Biographie

Augsburger, Stefan

Herkunft: Donaugebiet, Ungarn
Beruf: Geistlicher, Parlamentarier, Journalist, Historiker, Dichter, Philosoph
* 14. Juli 1840 in Filipowa/ Batschka
† 19. Januar 1893 in Filipowa/ Batschka

Stefan Augsburger wurde am 14. Juli 1840 – wahrscheinlich als achtes von elf Kindern von Johann und Barbara Augsburger, geb. Merkl – in Filipowa in der damals zu Ungarn gehörenden Batschka geboren. Im Jahre 1861 kam er als Theologiestudent der Erzdiözese Kalotscha nach Wien, war bis 1863 Alumne des ungarischen Priesterseminars Pazmaneum und Student an der Theologischen Fakultät der Universität Wien. Die Noten der bestandenen Prüfungen an der Universität sind allgemein gut. In den Leumundszeugnissen der Seminarvorsteher im Protokoll der Jahre 1861-1863 wird besonders sein Fleiß und sein Lerndurst betont. Während seine intellektuelle Begabung nicht überschätzt wird, erfährt sein Gefühlsreichtum auffallendes Lob. In den genannten Unterlagen des Pazmaneums berichtet der spätere Rektor Anton Lepold: „Eine Wärme war bei seiner Rede fühlbar, eine Fähigkeit, Gefühle auszusprechen und solche zu erwecken. Er war sehr liebenswürdig, ein Liebling der Kameraden. Also, man erkannte in ihm schon damals den Dichter, der nicht auf dem kalten Geleise der Logik fährt, sondern Wege zur Kunst sucht.“

Nach seinem Studium erhielt Augsburger 1863 die Priesterweihe. Wegen der zunehmenden Magyarisierungspolitik, die in den 1840er Jahren eingesetzt hatte und eine Gleichsetzung Ungarns mit der ungarischen Nationalität herbeizuführen versuchte, nahm er zur Verbesserung seiner Karrieremöglichkeiten den ungarischen Familiennamen Rónay an, machte seine Lehrjahre in Stanischitsch (Wachenheim), wurde 1865 Kaplan an der Stadtpfarrei Sombor und betätigte sich als Seelsorger und Katechet an den Somborer Schulen. 1866 berief ihn wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten Erzbischof Josef Sonovic nach Kalotscha, wo Augsburger-Rónay als Kanzelredner im Dom auftrat. Erzbischof Haynald erweiterte Rónays Aufgabenkreis und ernannte ihn zum Archivar und Unternotar des erzbischöflichen Konsistoriums. Rónay unterrichtete in seinen Kalotschaer Jahren als Professor der deutschen Sprache an der Lehrerbildungsanstalt und betätigte sich als journalistischer Schriftsteller. Er veröffentlichte in verschiedenen Budapester Blättern Artikel zur Ästhetik und Volkskunde sowie Reiseberichte und Buchbesprechungen.

In dieses saturierte Leben eines Karrieregeistlichen tritt im Jahre 1875 eine Wende ein. Stefan Rónay wird in seinem heimatlichen Hodschager Wahlkreis auf der Liste der regierenden Liberalen Partei zum Abgeordneten des ungarischen Reichstages gewählt. Sein Gegenkandidat ist kein Geringerer als der Oppositionspolitiker Graf Albert Apponyi.

In Budapest bezieht Rónay das Gehalt eines Abgeordneten und eine ansehnliche Wohnungszulage. Er unterliegt nicht mehr der strengen Disziplin der erzbischöflichen Aula und genießt den Schutz der Abgeordnetenindemnität. Rónay führt während drei Legislaturperioden hintereinander für neun Jahre das Leben eines Mannes der großen Welt.

Im Wahljahr 1878 wurde Stefan Rónay erneut zum Reichstagsabgeordneten gewählt. Diese zweite Kandidatur, die augen­schein­lich gegen den Willen seines geistlichen Vorgesetzten erfolgte, führte zu einem Konflikt mit Erzbischof Haynald. Da dieser den gewählten Abgeordneten nicht absetzen konnte, entfernte er ihn aus Kalotscha und versetzte ihn als Pfarrer nach Batsch-Sentiwan, was einer Verbannung ins kirchliche Exil gleichkam.

