Die aktuelle Situation der katholischen Kirche auf dem Westbalkan

Priestertreffen in Stuttgart-Hohenheim

Zu ihrem jährlichen Priestertreffen hatte die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Vertriebenenorganisationen (AKVO) mit ihrem Geschäftsführer Prof. Dr. Dr. Rainer Bendel am 16. Oktober 2023 alle Priester, Diakone und am Problem der Vertreibung Interessierte ins Christkönigshaus in Hohenheim eingeladen.

Die Begegnung begann in der hauseigenen Kapelle mit einem Gottesdienst, den Dekan Matthias Koschar, Bischöflicher Beauftragter für Heimatvertriebene der Diözese Rottenburg-Stuttgart, mit den geistlichen und weltlichen Gästen feierte und ihn unter die Patronage dreier Tagesheiliger stellte: der hl. Hedwig (1174–1243), Patronin Schlesiens und der Brautleute sowie „ideale Landesmutter“ und „Vorbild im Glaubenskampf“; der burgundischen Jesus-Visionärin Margareta Maria Alacoque (1647–1690); sowie des irischen Missionars Gallus (um 550–um 640), Bärenzähmer und Patron des Bistums und der Stadt St. Gallen. Mit solchen Mut und Gottvertrauen stärkenden Vorbildern können wir, so Koschar, die Herausforderungen unseres Alltags besser annehmen und uns von den Dystopien unserer Zeit nicht niederziehen lassen.

Christiana Hägele referierte über Renovabis, das Hilfswerk der römisch-katholischen Kirche in Deutschland zur Stärkung von Kirchen und Gesellschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Hägele arbeitet am Sitz von Renovabis in Freising als Referentin für Montenegro, Serbien und Slowenien sowie für die Vergabe von Stipendienprogrammen. Speziell hat sie sich mit Serbien, seiner Geschichte und Kultur vertraut gemacht, lebte ein Jahr lang in Novi Sad (Neusatz) und erlernte auch die serbische Sprache. Bevor sie mit ihren Ausführungen über die aktuelle Situation in diesem Balkan-Staat begann, stellten sich auf ihren Wunsch hin alle Anwesenden kurz vor, auch die aus Munderkingen stammende Referentin selbst.

Der Name ihrer 1993 auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken als jüngstes der großen Hilfswerke in Deutschland gegründeten Organisation, so Hägele, beziehe sich auf die Formulierung „renovabis faciem terrae“ in Psalm 104,30, „Du wirst das Antlitz der Erde erneuern.“ Renovabis sollte „eine Antwort der deutschen Katholiken auf den gesellschaftlichen und religiösen Neuanfang in den Staaten des ehemaligen Ostblocks nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme“ sein. Die Organisation unterstützt Partner in 29 Ländern Mittelosteuropas, des Kaukasus und Zentralasiens einschließlich Russlands im Sinne einer Solidaritätsaktion, also Hilfe zur Selbsthilfe. Die Säulen der Arbeit von Renovabis sind einerseits die finanzielle Unterstützung und Beratung von Partnern mit ihren Projekten im Osten Europas, andererseits die Förderung von Dialog, Partnerschaft und Versöhnung von Menschen in West und Ost. Von 1993 bis heute (Stand: März 2023) gab es rund 25.800 geförderte Projekte, die bewilligte Summe betrug ca. 843 Millionen Euro. Allein im vergangenen Jahr waren es 580 geförderte Projekte mit einer Bewilligungssumme von ca. 29 Millionen Euro. Hägele zeigte Statistiken zu den jüngst geförderten Projektbereichen, die verdeutlichten, dass insbesondere soziale Aufgaben und Pastoralarbeit, aber auch die Förderung von Laienstrukturen sowie schulische und berufliche Bildung, pastorale Infrastruktur und Medienarbeit von Fördermitteln profitierten. Dabei kommen Ideen und Konzepte stets von den Partnern, lediglich in Einzelfällen schält sich Renovabis beratend ein. In Anpassung an die Situation in den verschiedenen Ländern verlagert sich unter dem Subsidiaritätsprinzip der Schwerpunkt des Budgets nach Osten und Südosten. Partnerstrukturen werden etwa durch die Übertragung von Mitverantwortung bei Programmfinanzierungen gestärkt. Dass die Projekte von lokalen Projektpartnern entwickelt und durchgeführt werden, ist ein Garant für die Nachhaltigkeit der Wirkung. Ebenso gibt es ein wachsendes Bewusstsein für Themen des Umweltschutzes, etwa alternative Energiegewinnung und energieeffiziente Bauweisen. Veränderte Standards in der Entwicklungszusammenarbeit zeigen sich darin, dass Projekte daraufhin erfasst und evaluiert werden, welche Wirksamkeit und Effizienz sie entfalten konnten. Das Geld für das Gesamtaufkommen 2021 in Höhe von ca. 35 Millionen Euro oder 2022 in Höhe von ca. 41 Millionen Euro komme in erster Linie aus kirchlichen Haushaltsmitteln, weiterhin aus Spenden und Erbschaften, öffentlichen Mitteln, sonstiger Organisationen und Stiftungen, der Diözesen, des Diaspora-Kommissariats, Mess-Intentionen usw. Renovabis gibt einen detaillierten Jahresbericht und die informative Zeitschrift „OST-WEST. Europäische Perspektiven“ heraus. Am Standort Freising beschäftigt Renovabis 52 Hauptamtliche, ein mobiler Berater ist von Polen aus tätig.

