Biographie

Aufricht, Ernst Josef

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schauspieler, Theaterdirektor
* 31. August 1898 in Beuthen/Oberschlesien
† 24. Juli 1971 in Cannes

„Ich wurde in Beuthen, Oberschlesien, in der Bahnhofstraße, wo laut Heeresbericht die ersten Granaten des Zweiten Weltkrieges einschlugen, Ende des vorigen Jahrhunderts geboren.“ Mit diesem Satz beginnt Ernst Josef Aufricht, der als ältester von drei Söhnen eines wohlhabenden jüdischen Holzgroßhändlers zur Welt kam, seine Lebenserinnerungen. Sie tragen den Titel Erzähle, damit Du Dein Recht erweist. Als der Knabe vier Jahre alt war, zog die Familie in das benachbarte Gleiwitz, wo er das humanistische Königlich-Katholische Gymnasium besuchte. Vom Vortragskünstler Marcel Salzer beeindruckt, veranstaltete der literarisch interessierte Gymnasiast Rezitationsabende, auf denen vor allem Dramen von Goethe und Schiller mit verteilten Rollen gelesen wurden.

Als Freiwilliger meldete sich der Siebzehnjährige zur Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Er wurde Feldartillerist in Posen, war aber nur garnisonsdienstfähig. Auf die Begeisterung bei Kriegsausbruch folgte die Ernüchterung nach Kriegsende. Angesichts der Kriegsopfer wurde Aufricht Pazifist und angesichts der Armut Sozialist. Während der Militärzeit hatte er Gelegenheit, in Berlin eine Aufführung der TragödieDer Erdgeist von Frank Wedekind zu sehen, in der Ludwig Hartau die Rolle des Zeitungsverlegers Dr. Schön spielte. Die Begegnung mit diesem großartigen Schauspieler führte dazu, daß sich Aufricht für den Schauspielerberuf entschied.

Gegen den Willen seines Vaters, der für den Sohn ein Medizinstudium vorsah, hielt Aufricht an seinem Berufsziel fest. Er ging nach Berlin und nahm – nach nur kurzem medizinischen Studium – bei Ludwig Hartau Privatunterricht in der Schauspielkunst. Sein erstes Engagement als Schauspieler erhielt er 1920 am Staatstheater in Dresden, wo er bis 1923 blieb. Danach war er an folgenden Berliner Bühnen tätig: 1923/24 am Deutschen Lustspielhaus, 1924/25 am Deutschen Künstlertheater, 1925/27 am Volkstheater und 1927/28 am Thaliatheater.

Zusammen mit Berthold Viertel, der sich als Regisseur am Dresdner Staatstheater auf moderne Autoren spezialisiert hatte, gründete Aufricht 1923 in Berlin das Ensemble „Die Truppe“, für das er das Lustspielhaus an der Friedrichstraße mietete. Zur Eröffnung wurde die Shakespeare-KomödieDer Kaufmann von Venedig aufgeführt, die trotz hervorragender Besetzung kein Erfolg wurde. Zur „Truppe“ gehörten so arrivierte Schauspieler wie Paul Bildt, Rudolf Forster, Heinz Hilpert, Fritz Kortner, Lothar Müthel, Erich Ponto und Aribert Wäscher. Das geradezu revolutionäre Ziel dieses Ensembles bestand darin, daß seine Mitglieder für eine Einheitsgage spielten, am Reingewinn beteiligt wurden und sich verpflichteten, die Probenarbeit nicht für den Film zu unterbrechen. Denn wegen der wachsenden Inflation wechselten damals viele Schauspieler zu dem neuen Medium.

1928 pachtete Aufricht mit finanzieller Unterstützung seines Vaters das Theater am Schiffbauerdamm in Berlin, dessen Direktor er bis Ende der Spielzeit 1931 war. Nach nur vier Wochen Probenzeit wurde das Theater am 31. August 1928 mit der Uraufführung der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht eröffnet. Die Regie führte Erich Engel, das Bühnenbild entwarf Caspar Neher und für die Einstudierung der Songs war Theo Mackeben verantwortlich. Bertolt Brecht und Kurt Weill waren von der guten Besetzung der Rollen beeindruckt. Zu dieser Aufführung merkt Aufricht in seinen Memoiren an: „Ich wußte nicht, daß dieser Abend als der größte Erfolg der zwanziger Jahre in die Theatergeschichte eingehen wird.“ Tatsächlich erwarben sehr viele in- und ausländische Bühnen die Aufführungsrechte für die Dreigroschenoper, so daß der erst dreißigjährige Aufricht diesem Werk zu Weltruhm verhalf.

Im März 1933 emigrierte der berühmte Theaterdirektor in die Schweiz, dann nach Frankreich. In Paris wandte er sich wieder dem Theater zu, ohne jedoch besonders erfolgreich zu sein. Wohl deshalb wurde er in der Landwirtschaft tätig, mit der er auf dem schlesischen Gut Adelsbach, einem Familienbesitz im Waldenburger Bergland, von Jugend auf vertraut war. In der Nähe von Deauville an der normannischen Küste pachtete er eine Farm, die er als Lehr- und Ausbildungsbetrieb führte. Nach Paris zurückgekehrt, gelang es ihm, das Théâtre de l’Etoile zu mieten, in dem er für das zur Pariser Weltausstellung 1937 erwartete Publikum die inzwischen international bekannte Dreigroschenoper unter dem französischen Titel L’Opéra de quat’sous auf die Bühne brachte. Obwohl die Premiere eine gute Presse hatte und das Werk 50 Aufführungen erlebte, wurde es nicht zum Publikumsrenner.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich flüchtete Aufricht 1941 in die USA. Seinen ersten Eindruck von New York gibt er in den Memoiren folgendermaßen wieder: „Wir fuhren durch Brooklyn und über die endlose düstere Brooklynbridge, deren tausende Tonnen von Eisen mich bedrückten. Die Kantstraße [in Berlin] ist keine Schönheit, das rußige Oberschlesien gewiß nicht, die Häuser aber, die hier die Spekulation zusammengehauen hatte, mit dem fixierten Gestänge der Feuerleitern an der Vorderfront und den unförmigen Wasserbehältern auf den Dächern, waren von einer penetranten Häßlichkeit.“ In New York versuchte Aufricht am Broadway Fuß zu fassen. Für das Radio produzierte er die HörspielserieDie Schulzes in Yorkville, die der politischen Aufklärung der Deutsch-Amerikaner dienen sollte.

Nachdem Aufricht in New York zum katholischen Glauben konvertiert war – Pater Benno Aichinger, der ehemalige Generalobere des Kapuzinerordens, spendete ihm die Taufe –, kehrte er schließlich 1953 aus der Emigration nach Berlin zurück, wo er noch 1955 im Stück Herr Nachtigall von Claus Hubalek auf der Bühne stand, dort, wo er einst als Theaterdirektor das Theaterleben der Weimarer Republik nicht unwesentlich beeinflußt hatte.

Lit.: Ernst Josef Aufricht: Erzähle, damit Du Dein Recht erweist. Berlin 1966. – Georg Hensel: Spielplan. Schauspielführer von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin 1966. – Günther Rühle: Theater für die Republik 1917-1933. Im Spiegel der Kritik. Frankfurt a.M. 1967. – Herbert Ihering: Von Reinhardt bis Brecht. Hamburg 1967.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Josef_Aufricht

Waldemar Zylla