Aus Anlass seines 40. Geburtstages erfuhr Rónay durch den versöhnlicher gestimmten Erzbischof eine Ehrung. Am 20. August 1880 wurde er zum Titulardomherr des Kalotschaer Domkapitels ernannt. (Die Ernennung war von der Zustimmung des Herrschers abhängig.)

Überraschenderweise wurde Stefan Rónay bei der Reichstagswahl des Jahres 1881 ohne Gegenkandidaten durch Akklamation zum dritten Mal zum Abgeordneten des Reichstages gewählt. 1883 war Gründungsmitglied der Geschichtsgesellschaft des Komitats Bács-Bodrogh. Im kirchlichen Bereich wurde er zum Schulinspektor der katholischen Volksschulen des Apatiner Distriktes ernannt. Diese Funktion versah er in der Folgezeit bis 1885.

Nach Ablauf seines dritten Abgeordnetenmandates 1884 lassen ihn seine bisherigen finanziellen Gönner fallen, und Rónay kehrt von Budapest in seine dörfliche Umgebung zurück, nach Batsch-Sentiwan, wo er bis zu seinem Tode als Gemeindepfarrer bleibt. Es kommt nie zu einem offenen Bruch zwischen ihm und der römisch-katholischen Kirche, es gibt nur einen Konflikt mit der erzbischöflichen Behörde, dadurch allerdings auch einen Knick in seiner Karriere. In Sentiwan liest und schreibt er viel, fremde Gäste von weither gehen bei ihm ein und aus, Bücher wandern hin und her von den Sprüchen Zarathustras bis zum Dionysos-Kult der heidnischen Griechen.

Doch Augsburgers Gemüt beginnt sich zu verdüstern, es gibt Zeichen eines Herzleidens und einer beginnenden Bauchwassersucht. Zum Trost ernennt ihn Erzbischof Haynald zum Vizedechanten und Schulinspektor des Apatiner Distriktes.

Im Sommer 1888 sucht Rónay in einem Kurort der Hohen Tatra Linderung seiner Leiden. Wegen seines sich ständig verschlechternden Gesundheitszustandes entbindet ihn der Nachfolger Kardinal Haynalds, der neue Kalotschaer Erzbischof Georg Császka, 1889 seiner amtlichen Pflichten und versetzt ihn in den vorzeitigen Ruhestand. – Angeregt durch Eugen Heinrich Schmitts Gedankengänge in dessen Werk ‚Die Gottheit Christi‘ vertieft er sich in die Fragen der Religionsphilosophie und diktiert, schwer krank und an den Lehnstuhl gefesselt, seine Aphorismen.

Die Miszelle ‚Spuren der Geschichte‘ vom Jahresende 1890 ist der letzte Text, der zu Lebzeiten Stefan Augsburgers gedruckt wird. Er stirbt am 19. Januar 1893 in Batsch-Sentiwan in seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahr an Bauchwassersucht. – Die Beisetzung fand am 21. Januar auf dem Friedhof von Sentiwan statt. – Maria Gräber, die Schwester des Verstorbenen, ließ im gleichen Jahr ein Grabdenkmal von künstlerischem Wert mit dem lateinischen Gedicht „Cor cordium“ des Verstorbenen errichten.

