Biographie

Bartsch, Alois

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Publizist, Schriftsteller
* 21. Juni 1902 in Mittelsteine, Grafschaft Glatz/Schlesien
† 13. Januar 1982 in Brilon

Am 13. Januar 2002 versammelte sich trotz tiefen Schnees auf dem Friedhof im sauerländischen Brilon eine stattliche Zahl von Männern und Frauen, die von nah und fern gekommen waren, um eines Mannes zu gedenken, der vor 20 Jahren hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat: Alois Bartsch. Wer war dieser Mann, der unvergessen ist und unvergessen bleiben soll?

Alois Bartsch wurde am 21. Juni 1902 in Mittelsteine, Kreis Neurode, Grafschaft Glatz/Schlesien, geboren. Nach dem Besuch der Volksschule in Mittelsteine, der Präparandie in Bad Landeck und des Lehrerseminars in Habelschwerdt wurde er ab 1. April 1930 Lehrer an verschiedenen Orten in der Grafschaft Glatz, bis er 1939 zum Wehrdienst einberufen wurde. 1945 glücklich aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, mußte er 1946 mit seiner Familie das Schicksal der Vertreibung aus seiner geliebten Heimat erleiden. Er kam in den Kreis Zeitz, wo er als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft arbeitete. 1948 ging er unter widrigen Umständen in den Westen und fand Aufnahme bei Geistlichem Rat Georg Goebel in Lippstadt, der sich als vertriebener Priester aus der Grafschaft Glatz stark für die Rechte und Belange aller Heimatvertriebenen einsetzte. Es begann eine fruchtbare Zusammenarbeit mit ihm.

Von 1949 bis 1955 war Alois Bartsch Lehrer in Lippstadt und von 1955 bis 1960 Rektor der St. Engelbert-Schule in Brilon. Seine hervorragenden pädagogischen Fähigkeiten wurden 1960 belohnt durch die Berufung zum Schulrat in Xanten, ein Amt, das er bis zur Pensionierung 1967 ausübte. Der Ruhestand sollte sich aber schnell als „Unruhestand“ entpuppen. Viele seiner ehemaligen Kollegen suchten ihn an seinem Alterssitz in Brilon auf, um durch seinen breiten Erfahrungsschatz bereichert zu werden. Die Weggefährten in der Heimatarbeit fanden immer wieder den Weg nach Brilon, wo Alois Bartsch mit ihnen einen intensiven Gedankenaustausch pflegte. „Von ihm wurden Anregungen und Hilfen gern angenommen, war doch seine Autorität keine künstliche, keine allein auf seinen Ämtern fußende, sondern sie entsprang dem Denken ebenso wie dem unmittelbaren Erlebnis“ (Thomas Horschler). Im „Ruhestand“ konnte sich Alois Bartsch endlich mehr der großen Begabung widmen, die ihm von Jugend an zu eigen war, der Berufung zum Schriftsteller. Schon in den 20er Jahren arbeitete er journalistisch für Tageszeitungen in der Grafschaft Glatz.

Seine Erzählungen und Gedichte erschienen in Heimatkalendern und -zeitschriften, z.B. im „Guda Obend-Kalender“, und wurden gern gelesen. Nach der Vertreibung gründete er 1949 gemeinsam mit Geistl. Rat Georg Goebel den „Grafschafter Boten“ und damit ein Stück Heimat für die nun heimatlosen und heimwehkranken vertriebenen Grafschafter. In der Sorge um die in alle Himmelsrichtungen verstreuten Landsleute schuf er im gleichen Jahr das Grafschaft Glatzer Jahrbuch „Grofschoaftersch Häämtebärnla“, das nun bereits im 55. Jahrgang für das Jahr 2003 erscheinen ist. Der „Grafschafter Bote“ ist heute die größte schlesische Heimatzeitung dieser Art. Alois Bartsch war über Jahrzehnte bis kurz vor seinem Tode Schriftleiter und Herausgeber dieser Publikationen, die das „Grafschafter Volk“ zusammenführten und zusammenhielten. Tausende folgten den in „ihrer“ Zeitung veröffentlichten Einladungen zu Treffen, Heimatfahrten und Wallfahrten. Wo immer er konnte, nahm Alois Bartsch daran teil.

Er war ein willkommener Gast, gern gesehen und gehört als Referent; denn indem er mit den Menschen zusammenkam, die ihn in die alte Heimat zurückversetzten, verstand er es, ihnen Kraft und Trost, ja, „Heimat“ zu vermitteln. Dabei halfen ihm sein unerschütterlicher Humor und die Beherrschung der Grafschaft Glatzer Mundart, der „Muttersprache“ der Grafschafter.

