Wilhelm Baum wirkte als Arzt in Danzig, Greifswald und Göttingen und war der angesehenste Chirurg seiner Zeit in Westpreußen. Als akademischer Lehrer überzeugte er durch seine vorbildliche Einsatzbereitschaft für seine Patienten und seine Begeisterung für die Medizin, die er auf seine Studenten zu übertragen verstand.
Der Vater von Wilhelm Baum war ein begüterter und scharfsinniger Kaufmann und Stadtrat in Elbing, dessen Interesse der Malerei galt; seine Mutter war eine temperamentvolle Französin. Zwei seiner älteren Brüder lebten später als wohlhabende Kaufleute in Danzig. Wilhelm Baum besuchte in Elbing das Gymnasium, das bereits 1535 als ältestes im Preußenland gegründet worden war. Obwohl das Gymnasium natürlich den altsprachlichen Unterricht in den Vordergrund stellte, war hier doch unter dem Rektorat von Johann Wilhelm Süvern (1802–1806) durch eine Lehrplanreform den Naturwissenschaften vermehrte Bedeutung beigemessen worden. Gleichsam folgerichtig studierte Baum ab 1818 in Königsberg i. Pr., wo er Mitglied einer Burschenschaft wurde, Philologie, Mineralogie und Medizin. Ein Jahr später wandte er sich nach Göttingen, und Anfang 1822 ging er nach Berlin, wo er im Juli mit der Arbeit De urethrae virilis fissuris congenitis speciatim vero de epispadia (Epispadie) promoviert wurde und ein Jahr später das Staatsexamen ablegte.
Obwohl inzwischen seine Eltern verstorben waren, gestattete ihm seine finanzielle Unabhängigkeit vom Frühjahr 1824 bis zum Herbst des Jahres 1827 eine Reise zunächst nach Wien, anschließend für fast ein Jahr nach Italien, wo er sich nahezu ausschließlich mit Malerei und Architektur beschäftigte, im Sommer 1825 nach Paris und im September desselben Jahres nach London, später auch nach Edinburgh und Dublin. Insbesondere in England vervollkommnete Baum seine Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der Chirurgie, auf dem die englischen Ärzte damals in Europa in Forschung und Darstellung als führend angesehen wurden. Nach Berlin zurückgekehrt, ließ er sich dort mit 28 Jahren als praktischer Arzt nieder und wurde auch als Chirurg tätig. Seine Freundlichkeit und Verbindlichkeit, sein umfangreiches Wissen auf unterschiedlichen Gebieten und seine Kenntnisse der italienischen, französischen und englischen Sprache ebneten ihm den Zugang zu wissenschaftlichen und künstlerischen Kreisen in Berlin. 1830 heiratete er Marie, die Tochter des Oberbaudirektors Günther in Berlin.
1830 wurde Baum als Oberarzt an das Städtische Krankenhaus in Danzig berufen, wo er gleichzeitig die Leitung der chirurgischen und der medizinischen Abteilung übernahm. Als ein Jahr später eine Choleraepidemie Danzig als erste Stadt in Deutschland überfiel, stieg Baum durch seinen beispielhaften Einsatz zum bekanntesten und beliebtesten Arzt in der Provinz Westpreußen auf und wurde weit darüber hinaus durch seine fachkundige Betreuung internationaler Kommissionen, die zum Studium dieser Krankheit nach Danzig gereist waren, bekannt. 1832 trat er in die schon 1743 gegründete Naturforschende Gesellschaft in Danzig ein, vor deren Mitgliedern er zahlreiche Vorträge über mikroskopische Anatomie, über Physiologie und Zoologie hielt und der er mehrfach Mineralien schenkte. Im Jahre 1881 wurde er Ehrenmitglied dieser Gesellschaft. Als Befürworter der pathologischen Anatomie sezierte er in seinem Krankenhaus alle Leichen, zu einer Zeit, als das in Deutschland durchaus noch als ungewöhnlich galt. Gemeinsam mit Karl Theodor Ernst von Siebold, der von 1835 bis 1840 Direktor des Hebammeninstituts in Danzig war, entdeckte Baum auf einem menschlichen Nasenpolypen das Flimmerepithel, ein Jahrzehnt später auch an den Polypen des äußeren Gehörgangs. Schon hier in Danzig genoß Baum einen hohen Ruf als Lehrer und Vorbild junger Ärzte. Im Auftrage der Regierung schrieb er einen Beitrag zur Pathologie des Weichselzopfs in Rust’s Magazin, LXI, 1843.
