Donauschwäbische Wochen in Spaichingen 2023

Spaichingen am südwestlichen Rand der Schwäbischen Alb mit seinem hohen donauschwäbischen Bevölkerungsanteil ist eine Hochburg von deutschen Zuwanderern aus Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien, die nach dem 2. Weltkrieg bzw. nach dem Ende des Kommunismus hier ihre neue Heimat fanden. In Spaichingen und Umgebung haben sie sich hervorragend integriert, können ihre Kultur pflegen und sind dafür bekannt, weil sie auch den Kontakt zur gesamten Bevölkerung suchen und sie zu ihren festlichen und informativen Veranstaltungen einladen. Deshalb haben die Spaichinger Stadtverwaltung und Bürgermeister Markus Hugger sowie Stellvertreter Werner Reisbeck dieses prestigeträchtige Projekt mit seinem breit gefächerten und vielseitigen Programm nicht nur begrüßt und unterstützt, sondern sich nach Möglichkeit selbst eingebracht und auch als Teilnehmer daran erfreut, besonders an seinen Höhepunkten, den Auftritten der donauschwäbischen Gruppen aus Brasilien, den USA und Reutlingen.

Einzigartig war, dass es eine donauschwäbische Veranstaltungsreihe mit so vielen Terminen und über einen so langen Zeitraum – nämlich sechs Wochen – wohl noch nie gegeben hat. Wahrscheinlich noch nie und nirgendwo standen die Donauschwaben so lange im Mittelpunkt des Interesses. Ebenso erwiesen sich diese Wochen und ihre Vorbereitung als mustergültiges Zeugnis der Eintracht und Zusammenarbeit. Es spielte keine Rolle, aus welchem Land oder aus welcher Landsmannschaft man als Donauschwabe stammte oder welcher man zugehörte, ob man überhaupt eine donauschwäbische Herkunft hatte. Gemeinsam als Team haben die Organisatoren und alle Mitwirkenden den Bekanntheitsgrad der Donauschwaben erheblich gesteigert, ihren guten Ruf nachhaltig ausgebaut sowie ihre planetarische Verbundenheit und Vernetzung sinnfällig demonstriert. Von allen Seiten wurde den Festwochen mit ihrem Theater-Gastspiel, ihren Tanzauftritten, Vorträgen, Ansprachen, Lesungen, Ausflügen, Besichtigungen und Führungen, Musik- und Choreinlagen, Grillfesten und sonstigen echt donauschwäbischen Schmausereien und Festlichkeiten viel Interesse und großes Lob entgegengebracht.

Den Auftakt bildete am 18. Juni die traditionelle donauschwäbische Gelöbniswallfahrt auf den Dreifaltigkeitsberg bei Spaichingen. Pfr. Paul Kollar aus Ludwigshafen zelebrierte den Gottesdienst, Erich Meixner und sein Darowaer Chor gestalteten ihn musikalisch, und am Nachmittag informierte im Pilgersaal der Freiburger Volkskundler Prof. Dr. Michael Prosser-Schell über „Europäische Kulturhauptstädte im Südosten“, insbesondere über Timişoara/Temeswar im westlichen Rumänien und die Stadt an der Donau Novi Sad/Neusatz im Norden Serbiens.

Am darauffolgenden Sonntag gab es ab 11 Uhr beim Ortsverband Aldingen unter Leitung von Elfriede Wollmann auf deren weitläufigem Vereinsgelände – mit ca. 600 Besuchern – Tanz-Vorführungen der Kinder- und Jugendgruppe der HOG Darowa, Blasmusik mit dem „Original Banater Echo“, Mittagessen mit donauschwäbischen Spezialitäten sowie einen gemütlichen Nachmittag bei Kaffee und Kuchen.

Am 1. Juli wurden die 20 Landsleute aus dem brasilianischen Entre Rios auf dem Dreifaltigkeitsberg mit seiner wunderbaren Aussicht im Beisein ihrer Gastgeberfamilien empfangen. Anschließend stellte im Pilgersaal Dr. Robert Pech von der Universität Leipzig das Leben und Wirken des aus Filipowa in der Batschka stammenden Paters Wendelin Gruber dar, der nach dem Zweiten Weltkrieg freiwillig in Titos kommunistische Vernichtungslager für die nicht arbeitsfähige deutsche Minderheit ging und dort 1946 die donauschwäbischen Gelöbniswallfahrten begründete. Manche der Gäste aus Brasilien hatten Pater Gruber noch in bester persönlicher Erinnerung als ihren Religionslehrer in seiner Zeit in Entre Rios.

