Biographie

Alexis, Willibald (Häring, Georg Wilhelm Heinrich)

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Verleger, Schriftsteller
* 29. Juni 1798 in Breslau
† 16. Dezember 1871 in Arnstadt/Thüringen

In Nachschlagewerken, literaturwissenschaftlichen Untersuchungen und universitären Vorlesungen wird Willibald Alexis durchweg als Begründer des historischen Romans in Deutschland und früher Chronist von Brandenburg-Preußen gewürdigt. Trotzdem ist die Erinnerung an sein Werk blaß und das Interesse daran fast ausschließlich historisch begründet. Man betrachtet es wie einen liebenswerten, aber schrulligen, nicht mehr ganz zeitgemäßen alten Verwandten. Charakteristisch dafür ist eine Szene in Elias Canettis Roman Die Blendung, einem Klassiker der Moderne: Der Bibliomane Peter Kien sucht in seiner riesigen, kostbaren Bibliothek nach einem möglichst gering veranschlagten Buch, das er seiner sich bildungsbeflissen gebenden Haushälterin anvertrauen kann. Seine Wahl fällt schließlich auf ein speckiges Exemplar des Romans Die Hosen des Herrn von Bredow – dem wohl berühmtesten Buch von Willibald Alexis, das übrigens 1973 in der DDR verfilmt wurde.

Der 1846 in zwei Bänden erschienene Roman führt zurück in das Brandenburg zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Kurfürst Joachim I. (1499-1535) steht im erbitterten Kampf gegen den um die Erhaltung seiner Privilegien besorgten, alteingesessenen Landadel. Ritter Götz Bredow hat ein Paar Hosen aus Elchleder ererbt, von denen er sich niemals trennt. Als seine Frau Brigitte sie heimlich in die große Herbstwäsche gibt, werden sie prompt gestohlen. Daraus entwickelt sich eine ebenso verworrene wie dramatische Handlung, an deren Ende die Domestizierung des Adels durch den Kurfürsten steht. Die Hosen des Herrn von Bredow wurden mit dem Roman Der Wärwolf (1848) fortgesetzt. „Der Wolf des Ungenügens“, läßt der Autor Kurfürst Joachim I. die Symbolik des Titels erläutern, „der ewig sich wandelnde, der Wärwolf der Welt, der von Anbeginn losgelassen ist – er wird sie fressen, Altäre und Throne, den Mond, die Sterne auch…“ Der Kurfürst versucht, sich dem zunehmenden Einfluß des Protestantismus in seinem Land entgegenzustemmen. Vier Jahre nach seinem Tod aber führt sein Sohn und Nachfolger Joachim II. den lutherischen Glauben in Brandenburg ein.

Die literarischen Eigenarten von Willibald Alexis sind in diesen beiden Büchern voll ausgeprägt: Eine spannende, konfliktreiche Handlung, die am Ende aufgelöst wird; das historisch verbürgte, genau erforschte Sujet Brandenburg-Preußens; sowie sein patriotischer Anspruch: viele seiner Bücher heißen im Untertitel: „Vaterländischer Roman“. Ablesbar sind aber auch die Mißlichkeiten seiner Poetik: ein unbestreitbarer Provinzialismus, die Verliebtheit in Details, die auf den Leser ermüdend wirkt, sowie der schwerfällige Erzählduktus. Der eine Generation später geborene Preußen-Chronist Theodor Fontane, dessen grandioses Gesamtwerk sich – von heute aus betrachtet – vor das OEuvre von Alexis gestellt hat, meinte dazu: „Hätte sich Willibald Alexis entschließen können, das Ganze knapp novellistisch zu behandeln…, so würde diese Erzählung eine Zierde unserer Literatur und völlig einzigartig sein.“

