Biographie

Angelus Silesius (Johann Scheffler)

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: religiöser Dichter
* 25. Dezember 1624 in Breslau
† 9. Juli 1677 in Breslau

Der Epigrammatiker, Lyriker und Kontroversschriftsteller Johannes Scheffler, der heute allgemein unter seinem Dichternamen „Angelus Silesius“ bekannt ist, wurde 1624 in Breslau als Sohn eines wohlhabenden polnischen Adeligen geboren. Sowohl der aus Krakau gebürtige Vater, der 1618 aus konfessionellen Motiven nach Schlesien eingewandert war, als auch die Mutter waren protestantisch. Nach dem Besuch des Breslauer Elisabeth-Gymnasiums ging Scheffler zum Studium der Medizin und des Staatsrechts nach Straßburg, Leyden und Padua, wo er 1648 zum Doktor der Philosophie und der Medizin promoviert wurde. Ein Jahr nach seinem Doktorat trat er im niederschlesischen Oels beim lutherischen Herzog Sylvius Nimrod von Württemberg-Oels als Leibarzt in Dienst, wo er intensiv geistliche Schriftsteller las und sich weiter in theologische Fragen vertiefte. Hier fand Scheffler auch Anschluß an den schlesischen Mystikerkreis um Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko von Reigersfeld. 1652, wenige Monate nach dem Tod Franckenbergs, gab er sein Hofamt jedoch auf, kehrte nach Breslau zurück und trat im Juni 1653 zur römisch-katholischen Kirche über. Mit seiner Konversion nahm Scheffler den Zunamen „Angelus“ an, dem er später, um nicht mit einem zeitgenössischen lutherischen Theologen gleichen Namens verwechselt zu werden, noch den Zusatz „Silesius“ beifügte.

Äußerer Anlaß für den Konfessionswechsel, der innerlich ohne Zweifel längst vorbereitet gewesen war, war ein Konflikt Schefflers mit dem Oelser Hofprediger aufgrund einer nicht erteilten Druckerlaubnis für eine kleine, seinen Freunden als Geschenk zugedachte Anthologie mit Mystikertexten. Durch seine Konversion, die innerhalb wie außerhalb Schlesiens ungeheures Aufsehen erregte, wurde Scheffler vollends in die konfessionspolitischen Auseinandersetzungen nach dem Dreißigjährigen Krieg hineingezogen. In den folgenden Jahren veröffentlichte der in zahlreichen Flugblättern als jesuitischer Marktschreier karikierte Scheffler, der durch den neu ernannten Fürstbischof von Breslau und kaiserlichen Oberhauptmann in Schlesien, Sebastian von Rostock, politisch ebenso protegiert wurde wie durch den Zisterzienserabt Bernhard Rosa von Grüssau, insgesamt 55 teils wissenschaftlich-theologische, teils populär-apologetische Traktate.

Eine für die konfessionell-verfassungsrechtlichen Konflikte nach 1648 typische Kontroverse, die das schlesische Religionswesen, insbesondere die Lage des schlesischen Protestantismus, zum Thema hatte, führte Scheffler in den siebziger Jahren beispielsweise mit dem Leipziger Professor Valentin Alberti. Dieser, ebenfalls ein gebürtiger Schlesier, zählte zu den kompromißlosesten Vertretern der orthodox-lutherischen Theologie im Reich. In einem halben Dutzend hin- und herwechselnder Streitschriften ging es im engeren Sinne, so der Titel der Eröffnungsschrift Schefflers, um die Frage, „Ob die Lutheraner in Schlesien der in Instrumento pacis denen Augspurgischen Confessions-Verwandten verliehenen Religions-Freyheit sich getrösten können“. Hier wurde publizistisch die Legitimität der kaiserlichen Religionspolitik auf theologischer Ebene ausgetragen. Eines der zentralen Argumente Schefflers gegen diese Auffassung war, daß die evangelischen Schlesier sich der im Friedensvertrag zugesicherten Religionsfreiheit allein schon deshalb selbst beraubt hätten, weil man sich in Religionssachen des öfteren an auswärtige Höfe gewandt habe, dies aber ausdrücklich dem Wortlaut des Vertragswerkes widerspreche. Als kontrovers-theologische Predigthilfe legte er 39 ausgewählte Streitschriften gegen die Protestanten unter dem Titel „Ecclesiologia Oder Kirche-Beschreibung“ im Jahr 1677 nochmals im Druck vor.

Biographisch ist über die Jahre seit seiner Konversion vergleichsweise wenig bekannt. Vermutlich blieb Scheffler in Breslau und widmete sich dem Studium der katholischen Glaubenslehre. Seine exzentrische, heftige Natur machte den 1654 durch Ferdinand III. ehrenhalber zum kaiserlichen Hofmedikus ernannten Konvertiten, namentlich nach seiner im Mai 1661 in Neisse empfangenen Priesterweihe, allerdings zu einem maßlosen, verbissenen Polemiker und schroffen Vorkämpfer der vom Wiener Hof forcierten Gegenreformation in Schlesien. In Prozession und Wallfahrt trat er bewußt ein in die Reihen derecclesia militans. Anschaulich schrieb der Jesuit Daniel Schwartz später in seiner Leichenrede auf Scheffler, dieser sei bei seiner ersten Wallfahrt gen Trebnitz nicht als ein „Privat Clericus, und minderer Priester“, sondern als ein „Engel und Gottes-Both, unerschrocken und unüberwindlich vorangegangen, mit einer brennenden Fackel in der Lincken, mit einem Crucifix in der Rechten, mit einer dörnern Cron auff dem Haupt, mit einem Seraphischen Eyfer und resolution im Hertzen“. Nach einer kurzen Tätigkeit als Hofmarschall, Leibarzt und Rat des Breslauer Bischofs zog sich Scheffler schließlich 1666 ins St. Matthias-Stift zurück, um sich ganz seiner schriftstellerischen und Übersetzungsarbeit widmen zu können. Hier starb er nach längerem Leiden am 9. Juli 1677. In der Stiftskirche der Kreuzherren mit dem roten Stern, mit denen er sich Zeit seines Lebens eng verbunden gefühlt hatte, wurde er auch begraben.