Im Jahre 1842 nahm Baum einen Ruf als ordentlicher Professor der Chirurgie nach Greifswald an, obwohl er bisher niemals an einer Universität tätig gewesen war. Der praktische Unterricht erfolgte nicht nur an den 20 Betten seiner Klinik, sondern vor allem bei den Kranken in den Häusern der Stadt. Da er zudem noch eine eigene Praxis in Greifswald und den umliegenden Landgebieten betrieb, war er außerordentlich stark in Anspruch genommen. Hier in Greifswald führte er als einer der ersten deutschen Chirurgen im Jahre 1848 mehrmals den Luftröhrenschnitt bei Krupp-Patienten aus, den er auch weiterhin befürwortete. Trotz seiner überaus zahlreichen Aktivitäten fand er die Zeit für einen mehrmonatigen Bildungsurlaub in Berlin und Wien, wie er ohnehin lebenslang bereit war, von anderen zu lernen und zu lesen. Bezeichnenderweise soll er die umfangreichste chirurgische Privatbibliothek Deutschlands besessen haben, die er großzügig auch seinen Studenten und Kollegen zur Verfügung stellte.
1848 erhielt Baum sowohl einen Ruf nach Kiel als auch nach Göttingen und trat ein Jahr später die Professur in Göttingen an, wo 1851 ein neues Krankenhaus eingeweiht wurde. In Göttingen hatte er von 1855 bis 1867 auch den Lehrstuhl für Augenheilkunde inne, eine Aufgabe, für die er sich gesondert vorbereiten mußte. Auch an seinem neuen Wirkungsort entfaltete Baum eine ausgebreitete Tätigkeit auf medizinischem und auf gesellschaftlichem Gebiet. Er zählte im übrigen zu den belesensten und gelehrtesten Chirurgen Deutschlands. 1865 wurde er zum Obermedizinalrat ernannt. Er gehörte mehreren wissenschaftlichen Gesellschaften an und engagierte sich insbesondere für die 1872 gegründete Deutsche Gesellschaft für Chirurgie in Berlin. Seine Vorlesungen befaßten sich mit Chirurgie, Frakturen, Augenheilkunde, Operationslehre und schließlich auch mit der Geschichte der Chirurgie. Für neue Behandlungsmethoden in der Chirurgie war er stets aufgeschlossen und bereit, sie auch selber zu erproben. In seinen jungen Jahren mußte er noch ohne Narkose operieren, da die Anästhesie, 1842 in Amerika erstmals angewandt, sich erst danach in Deutschland durchsetzte. Seine Schüler schätzten ihn über alles, obwohl er außer wenigen Aufsätzen nicht eine einzige Arbeit veröffentlicht hatte. “Ich schreibe keine Bücher, ich schreibe in Eure Herzen”, sagte er zu seinen Göttinger Studenten anläßlich eines Fackelzuges. Er wirkte durch seine überragenden klinischen Leistungen und durch seine viel bewunderte Persönlichkeit, blieb aber Stimmungen unterworfen, die nicht immer Verständnis bei seinen Mitmenschen fanden.
Im Herbst 1875 trat Baum mit 76 Jahren in den Ruhestand und wurde gleichzeitig zum Geheimen Obermedizinalrat ernannt. Seine geistige Regsamkeit behielt er bis zu seinem Tode wegen Altersschwäche nach einer gerade überstandenen Lungenentzündung im 84. Lebensjahr. Zwei Töchter und sein Sohn Georg Wilhelm Baum (11.5.1836 in Danzig bis 13.4.1896 in Danzig, wo er lange Zeit als Chirurg und Oberarzt wirkte) überlebten ihn.
Lit.: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 46, S. 250 ff. – Ed. Schumann: Geschichte der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig 1743–1892. Danzig, 1893, S. 47 f und 96. – J. Pagel (Hrsg.): Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des 19. Jahrhunderts. 1901.
Hans-Jürgen Kämpfert