Der Erzähler, Lustspieldichter, Herausgeber, Publizist und Übersetzer Willibald Alexis wurde unter dem bürgerlichen Namen Wilhelm Häring in Breslau geboren, wo er als Kind die napoleonische Belagerung erlebte. Der Vater war zu dieser Zeit schon tot, die Mutter zog mit den Kindern zu Verwandten nach Berlin. Der befreiende Einzug der russischen Kosaken dort Anfang März 1813 begeisterte den Gymnasiasten. 1815 nahm er als freiwilliger Jäger an den letzten Befreiungskämpfen gegen Napoleon teil. Ab 1817 studierte er in Berlin und Breslau Jura und war anschließend in der preußischen Hauptstadt als Kammergerichtsreferendar tätig. Nach dem ersten Erfolg des romantisierenden Romans Walladmor (1824) wurde er freischaffender Schriftsteller.Walladmor und auch den zweiten Roman Avalon gab er – ein publikumswirksamer Kunstgriff, nicht der erste und einzige dieser Art in der deutschen Literatur – als freie Übersetzung von Werken des damals sehr populären Engländers Walter Scott aus. Hermann August Korff, der später berühmt gewordene Leipziger Literaturprofessor und Verfasser des vierbändigen KlassikersGeist der Goethe-Zeit, schrieb seine Heidelberger Dissertation über Scott und Alexis: Eine Studie zur Technik des historischen Romans.

Alexis war als Mitarbeiter für verschiedene Zeitungen, so für dieVossische Zeitung, tätig. 1830 brachte er seinen ersten in der Mark Brandenburg spielenden Roman, Cabanis, heraus, ein Buch über den Siebenjährigen Krieg. Seine Verehrung für den Preußenkönig Friedrich II. ist unverkennbar, doch liegen die Stärken des Buches weniger in der Heldenverehrung als vielmehr in den Schilderungen sozialer Milieus. 1838 heiratete er die Engländerin Laetitia Perceval. Sein Haus wurde zum literarischen Treffpunkt, wo unter anderem Friedrich de la Motte Fouqué, Ludwig Tieck und der junge Theodor Fontane miteinander bekannt wurden.

Der Roman Der Roland von Berlin (1840) zählt zu seinen bekannteren Werken. Er spielt von 1442 bis 1470. Die Feindschaft zwischen den Städten Berlin und Cölln wird vom Kurfürsten Friedrich II. („dem Eisernen“) geschickt ausgenutzt und mündet in einen Sieg über das patrizische Bürgertum ein, der durch den Sturz der Roland-Säule als Symbol städtischer Unabhängigkeit besiegelt wird. Der Roman Ruhe ist die erste Bürgerpflicht (1852) – der Titel geht auf den vielzitierten Aufruf des preußischen Ministers von der Schulenburg beim Einmarsch Napoleons in Berlin zurück – entrollt ein Panorama der Berliner Gesellschaft in den Jahren 1805/06. Das alte Preußen, innen morsch und nach außen kraftlos, sucht verzweifelt Halt im Mythos Friedrich II. und ist überhaupt nicht in der Lage, dem Expansionsdrang Napoleons entgegenzutreten. Beispielhaft für Verfall und Erstarrung steht die Affäre um die Giftmörderin Lupinus, die ihren Mann, einen Diener und die beiden Kinder ihres Schwagers umbringt. Die verlorene Schlacht bei Jena und Auerstedt läutet das Ende des maroden Staatswesens ein. Der FolgeromanIsegrimm (1854) führt die Handlung bis zum Frieden von Tilsit und der Ernennung des Freiherrn vom Stein zum Minister fort. Ein Epilog skizziert das Nachleben der Figuren bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Geplant war eine Trilogie, der dritte Roman blieb aber unausgeführt.

Die Stoffwahl mag den Historiker Heinrich von Treitschke, der für eine deutsche Einigung unter Preußens Führung kämpfte, veranlaßt haben, Alexis als Propagandisten von Hohenzollern- und Preußenherrlichkeit zu verstehen. Das Königshaus schätzte die Intentionen des Schriftstellers anders und wohl auch zutreffender ein. Alexis war, obgleich überzeugter Monarchist, Mitarbeiter liberaler Zeitschriften, die einen oppositionellen Geist verbreiteten. Als er sich einmal mit einer Beschwerde über die Zensur an Friedrich Wilhelm IV. wandte, antwortete ihm der Monarch, der am Gedanken des „Gottesgnadentums“ festhalten und keine Verfassung zwischen sich und seinem Volk dulden wollte, mit unerwarteter Schärfe: Von einem Manne seiner Einsicht und seines Talents, so der Romantiker auf dem Königsthron, hätte er besseres erwartet. Er rechnete Alexis denen zu, „die es sich zum Geschäft machen, die Verwaltung des Landes durch hohle Beurteilung ihres Tuns, durch unüberlegte Verdächtigung ihres nicht von ihnen begriffenen Geistes vor der großen meist urteilslosen Masse herabzusetzen“.

