Die deutsch-baltische Konferenz „Europe shall hear you!“ in Tallinn hat jungen europäischen Stimmen ein Forum gegeben. Entstanden sind vier Grundsatzpapiere, an denen über zwei Jahre lang gearbeitet wurde. Außerdem wurde der Grundstein zu einer Plattform für deutsch-baltischen Jugendaustausch gelegt. Die internationale Konferenz ist bereits die dritte ihrer Art, die das DBJW (Deutsch-Baltisches Jugendwerk) organisiert hat.
Auf der Konferenz in Tallinn vom 15. bis 17. Oktober 2021 fanden mehrere Themen, Fragestellungen und Formate nebeneinander Platz. Vier international zusammengesetzte Arbeitsgruppen erstellten Grundsatzpapiere zu wichtigen europäischen Zukunftsfragen wie: „United or divided – is there a way between individualism and collectivism?“ (Gemeinsam oder getrennt – Gibt es einen Weg zwischen Individualismus und Kollektivismus?) oder „Cure or design – what kind of genetic engineering do we want?“ (Heilung oder Design – Welche Art genetischer Eingriffe wollen wir?). Wichtige Vorarbeit zu diesen Papieren hatten schon die ebenso internationalen Arbeitsgruppen auf einer DBJW-Konferenz in Vilnius 2020 geleistet. Nun sind die Ergebnisse da. Die Grundsatzpapiere sollen in Zukunft an europäische Entscheidungsträger weitergeleitet und mit ihnen diskutiert werden. Die Arbeitsgruppen, in denen die Papiere entstanden sind, engagieren sich außerdem bei der „Konferenz zur Zukunft Europas“, und zwar in folgenden Bereichen (Beiträge in englischer Sprache):
- Der Einfluss von Lobbyismus auf Politik
- Probleme in der Kommunikation zwischen Jugendlichen und Politikern
- Die Rolle der Schiffsindustrie im Kampf gegen Umweltverschmutzung in der Ostsee
- Wer soll meine Daten besitzen?
- Welche genetischen Eingriffe wollen wir?
Die Konferenz wurde durch zwei Vorträge bereichert. „Ist es nicht merkwürdig, dass die EU es nur in einem einzigen Fall geschafft hat, ein digitales Angebot zu schaffen, das in allen Mitgliedsstaaten angewendet werden kann?“, fragte Andres Sutt, Schirmherr der Konferenz und estnischer Minister für Außenhandel und Informationstechnologie. Gemeint war das Covid-19 Impfzertifikat. „Wie ambitioniert wollen wir als Europäer sein?“, fragte Sutt in seiner Rede weiter, mit der die Konferenz eröffnet wurde.
Ein weiteres Impulsreferat warf Fragen nach der Sicherheit in der digitalen Welt auf. Sebastian Cymutta vom NATO Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence in Tallinn referierte zu den Herausforderungen, vor denen liberale Demokratien stehen, wenn es um Cyber-Angriffe auf wichtige Infrastruktur, hybride Kriegsführung oder die Verbreitung von Fake News geht. „Unsere einzigartige Institution, zu der Dutzende Staaten beitragen, setzt sich dafür ein, diese Risiken zu erkennen und erfolgreich abzuwehren“, so Cymutta.
Die Grundsatzreferate und die Beratung durch Wissenschaftler und Experten aus Lettland und Estland halfen den jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz dabei, Antworten auf manche Fragen zu finden: Aus den Grundsatzpapieren der etwa 30 Jugendbotschafterinnen und Jugendbotschafter ergeben sich viele Forderungen: mehr politische Bildung an den Schulen, mehr Transparenz beim Thema Lobbyismus, Teilhabe aller an den Entwicklungen der digitalen Gesellschaft. Ein weiterer Schwerpunkt war die Frage, wie die Menschenwürde gewahrt werden kann, angesichts von Entwicklungen, die immer mehr Eingriffe in das menschliche Erbgut möglich machen.
Trotz ihres Engagements ist den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bewusst, dass sie vor allem Grundlagenarbeit leisten. „Wir sollten nicht so naiv sein zu glauben, dass unsere Arbeit einen ganz direkten Einfluss auf den Gang der Dinge haben wird“, sagte dazu Mathis Sieblist, einer der Jugendbotschafter. Die Arbeit der jungen Europäer ist vielmehr ein Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte.
Antworten gab die Konferenz auch auf die Frage, wie der deutsch-baltische Jugendaustausch intensiviert werden kann. Das erste Live-Treffen des German-Baltic Youth-Exchange Network (GBYEN) brachte Vertreter von Institutionen aus Litauen, Lettland, Estland und Deutschland zusammen. Mehr als 20 Institutionen beteiligten sich daran, von der Deutschen Kulturvereinigung aus der lettischen Stadt Ventspils bis zum „Jungen Rat“ aus Kiel. Das GBYEN ist eine Plattform, auf der Organisationen, die Projekte planen, Partner finden können, um ihre Ideen gemeinsam umzusetzen. „Als wir die Netzwerktagung des GBYEN planten, haben wir uns schon gedacht, dass es eine tolle und interessante Veranstaltung wird. Das gute Feedback und die durchweg positive Reaktion auf Pläne für weitere Veranstaltungen bestärken uns. Ich freue mich auf die kommenden Wochen, in denen wir unsere Ideen vertiefen“, sagte dazu die Koordinatorin des Netzwerktreffens, Frederike Wende. Jetzt soll zunächst die Internetseite des GBYEN zu einer Informationsbörse ausgebaut werden.
Das Fazit der Organisatoren: Die Konferenz als Forum für junge Europäer im Alter zwischen 16 und 30 Jahren war ein Erfolg. Viele Ideen, die das DBJW in Zukunft aufgreifen möchte, wurden während der Konferenz geboren. So bildete sich unter anderem ein spontaner Arbeitskreis, der sich damit beschäftigte, wie der ökologische Fußabdruck einer internationalen Konferenz verkleinert werden kann. Eine papierlose Konferenzgestaltung, die Minimierung von Müll oder eine sorgfältige Auswahl der Verpflegung sind nur einige Impulse dieser Arbeitsgruppe.
Auf die direkte Begegnung mit anderen jungen Europäern wollte aber niemand verzichten. Wer nicht in Tallinn dabei war, konnte die Impulsreferate, aber auch die Diskussion der Ergebnisse per Livestream weltweit anschauen. Mehr als 6.000 Mal wurden die Beiträge auf Facebook und Instagram aufgerufen. Geschäftsführerin Tatjana Vollers fasste es so zusammen: „Das DBJW ist wie ein großer Busch, den wir zum Blühen bringen.“
Die Grundsatzpapiere der Konferenz in englischer Sprache als pdf-Dateien:
- Cluster A – “United or divided. Is there a way between individualism and collectivism?”
- Cluster B – „For few or for all? How can we ensure active participation in a digital society?“
- Cluster C – “Who shall own my data? Data Autonomy”
- Cluster D – „Cure or Design: What kind of Human Genetic Engineering do we want?“