Biographie

Albrecht, Georg von

Herkunft: Rußland (Wolga- u. Schwarzmeer)
Beruf: Komponist
* 19. März 1891 in Kasan/Rußland
† 15. März 1976 in Heidelberg

Georg von Albrecht ist das fünfte von acht Kindern des deutschen Mathematikers Johann Gottlieb David von Albrecht – zuletzt Geheimrat in Petersburg – und seiner Ehefrau Barbara, geb. Miscenko, einer Pianistin. Den ersten Musikunterricht erhält er bei seiner Mutter; als Junge begegnet er in Petersburg dem gleichaltrigen Prokofjew. Nach einem glänzenden Abitur am Gymnasium in Zarskoje Selo studiert er königlichen Konservatorium in Stuttgart bei Max von Pauer, Theodor Wiehmayer und Heinrich Lang Klavier und Komposition und legt dort noch vor dem Ersten Weltkrieg die künstlerische Reifeprüfung ab. In Moskau erhält er bei Tanejew (1914-1915) eine vorzügliche kontrapunktische Schulung; es folgen 1917-1918 in Petrograd Studien bei Glasunow und Withol. Georg von Albrecht begegnet Skrjabin und entwickelt später dessen Obertontechnik fort; mit dem russischen Neutöner Rebikow und dem Dichter Ostroumow ist er befreundet. 1919 begründet er mit anderen ein Konservatorium in Jalta; 1921 lehrt er in Moskau am Musiktechnikum des Baumannschen Bezirks. Bald kehrt er jedoch in die Heimat seiner deutschen Vorfahren zurück, um seine Oper Das Vaterunser, die er als seine Lebensarbeit betrachtet, zu vollenden. 1923 studiert er in Stuttgart bei Ewald Sträßer (Straesser) Instrumentation. Seit 1925 lehrt er ebendort an Karl Adlers Konservatorium, seit 1936 an der Staatlichen Hochschule für Musik, deren Geschicke er in mehr als zehn Nachkriegsjahren, auch als stellvertretender Direktor, wesentlich mitbestimmt, Besonders setzt er sich dafür ein, daß Kriegsteilnehmern und Flüchtlingen aus dem Osten ein Abschluß ihres Musikstudiums ermöglicht wird. 1946 erhält er den Professorentitel, 1962 verleiht ihm die Belaieff-Stiftung Bonn den Glinka-Preis, 1966 die Künstlergilde Eßlingen den Stamitz-Preis. In Heidelberg, wo er seit 1956 an der Musikhochschule wirkte, ist er am 15.3.1976 gestorben.

Seine erste Gattin, Wanda Dydziul, die ihn nicht nach Deutschland begleitet hat, ist in seinen Liedern als Textdichterin vertreten und hat ihm den Zugang zum litauischen Volkslied eröffnet; sie wurde im Zweiten Weltkrieg in ihrer litauischen Heimat von der SS ermordet. Der zweiten Ehe mit der Toneurythmielehrerin Elise, geb. Kratz (+ 1968), entstammen ein Sohn und drei Enkelkinder. Viele Werke seiner letzten Lebensjahre schreibt er in Sandhausen bei Heidelberg, umsorgt von seiner dritten Ehefrau Elisabeth Charlotte, geb. Hose. Sein Schaffen ist so reich und vielschichtig wie sein Leben. Neben bedeutenden Klaviersonaten (die unter anderem von Walter Rehberg aufgeführt wurden) stehen 24 Preludes sowie mehrere Variationswerke und Zyklen. Die Violinliteratur verdankt ihm Solosonaten, eine Sonate für Violine und Klavier und das preisgekrönte Violinkonzert. Die Kammermusik umfaßt unter anderem zwei Streichquartette, eine Sonate für Viola und Klavier, ein Klaviertrio, ein Streichtrio, ein Bläserquintett, Präludium und Fuge für Flöte und Klavier. Die Kompositionen für Kammerorchester, die in seinem Schaffen einen hervorragenden Platz einnehmen, wurden unter anderem von Johann Nepomuk David und Karl Münchinger aufgeführt. Daneben stehen Werke für großes Orchester und zwei Opern sowie ein reiches Liedschaffen, dessen Texte von Goethe und Puschkin bis zu Tagore und zeitgenössischen deutschen Dichtern reichen. Größere Vokalwerke verarbeiten Anregungen aus mehreren Kulturkreisen: Byzantinisches finden wir in der Liturgie des Johannes Chrysostomus,hebräische Folklore im Lied der Lieder, Gregorianik in Messe, Requiem, Te Deum und dem nachgelassenen Sonnengesang des Franziskus von Assisi, den Gerhard Frommel vollendete. Die Oper Das Vaterunser verbindet russische und griechische Volks- und Kirchengesänge mit Texten großer deutscher Lyriker zu einer schöpferischen Synthese. Seit seiner Jugend ein begeisterter Sammler von Liedern und Tänzen seiner osteuropäischen Heimat, leitete Georg von Albrecht in Stuttgart die Musikalisch-Ethnographische Vereinigung, einen sehr guten Chor, der wegen seiner Beschäftigung auch mit außerdeutscher Musik im „Dritten Reich“ verboten wurde. Auch dem Komponisten drohte Unterrichtsverbot, da er als Lehrer keine der modernen Richtungen ablehnte. Er beharrte aber auf dem Grundsatz, nicht plumpe Verbote aufzustellen, sondern seine Schüler diejenigen Gebiete der Neuen Musik, die ihnen reizvoll erschienen, „abschreiten“ zu lassen, damit sie dann selbst entscheiden konnten, was zu ihrer Art paßte.