Eine Sitzung des höchsten donauschwäbischen Gremiums, des Weltdachverbandes, fand am Sonntag, dem 2. Juli, ebenfalls in Spaichingen als Novum statt, und zwar im Ratssaal des Rathauses, von dem man einen schönen Ausblick auf Marktplatz und Stadthalle hat. Dort konferierten nicht öffentlich ab 10 Uhr die donauschwäbischen Landsmannschaften und die Vertreter der Verbände in Europa und Übersee, teils live zugeschaltet über die großen Bildschirme.

Zwei Stunden später am gleichen Tag wurde eine eigens für die Donauschwäbischen Wochen konzipierte Ausstellung in der Stadthalle eröffnet, die Gerhard Harich in ungezählten Stunden mit viel Liebe gestaltet hatte. Ihre Schwerpunkte bilden neben der Ansiedlung der Donauschwaben in Spaichingen, Gosheim und im gesamten Landkreis Tuttlingen das Lenau-Denkmal im Ortsteil „Grund“ sowie die Wallfahrt auf den Dreifaltigkeitsberg. Informationen zu den in Spaichingen stark vertretenen Heimatortsgemeinschaften Darowa und Mramorak sowie zum Ortsverband Aldingen runden das lehrreiche Bild- und Lesematerial ab. Grußworte zur Vernissage sprachen der Landtagsabgeordnete Guido Wolf, Hartmut Liebscher vom BdV und DJO im Stuttgarter Haus der Heimat, Richard Wagner als Vertreter der Stadt Spaichingen, Hans Supritz als Vorsitzender der Landsmannschaft der Donauschwaben sowie Patrick Polling als Sprecher der Deutschen Banater Jugend und Trachtengruppen (DBJT). Die Ausstellung wanderte nach ihrer Eröffnung für den Zeitraum der Veranstaltungswochen ins Haus der Musik und Heimatkultur in Spaichingen. Ergänzt wurde sie durch Exponate einer Wanderausstellung des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm.

Wiederum am gleichen Tag wurde um 15 Uhr in der Stadthalle von der donauschwäbischen Theatergruppe „Thomas Schwarz“ aus Entre Rios bei freiem Eintritt die Komödie „Roboter küsst man nicht“ mit viel Amüsement und Beifall aufgeführt, ein Stück mit flotter Handlung in drei Akten, mit turbulenten Verwechslungen, geschrieben von dem deutschen Autor Jonas Jetten und mit dessen Genehmigung in donauschwäbischem Dialekt von neun Schauspielern aufgeführt. Die teils weither angereisten Zuschauer waren begeistert, vor allem von der Wirkung der Mundart. Der Aufführung ging ab 12 Uhr die Möglichkeit zum Mittagessen voraus. Serviert wurden Paprikabratwürste nach donauschwäbischer Art und Kartoffelsalat wie auch Kaffee und Kuchen sowie Getränke. Einmal im Jahr pflegt die Theatergruppe aus Entre Rios außerhalb der eigenen Siedlung zu gastieren, meist im Süden Brasiliens, wo es nicht wenige deutschsprachige Siedlungen gibt.

Dankbar nahmen die Gäste aus Brasilien am nächsten Tag eine erholsame Ausfahrt nach Donaueschingen an, bei der man nicht nur die Donauquelle besuchte, sondern sich auch durch das Schloss führen ließ, den Schlosspark genoss und der Brauerei Fürstenberg einen instruktiven Besuch abstattete. Zusätzlich konnte die Gruppe in Immendingen das weltweit einzigartige Phänomen der Donauversinkung bestaunen und zum Abschluss des Tages am Spaichinger Lenau-Denkmal – eines von insgesamt drei in Deutschland – eine Ansprache hören. Im Fundament unterhalb des Sockels wurde bei der Einweihung dieses von Friedrich A. Müller (1914 – 1976) aus der Batschka gestalteten Denkmals 1960 in einer Dose ein Dokument eingemauert, das den Donauschwaben die fortwährende Fürsorge ihrer neuen Heimatstadt zusichert. Der Ehrenvorsitzende der Heimatortsgemeinschaft Hatzfeld Josef Koch sprach über die Entstehung des donauschwäbischen Stadtteils „Grund“, wo sich seit 1955 zahlreiche Donauschwaben aus dem jugoslawischen Banat ansiedelten, und Nikolaus Lenaus Leben und romantische Dichtung des Weltschmerzes. Er nutzte die Gelegenheit, die Stadt um die Säuberung des Denkmals zu bitten, damit die Inschrift mit Versen Lenaus wieder lesbar wird.

