Biographie

Becker, geb. Neumann, Christiane Luise Amalie

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Schauspielerin
* 15. Dezember 1778 in Crossen/Oder
† 22. September 1797 in Weimar

”Ich leugne nicht, daß der Tod der Becker mir sehr schmerzlich gewesen. Sie war mir in mehr als einem Sinne lieb. Wenn sich manchmal in mir die abgestorbene Lust, für’s Theater zu arbeiten, wieder regte, so hatte ich sie gewiß vor Augen, und meine Mädchen und Frauen bildeten sich nach ihr und ihren Eigenschaften. Es kann größere Talente geben, aber kein für mich anmutigeres. … Liebende haben Tränen und Dichter Rhythmen zur Ehre der Toten; ich wünschte, daß mir etwas zu ihrem Andenken gelungen sein möchte.”

So schrieb Goethe am 25. Oktober 1797 aus Zürich an Karl August Böttiger, den Direktor des Weimarer Gymnasiums. Die Nachricht vom Tode Christiane Beckers hatte den Dichter auf seiner Schweizer Reise überrascht, ”in den formlosen Gebirgen”, wie er es nannte. Das Gedicht zu ihrem Andenken, die Elegie ”Euphrosyne” (das ist ”Frohsinn”, eine der drei Grazien), schrieb er im Juni 1798 nieder. Es erschien zuerst im Musen-Almanach für das Jahr 1799. Goethe hatte die ”geliebte Person”, wie er Christiane Becker in einem Brief an Carl Wigand Maximilian Jacobi, einen Sohn des Schriftstellers und Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, Freund des Dichters, vom 16. August 1799 nannte, zum letzten Male als Euphrosyne in Joseph Weigls Oper Das Petermännchen auf der Bühne gesehen.

„Bildete doch ein Dichter auch mich; und seine Gesänge,
Ja, sie vollenden an mir, was mir das Leben versagt.“

So läßt sie Goethe in seiner Elegie sprechen.

Christiane Becker war ein Schauspielerkind. Als Tochter des Schauspielers Johann Christian Neumann (1754-1791) und der Schauspielerin Johanne Elisabethe Hütter (1752-1796) hatte sie bereits als Fünfjährige in der Truppe ihres Vaters in Venlo die Bühne betreten. Nach Weimar kam sie 1784 mit ihren Eltern zur Bellomo’schen Schauspielergesellschaft, die das 1779 an der Stelle des heutigen Deutschen Nationaltheaters errichtete Komödienhaus bespielte. 1787 trat sie dort zum ersten Male auf. Die theaterbegeisterte Herzogin-Mutter Anna Amalia nahm sich der Erziehung des Kindes in mütterlicher Fürsorge an, während die aus Guben gebürtige Schauspielerin Corona Schröter (1751-1802), die sich seinerzeit bereits von der Bühne zurückgezogen hatte, sich die geistige und erste künstlerische Ausbildung des Mädchens angelegen sein ließ. Im Mai 1791 kam es nach dem Abzug der Bellomo’schen Truppe, die künstlerisch nicht befriedigt hatte, zur Gründung eines Weimarer Hoftheaters mit eigenem Ensemble. Diesem verblieben als Grundstock ”von jener abziehenden Gesellschaft verdienstvolle Individuen”, wie Goethe, der ”mit Vergnügen” die Leitung des Theaters übernommen hatte, in seinen Tag- und Jahresheften für 1791 notierte. Kurz vor dem Wechsel war Vater Neumann gestorben, ”ein sehr schätzbarer Schauspieler”, wie Goethe an derselben Stelle vermerkte, dessen ”vierzehnjährige Tochter, das liebenswürdigste, natürlichste Talent, … mich um Ausbildung anflehte.”

Schon bald hatte sich die frühreife Christiane Neumann unter Goethes Leitung zur ersten Kraft des Hauses entwickelt. Nach kleinen Rollen spielte sie unter anderem die Ophelia in Shakespeares Hamlet, die Amalia in Schillers Räubern, die Luise in dessen Kabale und Liebe sowie Emilia Galotti und Minna von Barnhelm von Lessing. Die Begeisterung ihres Publikums scheint allgemein gewesen zu sein; auch Wieland und Iffland zählten zu ihren Bewunderern. Sie war eine zierliche blonde Erscheinung, eine Darstellerin von großer Anmut und zarter, klangvoller Stimme. Goethe sprach nach ihrem Tode einmal (in einem Brief an Wilhelm von Humboldt vom 16. Juli 1798) von ”der schönen und angenehmen Becker.” Darüber hinaus aber zeichneten sie ein bedeutendes künstlerisches Ausdrucksvermögen sowie als dessen Voraussetzung eine starke Einbildungskraft und eine starke Erregbarkeit aus.