Dies ist auch der Geist, in dem er seit persönlichen Begegnungen mit Skrjabin und Rebikow – ebenso wie später als Kritiker bei den Donaueschinger Musiktagen – die Entdeckungen der Neuen Musik aufnimmt und weiterführt: Obertonreihen und ihre spiegelbildliche Umkehrung, die „Untertöne“, verwendet er als gewissermaßen naturgegebene Dur- und Mollskalen; sie kommen seinem Streben nach Ökonomie der Mittel und Durchsichtigkeit der Struktur entgegen; die Zwölftontechnik, die von ihm auch in größeren Werken (Violinkonzert, Messe) mit logischer Folgerichtigkeit gehandhabt wird, bewahrt bei ihm die melodische Linie. Polytonalität und Polyrhythmik dienen nicht äußerlichen Effekten, sondern der farbigen Gegenüberstellung selbständiger Stimmen; in Sonatenhauptsatzdurchführungen und Fugen bildet das gleichzeitige Erklingen mehrerer Tonarten ein musikalischesSteigerungsmittel, das in dieser Form und Funktion ein Novum darstellt. Er selbst hat darin gelegentlich ein Symbol für das harmonische Zusammenleben verschiedener Völker und Weltanschauungen sehen wollen.

Gesamtausgabe (9 Bände) der Kompositionen im Verlag Peter Lang, Frankfurt, Bern 1984-1991. Bläserquintett (Möseler). Preludio e fuga per Flauto traverso (Belaieff). Lieder und Tänze der Randvölker Rußlands für Violine und Klavier (Belaieff).

Buch: Vom Volkslied zur Zwölftontechnik, Frankfurt, Bern 1984.

Lit.: Festschrift G. v. Albrecht, Stuttgart 1962. – Werner Schubert: Elemente antiker Musik im Schaffen G. v. Albrechts, in: Musik in Antike und Neuzeit, Frankfurt 1987, 31-50. – Gerhard Frommel: Tradition und Originalität, Frankfurt 1988, 215-232. – Peter Andraschke: Tagore-Vertonungen, in: Musik und Dichtung, Festschr. Viktor Pöschl. Frankfurt 1990, 485. – Michael v. Albrecht: Ein Stimmer zieht durch die Lande, ebd. 515-523. – Elliott Antokoletz: History of 20th Century Music, 1990. – Karl Michael Komma: Klangbilder –Bildklänge, Frankfurt 1991. – Alexander Schwab: Der Komponist Georg von Albrecht. Studien zu Leben und Schaffen, Frankfurt 1991. Michael v. Albrecht, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil 1, Kassel et altera 1999, Spalten 384–386.

Schallplatte: Klavierwerke, gespielt von Karl Heinz Lautner, Da Camera Magna SM 113141.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_von_Albrecht.

Bild: Privatbesitz des Autors

Michael von Albrecht