Biographie

Hanika, Josef

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Publizist, Volkskundler
* 30. Oktober 1900 in Mies/Westböhmen
† 29. Juli 1963 in München

„Die Volkskunde erhellt die geistige Bedeutung statistisch erfasster Tatsachen des Volkslebens.“

Die Aussage des Volkskundlers Josef Hanika war sein Programm – auf alle Fälle für seine Forschungsanleitung Volkskundliche Wandlungen durch Heimatverlust und Zwangswanderung.

Hanika wurde im westböhmischen Mies geboren. Nach dem Studium in Prag und seiner Lehramtsprüfung in Deutsch, Tschechisch und Turnen promovierte er 1923 mit dem Titel Hochzeitsbräuche der Kremnitzer Sprachinsel und war von 1922 bis 1927 Assistent am Seminar für deutsche Philologie der Deutschen Universität in Prag. Es folgten Anstellungen im Lehrdienst an der Staatsgewerbeschule in Reichenberg (Liebe­rec) und an einem deutschsprachigen Gymnasium in Prag sowie als Studienrat in Eger, ehe er sich 1938 für das Fach Altertums- und Volkskunde an der Karl-Ferdinands-Universität Prag habilitierte. Der Aufbau der volkskundlichen Außenstelle im Museum der Stadt Eger (Cheb) geht auf ihn zurück. Ende 1942 wurde er außerordentlicher Professor an der Deutschen Karls-Universität bzw. der Reichsuniversität in Prag. Gemeinsam mit dem Slawisten Edmund Schneeweis führte Hanika ebenfalls das Institut für Volkskunde Böhmens der Reinhard-Heydrich-Stiftung.

Im Mai 1945 wurde Hanika von einem tschechischen Kommando verhaftet und geriet dann in ein Arbeitslager. Nach dem Abschub nach Bayern wurde er 1948 Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege in München; auch die Gründung des Instituts für Kultur- und Sozialforschung 1950 geht auf ihn zurück. Im folgenden Jahrzehnt erhielt er einige Lehraufträge und wurde ordentlicher und außerordentlicher Professor für deutsche und vergleichende Volkskunde an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Neben der Herausgabe zahlreicher Publikationen war Hanika Mitglied vieler wissenschaftlicher Vereinigungen. 1928 bis 1938 gab er die Zeitschrift für karpatendeutsche Literatur, Kultur und Volkskunde heraus. In München wurde er mit dem Bayerischen Verdienstorden geehrt.

Sein Werk Volkskundliche Wandlungen durch Heimatverlust und Zwangswanderung, das 1957 erschien, ist bis heute ein Leitfaden für Studenten, Promovierende und anderweitig Interessierte, die an einem Vertreibungsthema arbeiten. Es ist aber auch ein Spiegel seiner Zeit, in der die Vertriebenen und Flüchtlinge kaum oder nur wenig in der 1949 gegründeten Bundesrepublik eingegliedert waren. Die Fragen, die Hanika in seiner methodischen Anleitung aufwirft, sind ein Maßstab dafür, was sich alles verändert hat und vor allem: was sich verändern kann (!) – sowohl in der neuen Heimat als auch innerhalb der sudetendeutschen Volksgruppe. Bezeichnend für diesen durch und durch volkskundlichen Stoff ist besonders das Kapitel Die Flüchtlinge als Urheber von Neuerungen gegen Ende des Buches. Darin stellt Hanika ganz klar fest:

„Die Ostdeutschen waren vorwiegend Grenz- und Sprachinseldeutsche, die in jahrhundertelanger Nachbarschaft mit anderen Völkern lebten, zum Teil lebten sie als Volksgruppen, Minderheiten in fremden Staaten, darum ist ihr politisches Denken ‚Volksdenken‘ nicht ‚Staatsdenken‘. Diese Lage erzieht zur völkischen Selbsthilfe in wirtschaftlichen und kulturellen Lebensfragen.“

Am Ende des Kapitels kommt Hanika nochmals auf die Rolle der Vertriebenen in der Diaspora zu sprechen. Dies tut er in Anlehnung an Sigfrid Svensson, einem schwedischen Volkskundler, der zur Erkenntnis gelangt ist, dass Neuerungen in der Gesellschaft nicht nur auf Kenntnis beruhen, sondern auch Vermittler hierfür benötige. So überträgt Hanika den Grundsatz folgendermaßen auf die Vertriebenenthematik:

„Von den konservativen Verhältnissen Schwedens auf die deutschen Verhältnisse übertragen, tritt bei dieser Betrachtung die Rolle der Flüchtlinge und Ausgewiesenen als Brecher alter Traditionen und Vermittler der Neuerungen umso stärker in Erscheinung. Diese neue Bevölkerungsgruppe nimmt im deutschen Volkskörper, in allen seinen örtlichen und landschaftlichen Zellen diese soziale Zwischenstellung ein und ergreift in vielfältigster Weise die Initiative bei den Wandlungen und Neuerungen im überlieferten Leben der Aufnahmeorte und -landschaften im Sinne der ‚neuen‘ Zeit.“

Zum Schluss der Lektüre des methodischen Handbuchs lässt sich feststellen: Hanika stellt viele Fragen, die als Hilfestellung für die Erforschung der Bevölkerungsentwicklung in der neuen Heimat gelten können. Hanika gibt viele Erklärungen. Er versucht die Lage der Vertriebenen und deren Situation in der neuen Heimat allgemein zu deuten, verweist jedoch zeitgleich auch darauf, dass die Erforschungen der Integration für die gesamte Bundesrepublik nicht pauschalisiert werden können. Vielmehr sei eine solche Recherche von den Regionen abhängig.