In dieser Hinsicht aufschlußreich ist eine Begebenheit, die der Schauspieler Anton Genast (geboren 1765 in Trachenberg in Schlesien), der 1791 aus Prag an das Weimarer Hoftheater berufen worden war, im November 1791 in einer Notiz festhielt (und die auch in Goethes Elegie ”Euphrosyne” einen starken Niederschlag gefunden hat). Bei einer Hauptprobe zu ShakespearesKönig Johann, an dem Goethe ein besonderes Interesse hatte und den er selbst in Szene setzte, zeigte ihm Christiane Neumann als Arthur, der ihre erste bedeutende Rolle war, nicht genug Entsetzen vor dem glühenden Eisen in der Hand des Darstellers des Hubert. Goethe riß dem Schauspieler das Eisen aus der Hand ”und stürzte mit solch grimmigem Blick auf das Mädchen zu, daß dieses entsetzt und zitternd zurückwich und ohnmächtig zu Boden sank. Erschrocken kniete nun Goethe zu ihr nieder, nahm sie in seine Arme und rief nach Wasser. Als sie die Augen wieder aufschlug, lächelte sie ihm zu, küßte seine Hand und bot ihm dann den Mund” Genasts Sohn Eduard (geboren 1797 in Weimar), ebenfalls Schauspieler, der diese Aufzeichnung in seinem Erinnerungswerk mitteilte, sah darin, der Deutung Goethes in ”Euphrosyne” folgend, ”eine schöne und rührende Offenbarung der väterlichen und kindlichen Neigung beider zueinander.”

1793 heiratete Christiane Neumann den 14 Jahre älteren Schauspieler Heinrich Becker (eigentlich von Blumenthal) und brachte, sechzehnjährig, eine Tochter zur Welt. 1795 verlor sie ihre Mutter an einem auszehrenden Fieber. Ein Jahr später schenkte sie abermals einer Tochter das Leben. Von da ab kränkelte sie, wohl infolge ihrer Mutterschaft und der gleichzeitigen künstlerischen Beanspruchung nervös und überreizt. 1797 erkrankte sie während der sommerlichen Spielzeit des Weimarer Theaters in Lauchstedt, dem Bade bei Merseburg, so heftig, daß ihr Herzog Carl August seinen bequemsten Reisewagen schickte, um sie nach Weimar zurückzuholen. Doch hier konnten ihr die eilig aus Jena herbeigerufenen Ärzte Hufeland und Starke nicht mehr helfen; sie starb an Schwindsucht.

Christiane Beckers früher Tod erschütterte die Weimarer Schauspieler wie ihr Publikum. Auf dem Theater wurde ihr eine Totenfeier ausgerichtet, deren Ertrag den Grundstock für die Beschaffung eines Denkmals bildete, das auf Goethes Veranlassung hin nach einem Entwurf von Johann Heinrich Meyer, seinem Berater in Fragen der bildenden Kunst, von Friedrich Wilhelm Döll in Gotha geschaffen wurde. Geschmückt mit Masken und tanzenden Nymphen, hat es hinter der auf dem Hauptfriedhof gelegenen Fürstengruft, in der Goethe und Schiller ruhen, seinen Platz gefunden. Beigesetzt wurde die so Verherrlichte auf dem Jakobsfriedhof.

Wenn wir einem Eintrag Goethes in seinen Tag- und Jahresheften für 1797 folgen dürfen, hat die junge Frau ganz allgemein für das Verhältnis des Dichters zur Theaterkunst große Bedeutung gehabt: ”Auf dem Theater fand ich die große Lücke; Christiane Neumann fehlte, und doch war’s der Platz noch wo sie mir so viel Interesse eingeflößt hatte. Ich war durch sie an die Bretter gewöhnt, und so wendete ich nun dem Ganzen zu, was ich ihr sonst fast ausschließlich gewidmet hatte.” Noch in späten Jahren hat Goethe (nach dem Zeugnis Eckermanns in seinem Brief an Auguste Kladzig vom 30. Januar 1829) bemerkt (übrigens in Übereinstimmung mit einem frühen Wort Ifflands): ”Es ist zu selten, daß in jungen Mädchen der künstlerische Sinn aufgeht und daß der künstlerische Ernst in ihnen wirksam wird. In der ganzen Reihe von Jahren, die ich dem Theater vorstand, habe ich nur eine einzige gefunden, der das Höhere lebendig ward und an deren Entwicklung man Freude haben konnte. Es war die Euphrosyne, …”

Quellen: Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen (Weimarer Ausgabe), I. Abteilung, Bde. 1, 34.1 und 35, IV. Abteilung (Briefe), Bde. 13 und 14, Weimar 1887, 1892, 1893 und 1902. – Goethes Gespräche ohne die Gespräche mit Eckermann, hrsg. von Flodoard Freiherr von Biedermann, Wiesbaden 1957.

Lit.: O. Klein: Goethes Euphrosyne. Christiane Neumann-Becker, 1909. – Neue Deutsche Biographie, Bd. 1 Berlin 1953, S. 713 (Hans Knudsen); dort weitere Lit.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Christiane_Becker-Neumann

Peter Mast