Am gleichen Tag fand um 17 Uhr ein Empfang für die donauschwäbischen Gäste aus Brasilien im Foyer des Rathauses statt. Grußworte sprachen Jürgen Harich, der Stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Donauschwaben und Vizepräsident des Weltdachverbands der Donauschwaben, Werner Reisbeck als Vertreter des Bürgermeisters, Viviane Schüssler als Leiterin der Delegation aus Brasilien sowie der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel, ein Bürger Spaichingens und verdienter Freund der Donauschwaben, der viele von ihnen zuerst aus dem ehemaligen Jugoslawien in Spaichingen eingebürgert und andere aus Rumänien herausgeholt und in Spaichingen angesiedelt, sie als Landesvater sogar in Brasilien besucht hat.

Um 18 Uhr begann dann rund um das Heim der Donauschwaben in Aldingen ein Grillabend mit Musik und Tanz. Wieder spielte die Blaskapelle „Original Banater Echo“ auf, das für Brasilien typische Churrasco mundete allen hungrigen Anwesenden. Es war ein geselliger Abschiedsabend für die Gruppe aus Brasilien. Auch des Tanzes völlig Unkundige mussten das Tanzbein schwingen und trugen so zur Gaudi ihren Teil bei.

Am nächsten Morgen, es war der 4. Juli, wurden die brasilianischen Donauschwaben endgültig mit einem opulenten gemeinsamen Frühstück verabschiedet, um nach Ulm weiterzufahren – diese alle Donauschwaben verbindende Auswanderungsstadt, von wo es häufig mit der Ulmer Schachtel die Donau hinunter nach Pannonien ging – und dort u. a. das Donauschwäbische Zentralmuseum mit seiner neuen Konzeption aufzusuchen.

Am 14. Juli versammelten sich im Nebensaal des Spaichinger Gasthauses „Zu den sieben Winden“ alle, die sich gute Unterhaltung und etwas zum Lachen vom „Donauschwäbischen Mundartabend“ versprachen. Sie sollten nicht enttäuscht werden. Als angejahrte Donauschwaben ausstaffiert, unterhielten sich Michael Werny, der kommissarische Vorsitzende des donauschwäbischen Ortsverbandes Gosheim, und Norbert Zerr, ebenfalls in Gosheim aufgewachsen, miteinander und mit dem Publikum über drollige Situationen und empörende Misslichkeiten, ganz aus der manchmal bauernschlauen, dann wieder bräsigen oder rammdösigen Perspektive etwas aus der Zeit gefallener Vertreter des eigenen Volkstums. Komik und Humor zündeten beim Publikum mit heimatlicher Rührung, Heiterkeit und Gelächter.

Am Sonntag, 16. Juli, kam um 15 Uhr die Schriftstellerin Eva Filip zu einer Lesung nach Spaichingen in den Saal der HOG Darowa ins Haus der Musik und Heimatkultur. Filip wurde 1957 im rumänischen Arad geboren und schloss 1981 ihr Studium der Germanistik und Romanistik an der Universität Temeswar ab. Sie arbeitete bis zu ihrer Ausreise vor der Revolution 1989 in Rumänien als Gymnasiallehrerin. In Spaichingen las die Autorin aus ihrem ersten Romanwerk „Nicht schweigen. Im rumänischen Gulag“ (Klak Verlag, Berlin 2018, 341 S.), eine Zeitzeugengeschichte, die das Faktische in eine epische Fiktion einschmilzt und ein detailreiches Bild vom Alltagsleben in den Strafvollzugsanstalten des kommunistischen Regimes in Rumänien zeigt. Im Anschluss an die Lesung folgten drei Buchbesprechungen von Stefan Teppert, der von 1988 bis 1999 hauptamtlicher Kulturreferent der Landsmannschaft der Donauschwaben aus Jugoslawien im Sindelfinger „Weltheimathaus“ war. Er stellte das „Donauschwäbische Martyrologium“ (Patrimonium Verlag, Aachen 2018, 793 S.), die Biografie seines Vaters Anton „Geflohen, ausgewandert, heimgekehrt. Mein Leben in Jugoslawien, Brasilien und Deutschland“ (Selbstverlag, Meßstetten 2019, 134 S.) sowie die unter dem Titel „Der lange Schatten des Maulbeerbaums“ gesammelten Kurzgeschichten und Gedichte des mit 93 Jahren in Kanada lebenden, aus der Batschka stammenden Schriftstellers Heinrich Göttel vor (Europa Verlagsgruppe, 2021, 725 S.).