Und seine Bücher und Aufsätze? „Richtungweisend sind für die Leserdes ,Grafschafter Boten’ immer die Leitartikel geblieben, in denen Alois Bartsch das Bewußtsein für aktuelle Zeitfragen ebenso weckte wie er die Menschen zur aktiven Auseinandersetzung mit der Politik aufforderte“ (Thomas Horschler). Seinem umfangreichen literarischen Schaffen sind u.a. zu verdanken: die fünfbändige Dokumentation „Die Grafschaft Glatz – Deutschlands Erker, Gesundbrunnen und Herrgottswinkel“, volkskundliche Ausarbeitungen unter den Titeln „Die goldene Schnur geht um das Haus“, „Alle Wege führen in die Heimat“, „Die Mundart der Grafschaft Glatz“, die Gedichtsbände „Am Tor der Zeit“, „Bei ons derhääme“ und „Häämte, liebe, goldene Häämte“, ein Singspiel „Der Oschatoop“ und ein Stück über die Grafschafter in der Ferne „A Zoaspel aale Bekannte aus’m gleetzscha Lande“. Als bedeutendster zeitgenössischer Poet der Grafschaft Glatz wurde Alois Bartsch schon 1952 in den „Wangener Kreis“ aufgenommen, der sich der Förderung von Literatur und Kunst aus dem deutschen Osten verschrieben hat.

Es können kaum alle Aktivitäten aufgezählt werden, die Alois Bartsch für Schlesien, die Grafschaft Glatz und die vertriebenenLandsleute entwickelt hat. 1950 war er Mitbegründer der Landsmannschaft Schlesien Nordrhein-Westfalen und der „Volksgruppe Grafschaft Glatz“, aus der die heutige „Heimatgruppe Grafschaft Glatz e.V.“ entstand. 1953 wurde er von Vertretern der Stadt Neurode und der Gemeinden des Kreises Neurode zum Vorsitzenden der Neuroder Kreisversammlung gewählt. Ein gutes Verhältnis zur Patenstadt von Stadt und Kreis Neurode, Castrop-Rauxel, lag ihm sehr am Herzen.

Zu einem großen Teil ist es ihm zu verdanken, daß diese Patenschaft weit über die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus als vorbildlich anerkannt wurde. Stets forderte er dazu auf, „hinter jeden Alten einen Jungen zu stellen“, was ihm weitgehend gelang. Georg Hoffmann, der heutige Vorsitzende der Heimatgruppe Grafschaft Glatz e.V. und der Neuroder Kreisversammlung wurde schon frühzeitig von ihm als Nachfolger herangebildet, und seinen Enkelsohn Thomas Horschler befähigte er, die Schriftleitung des „Grafschafter Boten“ zu übernehmen, als er 1982 die Feder für immer aus der Hand legen mußte. Alois Bartsch war Mitglied in der Schlesischen Landesversammlung und Heimatkreis-Vertrauensmann, Ehrenmitglied des Glatzer Gebirgsvereins Berlin von 1903 und Ehrenvorsitzender der Neuroder Kreisversammlung.

Leben und Wirken von Alois Bartsch sind nicht zu denken ohne sein intensives Heimaterlebnis, dessen Dominanz für jeden – auch Jahrzehnte nach der Vertreibung – noch zu spüren war, und ohne seinen unerschütterlichen Glauben, der festen Verwurzelung in der christlichen Lehre. Sie waren das Fundament, auf dem Alois Bartsch stand, die Quelle, aus der er immer wieder neuen Lebensmut geschöpft hat. Mit diesem Mut war er Streiter für die Sache der Heimatvertriebenen, beliebt als Dichter, geschätzt als sachkundiger Chronist des schlesischen Volkstums, anerkannt als Pädagoge. Buchstäblich bis zur letzten Stunde war sein Leben ein Kampf um die Heimat Grafschaft Glatz, um mehr Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Er wurde ausgezeichnet mit dem päpstlichen Orden „Pro ecclesia et pontifice“, mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande und dem Schlesierkreuz. Ehrenteller an den Wänden seines Heimes zeugten von der Anerkennung seines unermüdlichen Einsatzes für andere Menschen. Ein Dank sei an dieser Stelle auch seiner Grafschaft Glatzer Frau Hildegard ausgesprochen, die ihn in diesem Einsatz begleitete.

Bei aller Härte, die Alois Bartsch und seine Familie betroffen hat, verlor er nie seinen bodenständigen Humor und seine väterliche Wärme, mit denen er anderen, besonders den heimatvertriebenen Grafschaft Glatzern, einen ruhenden Pol im rastlosen Leben bot. Wie könnten sein Wesen und Verdienst besser gewürdigt werden, als mit dem Titel, den ihm seine Grafschafter ganz spontan voller Hochachtung und aus dankbaren Herzen verliehen haben: „Vater der Grafschafter“!

Lit.: Grofschoaftersch Häämtebärnla 1992, Thomas Horschler: Die Heimat spricht. – Alois Bernatzky: Lexikon der Grafschaft Glatz.

Bild: Grafschafter Bote.

Hubert Hübner