Willibald Alexis zog sich aus dem politischen Leben zurück. Er arbeitete als Buchhändler, Immobilienmakler und unternahm 1847/48 eine längere Italienreise. Von 1842 bis 1862 gab er für Brockhaus den Neuen Pitaval heraus, eine populäre Sammlung von Kriminalgeschichten. 1852 übersiedelte er von Berlin in das thüringische Arnstadt, wo er 1856 einen Gehirnschlag erlitt. 1860 folgte ein zweiter Schlaganfall. Fortan war er ein gebrochener Mann und auf die Unterstützung der Deutschen Schillerstiftung, die notleidenden Autoren half, angewiesen. 1867 erhielt er immerhin den Hohenzollerschen Hausorden. Er starb rund ein Jahr nach der unter preußischer Führung vollzogenen Reichsgründung im Alter von 73 Jahren.

Weitere Werke: Die Treibjagd. Versepos. Berlin 1820. – Walter Scott: „Das Gedicht des letzten Minstrels: ein Gedicht in sechs Gesängen“. Übersetzt von Willibald Alexis. Zwickau 1824. – Alladmor. Roman. Leipzig 1827. – Cabanis: vaterländischer Roman. Berlin 1832. Neuauflage: Leipzig 1912, hrsg. und gekürzt von Helmut Neumann. – Der Roland von Berlin. Leipzig 1840. Neuauflage: Berlin 1987. – Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländischer Roman. Berlin 1851. Neuauflage: Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1985. – Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländischer Roman. Berlin 1846. Neuauflage: Berlin 1985. – Der Wärwolf. Vaterländischer Roman in drei Büchern. Berlin 1848. Neuauflage: Berlin 1894. – Isegrimm. Vaterländischer Roman. Berlin 1854. – Gesammelte Werke o. O. 1861/66, 18 Bände; 1874, 20 Bände. – Als Kriegsfreiwilliger nach Frankreich 1815. Leipzig 1915. – Vaterländische Romane: acht Bände. Hrsg. von Ludwig Lorenz und Adolf Bartels. Leipzig 1912-1925. – Eine Jugend in Preußen. Erinnerungen. Berlin 1991. – Reise durch Ostdeutschland, Süddeutschland und die Schweiz. Berlin 1992.

Lit.: Hermann August Korff: Scott und Alexis. Eine Studie zur Technik des historischen Romans, Diss. Heidelberg 1907. – Theodor Fontane: Willibald Alexis (in: Gesammelte Werke, 2. Ser., Bd. 9, Berlin o. J. S. 169-218). – Paul K. Richter: Willibald Alexis als Literatur- und Theaterkritiker, Berlin 1931, Neuauflage: Nendeln/Liechtenstein 1967. – Lionel Thomas: Willibald Alexis. A German writer of the 19th century. Oxford 1964. – Wolfgang Beutin: Königtum und Adel in den historischen Romanen von Willibald Alexis. Berlin 1966. – Willibald Alexis „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ (1852), in: Horst Denkler (Hrsg.): Romane und Erzählungen des bürgerlichen Realismus. Neue Interpretationen, Stuttgart 1989, S. 65-79. – Wolfgang Gast: Der deutsche Geschichtsroman im 19. Jahrhundert: Willibald Alexis. Untersuchungen zur Technik seiner ‘vaterländischen Romane’. Freiburg i. Br. 1972. – Fritz Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848-1898. Stuttgart 1974, S. 940 ff. – Anni Carlssohn: Willibald Alexis – ein Bahnbrecher des deutschen Romans. Zeitschrift für deutsche Philologie 102, (1983), S. 541-563. – Lynne Tatlock: Willibald Alexis’ Zeitroman „Das Haus Düsterweg and the Vormärz“. Frankfurt a.M./Bern [u.a.] 1984. – Eberhard Schütte: Brandenburgisches Welttheater. Zu den „Vaterländischen Romanen“ von Willibald Alexis, in: Deutsches Vierteljahresheft für Literaturwissenschaftund Geistesgeschichte 61 (1987), S. 480-509. – Henri Poschmann: Nachwort zur Neuausgabe des „Roland von Berlin“, Berlin 1987, S. 763-782. – Wolfgang Beutin (Hrsg.): Willibald Alexis (1798–1871). Ein Autor des Vor- und Nachmärz, Bielefeld 2000 (Vormärz-Studien; 4).

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Willibald_Alexis

Bild: Süddeutscher Verlag München.

Thorsten Hinz