Vom 19. bis 21. Juli weilte die Donauschwäbische Jugendtanz- und Trachtengruppe aus Chicago in der Primstadt. Am Tag ihrer Ankunft waren sie zu einem Grillabend mit Musik am Ausbildungszentrum des Blasmusikverbandes eingeladen. Am 20. Juli wurden die amerikanischen Landsleute offiziell um 10 Uhr im Rathaus durch die Stadt Spaichingen empfangen. Danach begab sich die Gruppe zu einem Ausflug auf den Dreifaltigkeitsberg und wegen der Hitze sowie zur Erholung von den Reisestrapazen ins Spaichinger Freibad, bevor sie um 19 Uhr im Stadtgarten für die gesamte Bevölkerung gratis ihre Tänze in Trachten auf der Freilichtbühne vorführte. „A lot of Gemütlichkeit“ titelte die Lokalzeitung ihren Bericht darüber. Die Zuschauer genossen ein zweistündiges Programm, zusätzlich mit der Donauschwäbischen Tanz- und Folkloregruppe aus Reutlingen. Jürgen Harich stellte die Gruppen vor und moderierte ihre stimulierenden Auftritte. Die Jugendgruppe aus Chicago wurde 1953 gegründet, um Tradition und Bräuche der Vorfahren zu pflegen. Sie führt nicht nur donauschwäbische Tänze sowie die anderer Ethnien auf, sondern auch Sketche und singt traditionelle deutsche Volkslieder. Alle drei Jahre nimmt sie in den USA sehr erfolgreich am nationalen Volkstanz-Wettbewerb teil.

Am 23. Juli, einem Sonntag, boten der Kreisverband der Banater Schwaben Tuttlingen-Rottweil-Schwarzwald und die HOG Darowa Tanzvorführungen im Spaichinger Stadtgarten, wo sie innerhalb der Eventreihe „Primtal-Sommer“ unter vielen anderen ortsansässigen Vereinen mit eigener Hütte auftraten.

Am 25. Juli referierte Jürgen Harich im Saal der HOG Darowa im Haus der Musik und Heimatkultur über seine Reisen zu den „Donauschwaben in aller Welt“. Kaum ein anderer Donauschwabe hat seine stets gastfreundlichen Landsleute überall auf dem Globus besucht: in Deutschland und Österreich, Ungarn, Kroatien, Serbien und Rumänien, in den USA und Kanada, in Brasilien und Argentinien, in Südafrika und Australien. Harich zeigte selbst aufgenommene Bilder zu seinem informativen Vortrag, der durchaus geeignet war, den Stolz der Donauschwäbin wie auch des Donauschwaben auf ihre weltweit zerstreuten Landsleute zu heben und sich darüber hinaus als schönste Legitimation für Harich in seinem Amt als Vizepräsident des Donauschwäbischen Weltdachverbandes erwies.

Den Schlussstein der „Donauschwäbischen Wochen“ bildete ein Filmabend am 28. Juli im Saal der HOG Darowa über das Schicksal der Donauschwaben in der alten Heimat und ihre erfolgreiche Integration in der neuen.

Zu solch einem reichhaltigen Programm haben selbstverständlich viele Helfer organisatorisch und finanziell beigetragen. Hauptorganisatoren waren Jürgen und Gerhard Harich von den Donauschwaben sowie Hansi und Käthe Winze von den Banater Schwaben. Mitgeholfen haben die Heimatortsgemeinschaften Darowa und Mramorak, der Ortsverband der Donauschwaben Aldingen unter Leitung der Vorsitzenden Elfriede Wollmann, der Ortsverband Gosheim unter dem kommissarischen Vorsitzenden Michael Werny und Josef Koch von der HOG Hatzfeld sowie der Bundesverband der Landsmannschaft der Donauschwaben. Unterstützung kam vor allem durch die Stadt Spaichingen und das St. Gerhardswerk. Der Weltdachverband half bei der Einplanung der Gruppen aus Entre Rios und Chicago. Großer Dank gebührt den Sponsoren! Ohne die Unterstützung der Firmen wäre alles niemals so möglich gewesen!

Die donauschwäbische Welt war zu Gast in Spaichingen und Spaichingen empfing die Welt der Donauschwaben: mit Freude und Erfolg!

Stefan P. Teppert

Theatergruppe

 

Theater Roberto Esser und Wolfgang Müllerleily in Aktion

 

Vernissage der donauschwäbischen Ausstellung

 

Ministerpräsident a.D. Erwin Teufel beim Empfang im Rathaus

 

Tanzauftritt der Gruppe aus Chicago

 

Gruppenbild Chicago links und Reutlingen rechts