Aus der kleinen Hauptstadt des eine geschlossene Kessellandschaft bildenden ostdeutschen Grenzlandes „Grafschaft Glatz“ ging eine nicht geringe Zahl von Persönlichkeiten hervor, die in die Weite drangen und außerhalb ihrer Heimat viel Ansehen erlangten. Äußerlich am höchsten stieg eine Persönlichkeit auf, die heute völlig vergessen ist: Michael Friedrich Graf von Althann.
Er wurde in Glatz als Sohn des kaiserlichen Landeshauptmanns der Grafschaft, Michael Wenzel Graf von Althann geboren (Taufe 21. Juli 1682*). Er besuchte das Jesuitengymnasium der Vaterstadt, wählte den geistlichen Stand, empfing nach dem Studium in Olmütz und Breslau 1709 die Priesterweihe; der Hochbegabte vervollkommnete aber auch seine Kenntnisse in fremden Sprachen und trieb bei den Jesuiten in Rom Studien in Philosophie und Rhetorik. 1710 erwarb er die theologische, 1714 die juristische Doktorwürde. Leicht fand er Zutritt zum kaiserlichen Hofe in Wien und gelangte zu einträglichen geistlichen Pfründen, vor allem in Prag, Olmütz und Breslau. Einen weiteren Aufstieg bedeutete die Ernennung zum Auditor am Päpstlichen Gerichtshof (Rota Romana) in Rom. Dreimal war er auch Rektor der Deutschen Nationalstiftung in Rom, der berühmten „Anima“, deren Kirche der Mittelpunkt der deutschsprachigen Katholiken in Rom war. Der Weg des ehrgeizigen Mannes ging steil aufwärts. Karl VI., Römisch-deutscher Kaiser, ernannte ihn zum Bischof von Waitzen in Ungarn, Papst Clemens XI. erhob den 39jährigen 1719 zum Kardinal der römischen Kirche. Auch die weltlichen Ehren häuften sich. Er legte den Eid als Kaiserlicher Wirklicher Geheimer Rat ab und wurde sodann zum Gesandten des Kaisers am päpstlichen Hofe ernannt. Althann ist der einzige Grafschafter, dem der Purpur zuteil wurde. Als kaiserlicher Gesandter begann er in Rom ein Leben in Glanz und Macht. In dieser Eigenschaft drängte er zunächst auf die Erhebung des Bistums Wien zum Erzbistum, die in der Tat nach einiger Zeit erfolgte; dann forderte der österreichische Botschafter das Patronatsrecht über die heiligen Stätten im Gelobten Lande, war aber auch erfolgreich bemüht, die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Wien zu verbessern. Bald stellte sich Althann eine noch größere Aufgabe.
1721 starb Papst Clemens XI. Bei der kommenden Papstwahl hatte Althann eine Doppelfunktion. Als Kardinal war er Mitglied des Konklaves, als Botschafter des Kaisers, der immer noch das Vetorecht wahrnahm, hatte er genaue Weisungen erhalten. Mit ungewöhnlichem diplomatischem Geschick erreichte er, daß der Kandidat seines Kaisers Papst wurde, als Innozenz XIII. von allen 54 Kardinalen einstimmig gewählt – ein seltener Fall! Kaiser Karl VI. belohnte seinen erfolgreichen Botschafter königlich: Althann wurde als Stellvertreter des Kaisers Vizekönig von Neapel. Dieses Amt übte er 1722-1728 aus. Als er unter dem Donner der Kanonen und unter dem Jubel des Volkes an Land gegangen war, hatte aber eine seelische Tragödie begonnen. Dem Vizekönig zur Seite stand der sog. „Kollateral“, fünf rechtsgelehrte Regenten, drei Neapolitaner und zwei Spanier. Mit höchstem Mißtrauen betrachteten sie und die Patrizier den Deutschen aus der fernen Grafschaft Glatz, der mit besten Absichten die Herrschaftsform der Theokratie praktizieren wollte. Ein beispielloses Intrigenspiel begann. Alle Sorgfalt, die Althann als Vizekönig anwandte, half nichts dagegen, und je länger die Amtszeit dauerte, um so tiefer mußte er in einen Sumpf der Korruption blicken. Langsam verlor er auch, vom Kollateral denunziert, die Gunst Karls VI. Zudem blieb Althann als Vizekönig innerlich Kardinal der römischen Kirche. Als er aus Anlaß einer Diözesansynode gegen den Kaiser den Standpunkt der Kirche vertrat, würdig und mutig, war das Einvernehmen tief zerstört. Ein Lichtpunkt für den kunstsinnigen Vizekönig war das blühende Theaterleben. Althanns Name blieb verknüpft mit dem Pietro Metastasios, des beliebtesten italienischen Autors seiner Zeit.
Als Karl VI. des Glatzers Amtszeit nicht um drei weitere Jahre verlängerte, atmete dieser förmlich auf. Angewidert von den Intrigen seiner Feinde, verließ er Neapel, begab sich nach Rom und von dort nach seinem Bistum Waitzen in Ungarn. Hier widmete er sich mit vollem Eifer seiner Diözese.
Ein Wohltäter der Armen zu sein, lag ihm am meisten am Herzen. Der als geistlicher und weltlicher Machtmensch begonnen hatte, beschloß als sozialer Bischof sein Leben in einer großen Läuterung. Unerwartet starb er am 20. Juni 1734.
Lit.: Neue Deutsche Biographie I, 1953 (hier weitere Literatur); Karl Schindler, So war ihr Leben, 1975, Seite 27/41. – Joachim Bahlcke, Michael Friedrich Graf von Althann, in: Arno Herzig (Hrsg.): Schlesier des 14. bis 20. Jahrhunderts (= Schlesische Lebensbilder, Bd. 8),Neustadt an der Aisch 2004, S. 129–140. – Joachim Bahlcke, Zwischen Wien und Rom. Sozialer Aufstieg und kirchenpolitisches Selbstverständnis des Waitzener Bischofs Kardinal Michael Friedrich Graf von Althann (1680–1734), in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte, Bd. 55, 1997.
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Friedrich_von_Althann
* Hinweis auf den Tag der Taufe gemäß der Taufurkunde im Archiv der Rota Romana in Vatikan von Blasius G. Nagy)
Karl Schindler