Berühmt wurde der religiöse Barockpoet vor allem durch zweiDichtwerke, die 1657 in Wien publizierten „Geistreichen Sinn- und Schlußreime“, die in Glatz 1675 in einer erweiterten Zweitauflage unter dem Titel „Cherubinischer Wandersmann, oder Geist-Reiche Sinn- und Schluß-Reime zur Göttlichen Beschauligkeit anleitende“ erschienen, und die ebenfalls 1657 in Breslau gedruckten „Heilige Seelen-Lust Oder Geistliche Hirten-Lieder Der in jhren JESUM verliebten Psyche“. Der „Cherubinische Wandersmann“ stellt eine Sammlung von über 1600 brillant formulierten Aphorismen dar, die nach dem Vorbild von Czepkos „Sexcenta monodisticha Sapientium“ in meist zweizeiligen, antithetisch gebauten Alexandrinern abgefaßt sind. In den meisterhaft knappen religiösen Sinnsprüchen über das Verhältnis des Menschen zu Gott und zur Ewigkeit, die, so Scheffler in seiner Vorrede, viele „seltzame paradoxa“ oder scheinbar „widersinnische Reden“ enthalten, verarbeitete der Autor mystisches Gedankengut von Dionysius Areopagita über Meister Eckhart bis zu Valentin Weigel und Jakob Böhme. In seiner Liedsammlung „Heilige Seelen-Lust“, wo er die Lieder der „Welt-Verliebten, welche von ihrer schnöden und blinden Liebe so viel singen und sagen“ durch geistliche Gesänge „der Braut Christi zu ihrem Bräutigam“ ersetzte, wählte er Motive und Einkleidungen aus der Gesellschaftslyrik, aus dem modischen Schäferspiel und der galanten Liebesdichtung.

Die beiden zur göttlichen Beschaulichkeit und Liebe anleitenden geistlichen Dichtungen, die Epigramme und die Sammlung von Andachtsliedern, verdeutlichen zugleich die traditionellen Wege der mystischen Annäherung an Gott und der Vereinigung mit ihm: den intellektuellen, auf Erkenntnis ausgerichteten Weg über die scharfsinnige Reflexion und, gleichsam als notwendige seraphische Ergänzung zur cherubischen Gottesschau, den affektiven Weg über die Sinne. In der zweiten, vermehrten Ausgabe des „Cherubinischen Wandersmann“ erklärte Scheffler dem Leser seine Absicht mit folgenden Worten: „Glückseelig magst du dich schätzen, wann du dich beyde lässest einnehmen, und noch bey Leibes Leben bald wie ein Seraphin von himmlischer Liebe brennest, bald wie Cherubin mit unverwandten augen Gott anschawest“. Einige von Schefflers geistlichen Liedern gehören bis heute zum Liedgut beiderKonfessionen. Weniger bekannt sind heute dagegen seine Übersetzung der mystischen, 1545 in Köln gedruckten Schrift „Margarita Evangelica“ (Evangelische Perle, Glatz 1676) ins Deutsche und sein als Bekehrungsaufruf gedachtes, in Schweidnitz 1675 erschienenes letztes poetisches Werk „Sinnliche Beschreibung Der Vier Letzten Dinge Zu heilsamen Schröken und Auffmunterung aller Menschen“. In dieser für die katholische Missionsliteratur typischen Mahnpredigt in 309 Strophen über den Tod, das Jüngste Gericht, die ewigen Peinen der Verdammten und die nicht endenden Freuden der Seligen wird den Gläubigen das Paradies verheißen, während den Ungläubigen in gezielt drastisch-übertreibender Sprache die Höllenstrafen angedroht werden.

Lit.: Joachim Bahlcke: Religion und Politik in Schlesien. Konfessionspolitische Strukturen unter österreichischer und preußischer Herrschaft (1650–1800), in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 134 (1998), S. 33–57. – Louise Gnädinger: Angelus Silesius, in: Harald Steinhagen/Benno von Wiese (Hg.): Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk, Berlin 1984, S. 553–575. – Arno Lubos: Geschichte der Literatur Schlesiens, Bd. I/1, Würzburg 1995. – Ernst Otto Reichert: Johannes Scheffler als Streittheologe. Dargestellt an den konfessionspolemischen Traktaten der „Ecclesiologia“, Gütersloh 1967. – Hans-Joachim Pagel: Angelus Silesius, Stuttgart 1985. – Jeffrey L. Sammons: Angelus Silesius, New York 1967. – Karl Viëtor: Johann Scheffler, in: Schlesische Lebensbilder, Bd. 3: Schlesier des 17. bis 19. Jahrhunderts. Hg. v. Friedrich Andreae u.a., Sigmaringen21985 [Breslau11928], S. 78–89.

Werke: Angelus Silesius. Sämtliche poetische Werke, Bde. 1–3. Hg. v. Hans Ludwig Held, München 31949–1952 [11922–1923]. – Angelus Silesius. Sämtliche poetische Werke und eine Auswahl aus seinen Streitschriften. Hg. v. Georg Ellinger, Bde. 1–2, Berlin [1923].

Bild: Gemälde nach unbekanntem Künstler, nach 1677 (Kloster Grüssau, Schlesien).

Joachim Bahlcke