

Mit den Gemälden „Abtei im Eichwald“ von 1809/10, das die in überhöhter Weise wiedergegebene Ruine von Kloster Eldena in eine symbolgeladene Landschaft versetzt, und „Winterlandschaft mit Kirche“ von 1811, in dem hinter einer Fichtengruppe eine überschlanke gotische Dreiturmanlage, wie sie in der gebauten Realität ohne Vorbild war, aufscheint, schuf Friedrich surreale, programmatische Bilder: Die Gemälde sind der Versuch, die Natur in ganz neuartiger Weise als Zeuge der Wirkung des Schöpfergottes im Bild zu fassen.

Caspar David Friedrich, Winterlandschaft mit Kirche
Caspar David Friedrich,
Winterlandschaft mit Kirche

Die Naturformen werden dabei mit Architekturformen, insbesondere mit Kirchen, verglichen, so dass die Architektur als Reflex der Natur erscheint. Friedrichs Vorstellungen von einem erneuerten, unter demokratischen Vorzeichen vereinigten Deutschland, von einer reformierten und geeinten deutschnationalen Kirche werden hier zum Ausdruck gebracht. In seinen Phantasiebildern von 1818, „Gartenlaube“ und „Kathedrale“, führte Friedrich dies weiter, erschienen hochaufragende, durchlichtete Kirchen als Vision einer neudeutschen Zukunft.

Karl Friedrich Schinkel, Entwurf für einen Berliner Dom
Karl Friedrich Schinkel, Entwurf für einen Berliner Dom

Baumeister Karl Friedrich Schinkel probierte die von Friedrich vorgegebene visionäre Architektur in seinem eigenen Gemälde „Gotischer Dom am Wasser“ 1813/14 aus. 1817 ergriff er dann im Restaurierungsprojekt der Stralsunder Marienkirche die Gelegenheit, das, was er in Friedrichs Bildern gesehen hatte, in der Realität umzusetzen, indem er dem Innenraum durch Stuck und weiße Farbe einen völlig neuen Charakter verlieh, die wuchtigen Formen leicht und filigran erscheinen ließ. Schinkels im Jahre 1819 angefertigter, jedoch nicht ausgeführter Plan für den an die Befreiungskriege erinnernden Berliner Dom bot eine ähnlich entmaterialisierte Architektur. Im seinem Programm glich Schinkel dabei Friedrich: Die Architektur war auch für ihn Sinnbild für ein zu schaffendes erneuertes, demokratisches Deutschland.

Caspar David Friedrich, Brennendes Neubrandenburg
Caspar David Friedrich, Brennendes Neubrandenburg

Zu einer Realisierung der von Friedrich entwickelten architektonischen Visionen der 1810er Jahre kam es aber erst in den neugotischen Bauten Schinkels und Friedrich August Stülers in den 1830er/40er Jahren. Das dahinter stehende Glaubensbekenntnis und die politische Idee sah Friedrich damals aber bereits als gescheitert an: Sein Gemälde „Brennendes Neubrandenburg“ von 1833/37 zeigt eine reale Backsteinstadt im fiktiven Feuersturm als Symbol der Enttäuschung über die Wiederherstellung des alten Fürstenbundes und der ausgebliebenen Einigung der Kirchen.

ellingen10Ungewöhnliches zur Backsteinarchitektur wurde somit den gespannten Zuhörern geboten. Nachzulesen sind die vorgestellten und weitere Aspekte der weit über das Mittelalter bis in die Gegenwart hinaus weisenden Backsteinarchitektur des Ostseeraums in der begleitenden Broschüre und vor allem im von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen herausgegebenen Ausstellungskatalog, in dem der gegenwärtige Forschungsstand gespiegelt, fast alle Themen, kunsthistorische und technologische, abgehandelt werden.

Wolfgang Freyberg, Direktor des Kulturzentrums Ostpreußen
Wolfgang Freyberg, Direktor des Kulturzentrums Ostpreußen

 

 

Ein Besuch der Ausstellung – sei es im auch darüber hinaus höchst sehenswerten Kulturzentrum Ostpreußen bzw. im Deutschordensschloss Ellingen oder an ihren weiteren Stationen – und/oder der Erwerb von Broschüre oder Katalog lohnen sich also.