Zu Lebzeiten Augsburgers erschien lediglich eines seiner Werke in Buchform, nämlich 1878 seine gesammelten Kanzelreden in ungarischer Sprache (deutscher Titel: ‚Felsen und Wellen‘). Ein Jahr nach seinem Tod 1894 besorgte in Augsburgers Auftrag der Freund Eugen Heinrich Schmitt eine von ihm auch mit einer Einleitung versehene Ausgabe der Aphorismen über ‚Das natürliche Christentum‘, die in Budapest in ungarischer, in Leipzig in deutscher Sprache erschien. Ebenfalls im Janssen Verlag erschienen 1894 auf 310 Seiten Augsburgers gesammelte Gedichte in deutscher Sprache, eine zweite Auflage folgte 1908, herausgegeben von Augsburgers Schwester Maria, verehelichte Gräber. Als originalgetreuer Nachdruck der deutschen Erstausgabe kam mit einem Vorwort von Michael Keller 1964 im Donauschwäbischen Heimatverlag Aalen auf 80 Seiten ‚Das natürliche Christentum‘ heraus. Augsburgers Aufsätze, Feuilletons und Buchbesprechungen wurden zwischen 1870 und 1890 in verschiedenen Budapester Zeitungen in ungarischer Sprache publiziert.

Bedeutung hat Stefan Augsburger in mehrfacher Hinsicht erlangt: zunächst ist er in verschiedenen Rollen eine aufschlussreiche Figur in der katholischen Kirche Ungarns, besonders der Erzdiözese Kalotscha. Die Rezeption seines Lebenswerkes geht somit einher mit der Wahrnehmung eines wichtigen Exponenten der geistlichen Traditionen in den deutschen Siedlungsgebieten Ungarns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Weiterhin war er Abgeordneter des ungarischen Reichstags, war im Gesellschaftsleben der ungarischen Hauptstadt eine bekannte Größe und genoss zu Lebzeiten wie auch posthum als Kanzelredner, Politiker, Journalist, Historiker, Dichter und Philosoph Anerkennung. In allen diesen Disziplinen hat er gewirkt und beachtenswerte Beiträge hinterlassen.

Ein Ausspruch von ihm, der sich auf einer Tafel seiner Kirche in Batsch-Sentiwan befand, ist Allgemeingut der donaudeutschen Geistesgeschichte geworden. Er verdichtet die Geschichte der Donauschwaben auf eine lapidare Formel: „Nicht mit dem Schwerte, / mit der Pflugschar erobert: / Kinder des Friedens, / Helden der Arbeit“.

Sein Freund und Vertrauter Eugen Heinrich Schmitt (1851-1916) schrieb über die in ungarischer Sprache verfassten Kanzelreden: „Die wenigen Reden Ronay-Augsburgers, die im Druck an die Öffentlichkeit gelangt sind, sind geradezu das Monumentalste und Gediegenste, was die ungarische Kanzelberedsamkeit aufzuweisen hat. Diese Reden werden in ihrer klassischen Schönheit für alle Zeiten eine Zierde der ungarischen Literatur bilden.“ Augsburgers Gedanken zum ‚Natürlichen Christentum‘ verglich der elf Jahre jüngere Philosoph und Publizist mit einer Reihe leuchtender Perlen, die für alle Zeiten zum schönsten Schmuck der Religion des Geistes zählen werden. Nach dem Tod des Verfassers sorgte Schmitt, wie bereits erwhnt, für die Publikation sowohl seiner Gedichte als auch seiner Aphorismen über ‚Das natürliche Christentum‘.

Viele vor allem seiner geistlichen Freunde und Landsleute aus Filipowa dagegen betrachteten Augsburger später als einen vom rechten Glaubensweg Abgewichenen. Seine Ansichten über das natürliche Christentum hielten sie für aufrührerisch, ja gotteslästerlich und fürchteten, dass er, wie die meisten liberalen Denker zuvor, ihr donauschwäbisches Volk ins Unglück stürzen könnte. Andererseits bedauerten sie Augsburger und beteten für sein Seelenheil. Sein Priesteramt beargwöhnten sie als bloße Tarnung, betrachteten jedoch das letzte Bekenntnis Augsburgers, dass er als römisch-katholischer Priester, als Pfarrer gestorben ist und bis zum Ende den von Christus geoffenbarten Glauben verkündet hat, als ausschlaggebend. Der gebildete, aus katholischer Sicht bis heute avantgardistisch-reformorientierte Freigeist blieb ihnen fremd.