Der Volkskundler kommt zu dem Ergebnis, dass „die Erhaltung und Pflege des geprägten Volkstums der ostdeutschen Stämme und Volksgruppen ein hoher und wesentlicher Wert [ist]. Die bindenden und prägenden Kräfte des stammlich gegliederten Volkstums verhinderten, dank auch der Wirksamkeit der landsmannschaftlichen und anderer Organisationen, dass aus dem Elendsheer der Vertriebenen eine amorphe Masse und aus ganz Deutschland ein Chaos geworden ist.“

Hat Hanika mit seinem Buch aus dem Jahre 1957 mehr oder weniger einen Wegweiser für alle Vertriebenen und Interessierten gegeben, geht der Volkskundler im 7. Heft der Schriftenreihe vom „Göttinger Arbeitskreis“ auf die Kultur und Volkskunde per se der Sudetendeutschen ein. Nach einer kurzen allgemeinen Einleitung kommt Hanika auf die einzelnen Regionen im Sudetenland zu sprechen: der Süden, Westböhmen, der Norden und Osten und die Sprachinseln. Dabei geht er auf die räumliche und wirtschaftliche Beschaffenheit ein und gibt den einzelnen Regionen einen eigenen Charakter.

Schlussendlich gelingt es Hanika, in seinen Schriften zu bestätigen, dass auch die sudetendeutsche Volksgruppe eine kulturelle Vielfalt in der Einheit ist, bestehend aus ursprünglich verschiedenen germanischen und später slawischen Stämmen. Manche Region, die Hanika vorgestellt hat, hatte keine Bindung zu den anderen, sie lebten nebeneinander. Erst nach dem Untergang der Donaumonarchie und der anschließenden Eingliederung Böhmens, Mährens und Mähren-Schlesiens in den neugegründeten Tschechoslowakischen Staat 1918 hätten die deutschen Gruppen zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengefunden. Es hat bis 1918 noch keine sudetendeutsche Volkskunde gegeben, da es auch noch kein Sudetendeutschtum gegeben hat.

Hanika zieht als Fazit: „Wir können sie [die Heimatlandschaften] nur verstehen und schildern, wenn wir dieses Volkstum in jene Landschaften zurückprojizieren, in denen es in jahrhundertelanger Entwicklung geworden ist.“

Dass Josef Hanika ein bewundernswertes Vorbild für seine wie für die nachfolgenden Generationen darstellt, beweist der Nachruf von Bruno Schier in Bohemia. Jahrbuch des Collegiumn Carolinum Band 4. An derselben Stelle ist das vollständige Schriftenverzeichnis von Josef Hanika veröffentlicht. Bruno Schier beschreibt seinen Freund an dieser Stelle als „Symbol für das Schicksal einer ganzen Generation“. Hanika als Wanderer zwischen zwei Welten – dem Osten und dem Westen – habe es verstanden, sich mit seinem Wissen für die Symbiose der deutschen und tschechischen Kultur und damit für einen Brückenschlag zwischen West und Ost einzusetzen. Die Höllenqualen, die Hanika in einem Vernichtungslager in Prag auf sich nahm, den Hungertod seines Zellengenossen, Archivdirektor Dr. Prochno, und schließlich seine Auszehrung, die ihm quasi das Leben rettete, da er wegen Krankheit entlassen wurde, konnte ihn nicht daran hindern, auch nach dem Zweiten Weltkrieg für sein Fachgebiet, die Volkskunde von Deutschen und Slawen einzutreten. Infolge der Qualen im Vernichtungslager hatte Hanika zeit seines Lebens mit einem schweren Herzleiden zu kämpfen, dem er letzten Endes im Juli 1963 erlag.

Werke in Auswahl: Die Erforschung der Westböhmischen Volks­trachten. 1929. – Ostmitteldeutsch-bairische Volkstums­mi­schung im westkarpatischen Bergbaugebiet. Dargestellt an Herkunft, Besiedlung, Recht und Mundart der Sprachinsel Kremnitz-Deutsch-Proben, 1933. – Volkskundliche Wanderungen zu den Chodenbauern, 1943. – Volkskundliche Wandlungen durch Heimatverlust und Zwangswanderung, Salzburg 1957. – Sippennamen und völkische Herkunft im böhmisch-mährischen Raum, 1943.

Bild: Bund der Eghalanda Gmoin e.V.

Julia Nagel