Christiana Hägele ging im Anschluss auf die schwierige Lage in Serbien ein, ein Land, das 6,7 Millionen Einwohner hat, davon seien nach Selbstauskunft 2011 84,6 % serbisch-orthodox, 5 % katholisch, 3,1 % muslimisch, 1 % protestantisch und 1,1 % atheistisch. Allgemeine gesellschaftliche Herausforderungen sind vor allem Defizite in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (Korruption, Medien unter Druck), ein weitgehender Mangel an geschichtlicher Aufarbeitung, ein schwaches öffentliches Gesundheits- und Sozialwesen, ein strukturschwacher ländlicher Raum mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, Bevölkerungsrückgang (Brain Drain durch Abwanderung) und die enorme Umweltverschmutzung. Seit 2012 ist Serbien EU-Beitrittskandidat, zugleich sucht die Regierung aber außenpolitisch und wirtschaftlich die Nähe zu Russland und China. Auch in der Bevölkerung ist die Stimmung geteilt: ein Teil wünscht die Annäherung an die EU, anderen ist vor allem die traditionelle Nähe zu Russland wichtig. Serbien habe zwar ein gutes Bildungssystem, jedoch sei in den Schulbüchern vieles relativiert dargestellt. Die Pfarreien finanzieren sich aus Mess-Intentionen und Spenden, Priesterberufungen gehen zurück. Hägele ging weiterhin auf Strukturen der katholischen Kirche in den sog. Westbalkan-Staaten mit ihren drei Bischofskonferenzen, Diözesen und Metropolien, mit der diversen ethnischen und sprachlichen Zusammensetzung der Gläubigen und des Klerus ein. Aktuelle Förderschwerpunkte von Renovabis in Serbien sind: pastorale Entwicklung; Sozial- und Bildungsprojekte; Förderung von katholischen Laienverbänden; ökumenischer Dialog; Existenzhilfen für Priester. Für die EU rückt die Frage der stärkeren Annäherung der Region wieder mehr in den Vordergrund, auch wenn die politische Situation ausweglos und die Serben (auch im Ausland) apolitisch und resigniert erscheinen. Die Visumsfreiheit für Serben wurde positiv aufgenommen, aber leider verspiele die EU derzeit viele Sympathien.

Die anschließende Diskussion drehte sich zentral um die Frage, wie man Jugendliche und junge Erwachsene dazu motivieren kann, sich mit den Partnerländern zu beschäftigen.

Stefan P. Teppert