Die Erschließung des schriftstellerischen Lebenswerks von Stefan Augsburger und die Edition seiner gesammelten Werke ist – nicht zuletzt aus diesem Grund – bis heute ein Desiderat geblieben. Zu seinem Werk gehören Kanzelreden, Wahl- und Parlamentsansprachen, geschichtliche und volkskundliche Ab­hand­lungen, Reiseberichte, Buchbesprechungen, Feuilletons zur Ästhetik und Rhetorik, Erzählungen, Gedichte, philosophische Aufsätze, die zusammenhängende Sammlung von Aphorismen mit dem Titel ‚Das natürliche Christentum‘, Übersetzungen und Korrespondenz.

Selbständige Veröffentlichungen zu Lebzeiten: A Szikla és a hullámok. Egyházi beszédek. Irta Rónay István, Grill Karoly, Kir. Udvari Könyvkereskedése, Budapest 1878, 93 S. (Der Fels und die Wellen. Kirchenpredigten, Ofenpest 1878), enthalten sind folgende sechs Predigten: A hetedik halálos bűn (Die siebente Todsünde), 1866 / A megváltás ellensége (Der Feind der Erlösung), 1868 / Élet hit nélkül, hit élet nélkül (Leben ohne Glauben, Glaube ohne Leben), 1871 / A szikla és a hullámok (Der Fels und die Wellen), 1876 / A nemzetek nagy egysége Krisztusban (Die große Einheit der Völker in Christus), 1877 / Az örokké bolyongó szellem (Der ewig umherirrende Geist), 1877.

Selbständige Veröffentlichungen postum: A természetes kereszténység. Aphorismák. Bevezetéssel Schmitt Jenötöl, Budapest 1894 (Das natürliche Christentum. Mit einer Einleitung von Eugen Schmitt, Ofenpest 1894). – Das natürliche Christentum. Aphorismen, herausgegeben und mit einer Vorrede von Eugen Heinrich Schmitt, Alfred Janssen, Leipzig 1894 (Übersetzung ins Deutsche des unter Nr. 1 angegebenen Werkes). – Gedichte, Alfred Janssen, Leipzig 1894, 310 S.; zweite Auflage: Alfred Janssen, Hamburg 1908 (Eine Sammlung der in deutschen Zeitschriften erschienenen Gedichte, herausgegeben von Stefan Augsburgers Schwester Maria, verehelichte Gräber). – Das natürliche Christentum. Aphorismen (originalgetreuer Nachdruck der deutschen Erstausgabe von 1894), hrsg. vom Filipowaer Heimatverein, mit einem Vorwort von Michael Keller, Verlag Heimat und Wirtschaft/ Donauschwäbischer Heimatverlag, Aalen 1964, 80 S./ Originalgetreuer Nachdruck im Studien Verlag GmbH, o. J. – Rónay István: Késő Álmok. Versek, A verseket összegyűjtötte, a bibliográfiákat készítette és a bevezető tanulmányt írta: Silling István, Eletjel, Subotica/Sabatka 1990, 64 S. (herausgegeben von Stefan Schilling mit Augsburgers ungarischen Gedichten, ausführlichen Quellenangaben und Biographie, beides ebenfalls in ungarischer Sprache).

Lit.: Michael Keller: Stefan Ronay-Augsburger, ein pannonischer Dichter und Denker, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Ausgewählte Texte aus der aktuellen Diskussion, herausgegeben von der Landsmannschaft der Donauschwaben aus Jugoslawien/Bundesverband, Heft 1, Sindelfingen 1991, S. 53-61. – Rudolf Fath: Stefan Ronay-Augsburger (1840-1893). Ein dem Donauschwabentum fremd gebliebener Priesterdichter, in: Donauschwaben-Kalender 1992, S. 75-78. – Paul Mesli/ Franz Schreiber/ Georg Wildmann (Hrsg.): Der Dichterstein in Offenhausen bei Wels …/ Stephan Ronay/ Augsburger ist …, in: Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde, Siebenter Band: Filipowa weltweit, Wien 1992, S. 296 f., 299 f.

Bild: Archiv Freundeskreis der Filipowaer

Stefan P. Teppert